Halbleiter-Sanktionen gegen Russland „Russlands Industrie kann ohne westliche Technologie nicht funktionieren“

Mikroelektronik: Aus dem modernen Leben sind Halbleiter nicht mehr wegzudenken. Quelle: obs

Immer mehr Tech-Unternehmen boykottieren nach der Ukraine-Invasion den russischen Markt. Aber greifen die Sanktionen des Westens auch für chinesische Hersteller? Die USA haben den Druck gerade erhöht.

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Jetzt also auch IBM. Unter einem großen Banner der ukrainischen Flagge hat CEO Arvind Krishna gerade per Blog-Posting mitgeteilt: Sein IT-Unternehmen stelle wegen der Invasion alle Geschäfte mit und in Russland ein. Von IBM gibt es nun ebenfalls keine Halbleiter mehr, nachdem bereits die Hersteller AMD, TSMC, Intel und Nvidia ihre Lieferungen ausgesetzt haben. Apple und Samsung machen ohnehin schon keine Geschäfte mehr in Russland.

Die US-Chipindustrie sei „fest entschlossen“, die Exportkontrollvorschriften des Westens einzuhalten, teilte der US-Branchenverband SIA zuvor mit. Sowieso mache der russische Anteil an weltweiten Chip-Einkäufen nur 0,1 Prozent aus, sagte Präsident John Neuffer bereits kurz nach Beginn der Invasion. Für die Unternehmen demnach kein Problem. Für den Kreml schon.

„Russland ist abhängig von westlicher Technologie. Und auch die Halbleiter aus Taiwan sind entscheidend für die russische Industrie“, erklärt Alena Epifanova von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). In ihren Augen hat Wladimir Putin bei seinem Versuch, die russische Online-Welt zu kontrollieren, die Hardware aus den Augen verloren. „Russlands Industrie kann ohne westliche Technologie auf Dauer allerdings nicht funktionieren“, sagt Epifanova. Es werde nicht lange dauern, bis entscheidende Produktionsindustrien im Land von Störungen betroffen seien – vorausgesetzt die Chip-Blockade halte.

Mit heimischen Produkten kann das Land die Lücken nicht füllen. Die Produkte der staatseigenen russischen Hersteller Baikal Electronics und Moscow Centre of SPARC Technologies (MCST) seien kein Ausweg, sagt Epifanova. Sie basierten entweder auf westlicher Technologie oder seien für einen Massenmarkt nicht einsatzfähig, schreibt sie in einer aktuellen Studie. Auch ein neuer Chip des Staatskonzerns Rostec für Schulen, Universitäten und Krankenhäuser steht wohl erst 2025 zur Verfügung, und er ist auch dann vermutlich langsamer als die westliche Konkurrenz. „Zulieferungen aus Ländern wie China können außerdem nicht mit Größe und Schnelligkeit der westlichen Produkte mithalten“, sagt Epifanova.

Kaum Alternativen zu den Chips von Intel, AMD oder Nvidia

Ob Chip-Importe aus dem Partnerland China grundsätzlich eine Option für Russland sind, bleibt allerdings unklar. Erst Anfang der Woche warnte US-Handelsministerin Gina Raimondo chinesische Unternehmen davor, ihre Produkte nach Russland zu verkaufen. Die USA könnten sie bei Zuwiderhandeln von wichtigem Equipment und Software für die Produktion von Chips abschneiden, sagte Raimondo der New York Times. In ähnlicher Weise gingen die Vereinigten Staaten bereits 2020 gegen das chinesische Telekommunikationsunternehmen Huawei vor und schlossen es von weltweiten Chip-Lieferungen aus. Die Maßnahmen legten Huawei damals im Grunde lahm.

„Wir sehen auch jetzt den Versuch der USA, mit Druck zu verhindern, dass Halbleiter über Drittanbieter nach Russland gelangen“, analysiert Halbleiter-Forscher Jan-Peter Kleinhans vom Berliner Think Tank Stiftung Neue Verantwortung. Entscheidend für eine effektive Isolation seien Unternehmen wie Dell, Lenovo oder HP, deren Geräte auch in Russland zu den Haupt-Sellern gehören und in denen westliche Chips stecken. Die US-Anbieter Dell und HP haben sich dem Exportstopp bereits angeschlossen.

Chinesische Unternehmen wie Lenovo und Xiaomi allerdings halten sich bisher bedeckt in Bezug auf den russischen Markt, auch weil nicht klar zu sein scheint, wie stark ihr Geschäft von den Sanktionen betroffen sein wird. „Es wird entscheidend sein, ob sich solche Firmen dem Sanktionsdruck beugen, oder ob sie den russischen Mark weiterhin beliefern“, sagt Kleinhans. Die zweite Frage laute, ob auch die Europäische Union nach dem Vorbild der US-Warnung gegen chinesische Unternehmen vorgehen würde, die mit westlichen Chips in Russland Handel treiben. Am Mittwoch teilten die 27 Mitgliedstaaten mit, ihre Tech-Sanktionen nachbessern zu wollen. Was das genau bedeutet, bleibt bisher offen.

Derweil sieht Kleinhans ein zusätzliches Problem auf die Halbleiter-Branche zurollen – und zwar aus der Gegenrichtung: „Die Industrie ist bei der Chip-Produktion nach wie vor abhängig von Neon-Gas aus Russland und der Ukraine“, sagt der Experte. Chip-Laser brauchen diese Materialien unter anderem bei der Belichtung der Halbleiter. Rund 50 Prozent des Neon-Gases etwa kommen aus Russland und werden in der Ukraine veredelt. Die andere Hälfte liefern chinesische Unternehmen.

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Es zeigt sich: In der globalisierten Welt wirken Abhängigkeiten meistens in beide Richtungen. Nun drohen globale Lieferengpässe, die die weltweit ohnehin schon grassierende Chip-Knappheit noch einmal verschlimmern könnten. „Schnelles Umsatteln auf andere Anbieter ist schwierig - und selbst wenn es mittelfristig klappt, könnten neue Abhängigkeitsverhältnisse in Bezug auf China entstehen“, sagt Kleinhans.

Im Ergebnis ähnelt die Lage dem aktuellen Energie-Dilemma. Der Westen könnte die fortschrittlichere Chip-Produktion besitzen – Russland und China allerdings behalten die Hoheit über die nötigen Rohstoffe. 

Lesen sie auch: Die Sanktionen gegen Russland sorgen für extreme Preisausschläge bei vielen Rohstoffen. Die Rechnung wird teuer für den Westen.

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