Handelsabkommen Kanadier geben Ceta nicht auf

Vehement hat sich Kanadas Regierung für das Handelsabkommen Ceta eingesetzt. Nun klammert sie sich an die Hoffnung, dass die Europäer sich noch zusammenraufen. Doch auch in Kanada ertönen kritische Stimmen.

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Mit Schwung in einen neuen Anlauf für das Handelsabkommen? „Ceta ist nicht tot“, sagte die kanadische Handelsministerin Chrystia Freeland am Montag. Quelle: Reuters

Ottawa Schwer enttäuscht ist Kanada über die Unfähigkeit der Europäischen Union, ein einstimmiges Votum für den Handelsvertrag Ceta zu erreichen. Trotzdem gibt die Regierung die Hoffnung auf eine baldige Unterzeichnung des Abkommens nicht auf.

„Ceta ist nicht tot“, sagte Handelsministerin Chrystia Freeland am Montagnachmittag (Ortszeit) in Ottawa. „Wir sind bereit, nach Europa zu reisen, um am 27. Oktober zu unterschreiben.“ Die kanadische Handelskammer rief die Europäer auf, ihre internen Differenzen beizulegen und den Weg für Ceta freizumachen.

Wiederholte Fragen, ob Kanada auch zu einem späteren Zeitpunkt bereit sei, den Vertrag zu unterzeichnen, mochte Freeland nicht beantworten. Seit Monaten setzt sich die kanadische Politikerin vehement für den Abschluss des „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ (Ceta) ein. Am Montag bekräftigte sie: „Ich möchte, dass die Kanadier und auch die Europäer wissen, dass Kanada seine Arbeit gemacht hat. Wir sind bereit, Ceta zu unterzeichnen.“ Den Europäern wünschte sie „jeden Erfolg“, dass sie dies ermöglichen. Bisher unterstützten „27 ½ Mitgliedsstaaten“ der EU Ceta, sagte Freeland.

Für Kanada ist Ceta ein „exzellentes Abkommen“. Nach Auffassung der Regierung wurde es seit Amtsantritt der Liberalen unter Premierminister Justin Trudeau „progressiver“ gemacht. Darunter versteht Kanada unter anderem die Neuregelungen bei der Beilegung von Investor-Staat-Streitigkeiten. Nun müsse die EU ihre Hausaufgaben erledigen und den Streit um Ceta beilegen. Freeland betonte: „Der Ball ist in Europas Feld.“

Kanadas Regierung hofft auf Erfolg am Donnerstag

Die liberale kanadische Regierung schien am Montag jedenfalls nicht bereit, das endgültige Scheitern des Handelsvertrags, an dem seit mehr als sieben Jahren gearbeitet wurde, zu akzeptieren. Die Regierung setzt in ihren öffentlichen Erklärungen weiter darauf, dass Premierminister Trudeau am Donnerstag doch noch bei einem EU-Kanada-Gipfel in Brüssel den Vertrag unterzeichnen kann.

Dies ist auch der Tenor eines Telefongesprächs, das EU-Ratspräsident Donald Tusk am Montagabend mit Trudeau führte. Tusk und Trudeau hätten darin übereingestimmt, „dass die EU-Mitgliedsstaaten und Kanada die Mitgliedsstaaten weiter auf einen Gipfel am Donnerstag hinarbeiten, auf dem das Wirtschafts- und Handelsabkommen unterzeichnet wird", teilte das Premierministerbüro in Ottawa mit. Sie wollten „in den kommenden Stunden und Tagen in engem Kontakt bleiben“.

Chrystia Freeland verteidigte ihre Entscheidung vom vergangenen Freitag, als sie nach dreitägigen Verhandlungen mit der belgischen Region Wallonie und der EU den Verhandlungstisch in Brüssel verlassen hatte, um nach Kanada zurückzukehren. Es sei eine schwere Entscheidung gewesen, „aber es war richtig und notwendig“.

Diese Entscheidung habe auch die erwünschten Reaktionen hervorgerufen. „Alle Europäer, auch die Wallonen, haben öffentlich akzeptiert, dass Kanadas Arbeit getan sei“, sagte sie. Dies habe selbst der Ministerpräsident der Wallonie, Paul Magnette, eingeräumt, der erklärt habe, dass die noch bestehenden Probleme innerhalb der EU zu lösen seien.


Kritik von kanadischen Konservativen

In den vergangenen Wochen hatte Freeland erheblichen Einsatz für Ceta gezeigt: Sie war zu Verhandlungen nach Deutschland, Österreich und Belgien sowie zum EU-Handelsministertreffen nach Bratislava gereist. Zudem hatte Premierminister Trudeau seit seinem Amtsantritt vor einem Jahr bei allen Begegnungen mit europäischen Politikern für den Vertrag geworben.

Dennoch warf die konservative Opposition in Kanada den Liberalen mangelnden Einsatz vor. Freeland habe „das Handtuch geworfen“, hielt ihr der konservative Abgeordnete Denis Lebel vor. Die Liberalen seien nicht in der Lage den Vertrag, den ihr die frühere konservative Regierung übergeben habe, endgültig über die Ziellinie zu bringen.

Opposition fordert Verschiebung des „Fototermins“ für Trudeau

Lebel erwähnte dabei nicht, dass das Verhalten der früheren Regierung unter Stephen Harper die Verhandlungen in die Länge gezogen hatten. Denn Harper wollte alle wichtigen Entscheidungen selbst treffen, was EU-Diplomaten sarkastisch kommentierten. Im Frühjahr 2013 reisten zwei EU-Kommissare nach Ottawa mit dem Willen, Ceta abschließend zu verhandeln. Sie kehrten allerdings nach zwei Tagen frustriert nach Brüssel zurück, weil die zuständigen Minister keine Entscheidungen treffen konnten.

Zudem enthielt der unter Harper und dem früheren Kommissionspräsident José Manuel Barroso ausgehandelte Vertrag viele Knackpunkte, die dann zum Widerstand gegen Ceta führten, etwa hinsichtlich der privaten Schiedsgerichte bei Investitionsstreitigkeiten oder der Ungewissheit, ob Ceta nationale Gesetze zum Umwelt- oder Verbraucherschutz aushebeln könne.

Kritik kommt in Kanada jedoch nicht nur von den Konservativen. Widerstand kommt auch von der sozialdemokratischen New Democratic Party (NDP), die als drittstärkste Partei im Parlament 44 der 338 Sitze hat, aber bei der Wahl vor einem Jahr auf rund 20 Prozent der Stimmen kam. Sie warf der Regierung vor, sie versuche, Europa zur Zustimmung zu Ceta zu nötigen. Die Wallonie gebe nicht klein bei und „Millionen Europäer und Kanadier teilen die Sorgen über das Abkommen und die potenziellen Folgen für Medikamentenpreise, Milchbauern und Umweltbestimmungen“, sagte der Abgeordnete Murray Rankin.

„Diese Verzögerung ist eine Gelegenheit, den Vertrag zu verbessern. Wird die Regierung die fabrizierte Fristsetzung fallenlassen und sich an den Tisch setzen, um die Probleme zu lösen?“ fragte Rankin im Parlament. Die NDP plädiert für eine Verschiebung des „Fototermins für den Premierminister“. Dies sei ein kleiner Preis für die Chance, Mängel des Vertrags auszubügeln, denn der Handel mit Europa sei zu wichtig, um es jetzt falsch zu machen, erklärte die NDP.


Gespaltene Meinungen in Kanada

Die Stimmungslage in der kanadischen Bevölkerung ist schwer auszumachen. Anders als in europäischen Staaten gibt es keine Umfrage zu Ceta. Die Regierungen der dreizehn Provinzen und Territorien sind bereit, Ceta mit der Bundesregierung umzusetzen. Die kanadische Handelskammer Chamber of Commerce betonte, die europäische und kanadische Wirtschaft unterstütze „dieses faire und ausgewogene Abkommen“, welches das modernste Handelsabkommen der Welt sei. Für Europa sei es wichtig zu zeigen, dass es ein „effektiver und verlässlicher Handelspartner ist“, sagte Kammerpräsident Perrin Beatty, der Europa davor warnte, vor dem Protektionismus zu kapitulieren.

Dagegen führt der Ceta-kritische linksorientierte Council of Canadians seit Jahren eine Kampagne gegen das Abkommen. Der Rat beschrieb die Ereignisse in Brüssel als „episches Scheitern“. „Demokratie hat obsiegt und die Agenda, Unternehmensrechte zu stärken, ist ruiniert“, jubelte Maud Barlow, Vorsitzende des Council of Canadians.

„Es geht nicht um interne belgische Politik. Millionen Menschen in Europa und Kanada haben dieses Abkommen zurückgewiesen“, sagte sie und verwies auf die Proteste in Deutschland, Österreich und Frankreich. Ihre Organisation sei für fairen Handel, der es Gütern und Menschen erlaube, Grenzen zu überqueren, ohne aber Großkonzernen Sonderrechte zu geben.

Kanada hat durchaus einige Demonstrationen gegen Ceta erlebt, bei denen etwa Bauern und Arbeiter der Schiffsindustrie gegen das Abkommen protestierten, auch formulierten zahlreiche Gemeinden und Städte Resolutionen gegen Ceta. Sie fürchten, dass sie künftig bei öffentlichen Aufträgen nicht mehr lokale Unternehmen bevorzugen dürfen. Auch der Gewerkschaftsbund Canadian Labour Congress hat Änderungen am Investorenkapitel bis hin zum völligen Verzicht auf ein Gericht außerhalb des bestehenden Justizsystems gefordert.

Aber diese Proteste und Demonstrationen haben bei weitem nicht das Ausmaß erreicht wie in Europa. Ein Abkommen mit Europa, das viele als „mit höheren sozialen Standards einverstanden“ sehen, wie es Sujata Dey vom Council of Canadians formuliert, scheint weniger Sorgen hervorzurufen als ein Vertrag mit den „großen, bösen USA oder anderen Ländern mit niedrigeren sozialen Standards“.

Den Ceta-Gegnern in Kanada war zudem klar, dass das Abkommen nur an Europa scheitern kann, nicht aber am Parlament in Ottawa. Dort ist eine deutliche Mehrheit der Abgeordneten für Ceta.

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