Habeck und Özdemir in Brasilien „Wer sich nur den Zugang zu Rohstoffen sichern will, muss gar nicht erst anreisen“

Goldgräber: Im brasilianischen Yanomami-Gebiet wird illegal Gold geschürft, nach Schätzungen arbeiteten zuletzt rund 20 000 so genannte Garimpeiros in dem Schutzgebiet der Indigenen, das etwa so groß ist wie Portugal. Behörden versuchen, die Ausbeutung durch Kontrollen zu verringern.   Quelle: dpa

Grüner Doppelwumms in Brasilien und Kolumbien: Robert Habeck und Cem Özdemir wollen in Südamerika neue Bündnisse schließen. Experte Günther Maihold über Chancen, Risiken und Konkurrenz aus China.

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WirtschaftsWoche: Herr Maihold, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir reisen an diesem Wochenende gemeinsam nach Brasilien und Kolumbien. Sind die Beziehungen zu den Ländern so angespannt, dass es diesen grünen Doppelwumms aus Deutschland braucht?
Günther Maihold: Mit Blick auf Brasilien sind viele falsche Erwartungen im Spiel. Dass Lula da Silva zurück an der Macht ist, wurde in Deutschland nach den schwierigen Jahren mit dem rechtsextremen Jair Bolsonaro mit großer Erleichterung aufgenommen – aber gewiss ist Lula nicht der Messias, der jetzt den Amazonas nach unseren Vorstellungen rettet. Auch seine Äußerungen zu Russlands Krieg in der Ukraine und die engen Verflechtungen mit China zeigen, dass es keine leichte Reise wird. 

Lula hat zwar eine Null-Abholzungsstrategie versprochen, doch im Februar wurde so viel Wald gerodet wie noch nie zuvor in einem Vergleichsmonat, wie Satellitenbilder zeigen. Dabei hatte Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze zu Lulas Amtsantritt quasi eine Antriebshilfe von 200 Millionen Euro mitgebracht.   
Da darf die Bundesregierung nicht naiv sein: Der Amazonas wird in Brasilien von allen politischen Kräften als Ressource für die nationale Entwicklung betrachtet. Wer nun mit der Idee eines ausschließlichen Waldschutzes kommt, wird auf kein gutes Echo stoßen. Für beide grüne Minister ist es sicher wichtig, sich ein realistisches Bild zu verschaffen und das Gespräch zu suchen.

Deutschland bringt bei solchen Reisen nicht nur Fördermillionen mit, sondern immer auch unbequeme Themen wie das Lieferkettengesetz derweil schert sich China offensichtlich nicht um ein paar abgeholzte Bäume mehr oder weniger und ist Brasiliens wichtigster Handelspartner geworden. Welche Chance haben Deutschland und die EU, da mitzuhalten?   
Mit Chinas Aufwartungen in Brasilien gleichziehen zu wollen, ist sicher nicht möglich – und sicher nicht der richtige Angang. Die Volksrepublik bietet attraktive Kredite an, Milliardenhilfen beim Infrastrukturausbau und Zugänge zum größten Konsumentenmarkt der Welt.

Günther Maihold, der stellvertretende Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik und Professor am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin, im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. Quelle: Presse

Zur Person

Das heißt mit Blick auf Deutschland und die EU?  
Wenn Deutschland und die EU also ihre Partnerschaft vertiefen wollen, haben sie nur mit einem ganzheitlicheren Ansatz eine Chance, „Just Transition“ wird diese Strategie genannt, bei der es um einen Strukturwandel hin zu einer klimaneutralen⁠ und sozial gerechten Wirtschaft und Gesellschaft geht.

Die EU kommt bisher allerdings nicht den entscheidenden Schritt voran. Seit mehr als 20 Jahren verhandelt sie schon mit den Mercosurstaaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay über das größte Freihandelsabkommen der Welt. Können Habeck und Özdemir die Verhandlungen nun entscheidend voranbringen?  
Mit Lulas Amtsantritt hat sich ein Zeitfenster geöffnet, das jetzt genutzt werden muss. Zwar liegt das Mandat für die Verhandlungen bei der EU-Kommission, aber Habeck und Özdemir können sicherlich an den großen Knackpunkten arbeiten – und weil Wirtschaftspolitik in Brasilien immer auch Agrarpolitik ist, macht die gemeinsame Reise sicherlich auch Sinn.

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Während Deutschland das Abkommen zum Abschluss bringen will, hat Österreich schon eine Blockade angekündigt, auch Länder wie Frankreich und Italien sorgen sich, dass ihren Landwirten die Preise für Wein und Fleisch verdorben werden. Droht das Mercosur-Abkommen zu scheitern?
Ohne Zweifel können Marktverdrängungseffekte entstehen. Und wie damals bei den Amerikanern und dem Chlorhühnchen sind genmanipulierte Produkte wie Soja nun ein zentraler Streitpunkt. Eine Totalöffnung des europäischen Binnenmarktes ist deshalb unwahrscheinlich.

Wie kann das Mercosur-Abkommen dann trotzdem funktionieren?
Eine Kontingentierung für bestimmte Produkte wie Rindfleisch könnte eine Lösung sein, um die europäischen Produzenten ausreichend zu schützen. Das wäre über die Handelskomponente des Abkommens geregelt, für die es im Gegensatz zur Assoziierungskomponente nur eine einfache Mehrheit  im Europäischen Rat und Parlament  braucht und keine Ratifizierung in den nationalen Parlamenten. Beide Komponenten voneinander zu trennen, wäre deshalb auch eine Lösung, um das Abkommen endlich zum Abschluss zu bringen. 

Es geht bei den Gesprächen aber nicht nur um Agrarpolitik, sondern auch um Rohstoffe und Zusammenarbeit bei der Energiewende. Wie gut sind die Aussichten auf neue Partnerschaften mit Brasilien? 
Wer sich nur den Zugang zu Rohstoffen sichern will, muss gar nicht erst anreisen. Das funktioniert heute nicht mehr, sondern es geht den Ländern darum, wie größere Wertschöpfungseffekte für das eigene Land erreicht werden können. Der Ausbau von Wasserstoff ist mit erheblichen Investitionen verbunden, deshalb wird Brasilien sicher gewisse Abnahmegarantien von Deutschland erwarten – auch, wenn die Preise dann teurer sind als etwa die Angebote aus dem Mittleren Osten oder Afrika. Da muss sich Deutschland dann fragen, wie viel die Diversifizierung kosten darf. 

Brasilien tritt im Kreis der weiteren Brics-Staaten Russland, Indien, China und Südafrika selbstbewusst auf, Lula sieht sich etwa als möglicher Friedensvermittler mit Blick auf Russlands Krieg in der Ukraine. Ist das eine realistische Einschätzung?
Lula will Brasilien wieder als weltpolitischen Akteur positionieren – damit geht dann auch ein gewisser Gestaltungsanspruch einher. Brasilien dürfte allerdings bei den Friedensverhandlungen keine führende Rolle einnehmen, alleine schon deshalb nicht, weil es als Brics-Mitglied Russland gegenüber nicht neutral sein kann. Aber sicher wird Robert Habeck noch einmal für die europäische Position und womöglich auch Munitionslieferung für die Ukraine werben. 

Als zweites Land werden Habeck und Özdemir Kolumbien besuchen, das sich vom Narco-Staat weiter entwickeln will hin zu einem Rohstofflieferanten – zuletzt kaufte Deutschland allerdings vor allem schmutzige Steinkohle ein, um die Ausfälle nach dem Embargo gegen Russland auszugleichen. Grüne Klimapartnerschaft sieht eigentlich anders aus, oder? 
Habeck und Özdemir dürften in Kolumbien einige Wogen zu glätten haben. Zuletzt gab es doch erhebliche Verstimmung, weil Deutschland dort einerseits Kohle in großen Mengen kauft, aber gleichzeitig etwa auf Klimakonferenzen Kolumbiens mangelnde Fortschritte bei der Dekarbonisierung beklagt. So will sich das Land sicher nicht vorführen lassen.

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Auf welche Basis muss die Zusammenarbeit mit Kolumbien dann gestellt werden? 
Deutschland wird Chancen auf Partnerschaften nur dann haben, wenn es nicht nur kurzfristig auf die eigenen Interessen schaut, sondern langfristig ein attraktives und ambitioniertes Angebot unterbreitet, bei dem auch Umweltschutz, Technologietransfer und Arbeitsbedingungen berücksichtigt werden, denn in Kolumbien selbst gibt es zunehmend Proteste gegen den Raubbau. Bei dem Thema könnten die grünen Minister also punkten.

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