Handelsblatt-Reporterin vor Ort in Barcelona Als die Mossos in die Schule kommen, wird es ganz still

Eigentlich hat die katalanische Polizei, die Mossos d’Esquadra, den Auftrag, die Wahllokale zu schließen. Doch angesichts großer Menschenversammlungen beschränken sie sich auf Formalien. Die Polizei der Zentralregierung zeigt sich weniger zimperlich.

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Um kurz vor 6 Uhr warten rund 500 Separatisten vor der besetzten Schule Diputació, die als Wahllokal für das Unabhängigkeitsreferndum dienen soll. Bis 6 Uhr sollte die Polizei alle Wahllokale schließen. Quelle: Sandra Louven

Barcelona Zunächst sah es so aus, als würden die Separatisten in Katalonien doch ihr Referendum abhalten können, obwohl es illegal ist und die spanische Regierung erklärt hatte, alles zu tun, um dies zu verhindern. Sie hatte die katalanische Polizei Mossos d’Esquadra beauftragt, die Schulen abzuriegeln, die als Wahllokale ausgewählt worden waren. Doch es hatten sich so viele Menschen in und vor den Schulen versammelt, dass sich die zwei oder drei Mossos, die pro Schule augetaucht sind, darauf beschränkt haben, ein Protokoll zu erstellen und nicht weiter einzugreifen. 

So wie an der städtischen Schule Diputació im Zentrum von Barcelona. Dort versammeln sich bereits seit 5 Uhr morgens Eltern und Nachbarn, um die für 6 Uhr erwartete Polizei daran zu hindern, die Schule zu schließen. Es sind rund 400 Leute, die vor den Toren ausharren. Immer wieder überfliegen Hubschrauber das Gebiet und werden von der Menge ausgepfiffen – die spanische Zentralregierung hat den Luftraum über Barcelona für die Zeit des Referendums gesperrt. 

Um kurz nach 6 Uhr fängt es an, in Strömen zu regnen – die meisten flüchten sich unter Bäume oder Hausbalkone. Eine halbe Stunde später rufen plötzlich alle „psssst“ und machen sich auf Richtung Schultor. An der Straßenecke nähern sich zwei katalanische Polizisten, die Mossos d’Esquadra heißen. Sie gelten für die Katalanen als eine der Ihren. Die Regierung in Madrid hat sie beauftragt, die Schulen abzuriegeln, die als Wahllokale ausgewählt worden waren. Die Menge macht ein Spalier frei, damit die Mossos dort durchgehen können.

Die Schule ist abgesperrt – nur Alte dürfen sich dort vor dem Regen schützen. „Wir können hier nicht alle reinlassen“, erklärt ein Vater. „Am Montag ist ja wieder normaler Schulbetrieb“. Bei aller Revolution halten sich die Separatisten an die Ordnung. Überhaupt ist die Szene sehr friedlich, die Stimmung gespannt, aber nicht aggressiv. Womöglich wäre das anders gewesen, wenn spanische Polizisten gekommen wäre. Sie sehen die Katalanen als den langen Arm der Zentralregierung aus Madrid, die ihnen ihre demokratischen Rechte streitig machen will. 

„Votarem, votarem“  – wir werden wählen

Die Mossos nehmen in der Schule, wo rund 70 Eltern übernachtet haben, ein Protokoll auf. Vor den Türen herrscht in der Zeit gebannte Stille. Wieder fliegen Hubschrauber über der Straße, doch dieses Mal sind alle ruhig. Dann erscheint am Schultor ein Elternsprecher, klettert hinter dem Gittertor auf einen Stuhl „psssstt“ rufen wieder alle, denn ein Megaphon hat er nicht. Er erklärt, die Mossos würden nun wieder gehen und bittet erneut, einen Gang für sie frei zu machen. Es braust Applaus auf und dann skandieren alle „voterem, votarem“  – wir werden wählen.

Die Mossos hatten zuvor erklärt, sie hielten sich an die Anweisungen der Generalstaatsanwaltschaft, aber ihre vorderste Aufgabe sei, die Sicherheit der Bürger zu garantieren. Ihnen wurden von Kritikern in den vergangenen Tagen aber mangelndes Engagement vorgeworfen. Madrid hat deshalb rund 10.000 spanische Polizisten nach Katalonien beordert.


Polizeieinheiten der Zentralregierung weniger zimperlich als die Mossos

Gerade erst haben die Mossos die Schule verlassen, kommen von der anderen Seite zwei Menschen angerannt – sie tragen die Urnen in die Schule. Die spanische Polizei hat in den vergangenen Tagen zwar rund 12 Millionen Wahlzettel beschlagnahmt (es gibt 5,3 Millionen Wahlberechtigte in Katalonien), ihr war es bislang aber nicht gelungen, die Urnen zu finden.

Kurz drauf klettert der Elternsprecher wieder auf den Stuhl. Nach einem ausgedehnten psssst sagt er: „Wir müssen jetzt die Wahltische aufbauen, bitte macht einen Gang frei für diejenigen, die in der Schule übernachtetet haben, sie kommen jetzt raus.“ Riesiger Applaus. Einer nach dem anderen der insgesamt 70 Eltern kommt heraus und die Menge skandiert unter rythmischem Klatschen „moltes  gràcies“, vielen Dank auf katalan. Es dauert Minuten, bis alle aus der Schule sind und die Rufe reißen nicht ab. Es ist ein Moment großer Solidarität. Draußen stehen die Nachbarn, die nun wählen können, weil drinnen die Eltern ausgeharrt haben. Um 8:30 Uhr hat sich eine über 100 Meter lange Schlange vor dem Wahllokal gebildet.

An der Schule Diputació bleibt es im weiteren Verlauf des Vormittags ruhig. Es bilden sich von zwei Seiten lange Schlangen um das Wahllokal im Zentrum von Barcelona, die um einen kompletten Häuserblock reichen. Auch die Mossos sind wieder da, greifen aber nicht weiter ein.

Die Polizei in der Stadt geht offensichtlich weniger zimperlich gegen die Separatisten vor als die Mossos. In der Schule Ramón Lull, ebenfalls in der Innenstadt Barcelonas, hat die Policía Nacional eingegriffen, aus der Schule die Urnen und Wahlzettel entfernt und auf dem Weg zurück zu ihren Mannschaftswagen mehrere Separatisten mit Gummigeschossen verletzt.

Maria, 21 Jahre alt, erzählt, dass auch die Aktion zunächst friedlich begann. Die Separatisten hakten sich vor den Toren der Schule zunächst ein und wollten die Polizisten nicht durch das Tor lassen. Die hätten ein bisschen gedrängt und wären dann doch rein. Doch als sie mit den Urnen und Wahlzetteln wieder heraus kamen, hätten die Separatisten sie aufhalten wollen. „Wir wollten nicht, dass sie jetzt zur nächsten Schule fahren und dort dasselbe machen“, erklärt Maria, die ihren Nachnamen lieber nicht nennt.

Also hätten die Separatisten sich auf die Straße gesetzt und der Polizei mit erhobenen Armen den Weg versperrt. Die aber hat mit Schlagstöcken und Gummigeschossen in die Luft und auch auf Demonstranten geschossen. Tatsächlich hört die Autorin dieses Textes kurz zuvor zahlreiche Schüsse, als sie in der Nähe der Schule aus dem Taxi steigt. Kurz darauf rennen Polizisten in großer Eile zu ihren Mannschaftswagen, gefolgt von mehreren Dutzend Demonstranten. Die Blaulichter gehen an und die Wagen fahren mitten durch den Verkehr davon. 

„Sie haben auf uns eingeschlagen, obwohl wir nur friedlich auf dem Boden saßen“, sagt der 18-Jährige Max Rey, der einen Tritt am Beim abbekommen hat. Der 37-Jährige David Pujol steht vor einem Krankenwagen und ist bereits von zahlreichen Kamerateams und Reportern umzingelt, die seine Wunde am Schienbein filmen. Dort hat ihn ein Gummigeschoss der Polizei getroffen. „Ich weiß nicht, wie weit sie von mir entfernt waren“, erzählt er. „Ich habe einem Verletzten geholfen, der zuvor ein Gummigeschoss abgekommen hat und plötzlich war ich auch getroffen.“ Der 37-Jährige wohnt eigentlich auf Mallorca und war nur nach Barcelona gekommen, um den Katalanen als Freiwilliger zu helfen. 

Die spanische Regierung hatte immer wieder versprochen, es werde kein Referendum geben, weil sie es verhindern werde. Am Morgen aber hatte die katalanische Regierung eine Wählerliste präsentiert und erklärt, jeder könnte in jedem Wahllokal wählen und würde per Computer mit seiner Stimme registriert.

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