Harvard-Professor Dani Rodrik „Amerika droht, im Streit zu versinken“

Der Harvard-Professor Dani Rodrik verurteilt das Einreiseverbot für Muslime und sorgt sich um die Stabilität der USA. Als gebürtiger Türke warnt er: Die Institutionen des Landes dürfen nicht ausgehöhlt werden.

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„Haltet euch bedeckt!“ Quelle: imago/ZUMA Press

Professor Rodrik, Sie sind gebürtiger Türke. Wie stehen Sie zum Einreiseverbot, das Präsident Trump erlassen hat?
Das Einreiseverbot ist furchtbar,  sowohl, wenn man an die Werte der USA denkt, aber auch, wenn es um nationale Sicherheitsinteressen geht. Es hilft nicht dabei, die Sicherheit in den USA zu erhöhen. Keines der betroffenen Länder hatte etwas mit dem Terrorismus auf amerikanischem Boden zu tun. Und die, die damit zu tun hatten, allen voran Länder wie Saudi-Arabien, sind nicht davon betroffen. Gleichzeitig ist das Verbot eine eindeutige Verletzung der Gleichbehandlung und des Grundsatzes, Menschen nicht aufgrund von ihrer Religion zu diskriminieren. Das sind Werte, die die USA hoch halten sollte, statt sie unverhohlen zu untergraben.

 

Welche langfristigen Konsequenzen erwarten Sie von dem  Einreiseverbot?
Wenn Trump auf diesem Weg weitermachen darf, werden die USA eine geschwächte Nation sein, die im Streit versinkt. Der einzige Hoffnungsschimmer ist, dass sogar Republikaner sich nun gegen den Präsidenten wenden, und ich würde eine hohe Wahrscheinlichkeit darauf setzen, dass er seine Amtszeit nicht zu Ende bringt.

 

Sie sind gebürtiger Türke, haben die Situation in dem Land genau verfolgt. Was geht Ihnen durch den Kopf?
Eine wichtige Erkenntnis, die wir von den Erfahrungen in der Türkei mitnehmen müssen, ist: Oft scheinen sich die Dinge am Anfang zu verbessern. Und wenn man nicht aufpasst, merkt man nicht, wie die Institutionen von innen ausgehöhlt werden. Erdogan hatte die Unterstützung der Europäer und der Amerikaner, als ein demokratisches Staatsoberhaupt und ein leuchtendes Beispiel für eine muslimische Demokratie. Bei Trump haben wir immerhin nicht die Illusion, dass er die Demokratie in den USA stärken will. Aber der Aktienindex Dow Jones ist vergangene Woche zum ersten Mal über die 20 000-Punkte-Marke geschossen. Es kann also durchaus sein, dass wir kurzfristig positive Effekte sehen. Aber die Erfahrung aus der Türkei lehrt mich, sehr vorsichtig zu sein.

Wie kann man demokratische Institutionen schützen?
Wir Intellektuelle und Wissenschaftler müssen laut und deutlich darauf hinweisen, wenn Verstöße gegen die Regeln geschehen. Die Medien haben natürlich auch eine sehr wichtige Rolle, aber ihre Arbeit wird immer schwieriger. Wir müssen auch darauf setzen, dass Trumps Minister und sein Team sich an die Spielregeln halten. Als Außenminister oder Finanzminister hat man die Verantwortung, die Standards, für die die USA bekannt sind, einzuhalten. Auch wenn Dinge in anderen Ressorts schieflaufen, hat ein Minister die Pflicht, sich dagegen auszusprechen. Und wenn das nichts hilft, muss er zurücktreten.

 

Wie optimistisch sind Sie, dass das in dieser Regierung geschehen wird?
Ich weiß es nicht.

 

Werden Sie sich selbst stärker engagieren?
Ich versuche es. Über die Parallelen zwischen den USA und der Türkei haben bislang andere geschrieben. Vielleicht werde ich das in Zukunft auch tun.

 

Präsident Trump hat auch in der Handelspolitik einiges durcheinandergewirbelt. Er steht für „America First”, Einfuhrsteuern und für eine Mauer zu Mexiko. Beunruhigt Sie das?
Ich glaube, bei der Handelspolitik wird er eher bellen als beißen. Dass er das Transpazifische Handelsabkommen aufkündigen würde, war ja erwartet worden. Aber ich glaube nicht, dass er in absehbarer Zeit eine Mauer bauen oder Einfuhrsteuern gegenüber Nachbarstaaten erheben wird. Die Nordamerikanische Freihandelszone Nafta neu zu verhandeln wird sich sehr lange hinziehen.

 

Erwarten Sie einen großen Handelskrieg? Trump provoziert ja gerade China, Mexiko und die Europäer.
Davon gehe ich nicht aus. Aber ich würde nicht mein Haus darauf verwetten. Er ist sehr unberechenbar. Uns stehen einige Überraschungen bevor.


„Das schlimmstmögliche Resultat“

Was für Auswirkungen hat eine „America First”-Politik auf die amerikanische Wirtschaft?
Wir müssen die Optik von der Substanz trennen. Der Präsident will eindeutig ein Umfeld schaffen, in dem es sich Firmen zwei Mal überlegen, bevor sie Arbeitsplätze ins Ausland auslagern, und jene Stellen besonders hervorheben, die sie in den USA schaffen. Das wird natürlich die Entscheidungen in den Chefetagen beeinflussen. Bislang haben wir Präsident Trump als jemanden kennen gelernt, der sich mehr für einzelne Erfolgsmeldungen interessiert – 500 Jobs hier, 1000 Jobs da –, weil sich das besser in den Medien verkaufen lässt. Aber im Großen und Ganzen verändert sich noch nicht viel.

 

Wie meinen Sie das?
Sie müssen bedenken, dass es auch schon vor der Ära Trump den Trend gab, Jobs ins Land zurückzuholen. Neue Technologien wie die Robotik machen das möglich. Die Unternehmen werden also weiter an ihren Plänen festhalten und Arbeitsplätze in die USA zurückholen, und der Präsident wird sich das als sein Verdienst auf die Fahnen schreiben.

 

Deutschland ist seit vielen Jahren ein enger Partner bei der Handels-, aber auch bei der Sicherheitspolitik. Was wird sich für Deutschland ändern?

Deutschland und die EU als Ganzes werden feststellen, dass der Freund in Washington nicht mehr der ist, der er einmal war. Ich will Trumps Team jetzt nicht auf Ideen bringen. Aber ich wundere mich, dass Deutschland noch relativ gut weggekommen ist. Schließlich ist Deutschlands Leistungsbilanzüberschuss auf einem Rekordhoch. Anders als China exportiert Deutschland zwar mehr nach Europa als in die USA, aber rein rhetorisch hätte ich da mehr erwartet. Vielleicht kommt es ja noch. Deutschland ist in gewisser Weise die letzte Festung, die dem populistischen Angriff noch einigermaßen standhält. Trump zeigt Verständnis für die Brexit-Befürworter und für all jene, die weniger Europa wollen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das ein einfaches Verhältnis werden wird.

 

Was sollte Deutschland jetzt tun?
Bleibt ruhig und haltet euch bedeckt.

 

Wie werden sich die Gewichte in der Welt verschieben? Wird Europa eine größere Rolle einnehmen?
Ich würde gern sehen, dass Europa mehr Führung übernimmt, auch was die Verteidigung der liberalen, demokratischen Werte angeht. Nach Trumps Wahlsieg gibt es nicht viele Hoffnungsschimmer, außer dass Europa nun seine tiefen strukturellen Probleme überwinden kann. Natürlich ist Europa auch in einem Wahljahr, da wird es sehr schwer sein, internationale Führung zu übernehmen.

 

Wird sich Europa weiter spalten?

Ich denke, es wird ein Kerneuropa geben, das auf sozialen und politischen Gebieten enger kooperiert. Der Kern wird nur aus einer kleinen Anzahl an Ländern bestehen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob Frankreich und Italien dazugehören würden. Ich denke da eher an Deutschland, die Niederlande, Österreich und die skandinavischen Länder.

 

Wird die Nordamerikanische Freihandelszone Nafta auch auseinanderbrechen?
Die amerikanische Autoindustrie ist sehr eng mit Mexiko und Kanada verzahnt. Sollte die US-Regierung schnelle und radikale Schritte einleiten, dann würde das schwere Folgen haben – vor allem, was Arbeitsplätze und die Profitabilität der Hersteller angeht. Er würde sehr schnell von seinen Unterstützern aus der Geschäftswelt hören, dass das eine desaströse Entscheidung ist. Und ich denke, Trump versteht, dass er sich nicht selbst schaden sollte.

 

Gehen Sie davon aus, dass sich ausländische Unternehmen angesichts der ungewissen Lage in den USA mit Investitionen zurückhalten werden?
Wenn ich langfristige Investitionspläne in den USA hätte, würde ich erst einmal eine Weile abwarten. Die ganze Welt scheint an einem Wendepunkt zu sein. Es ist nicht klar, in welche Richtung wir steuern. Es ist klug, sehr vorsichtig zu sein.

 

Was ist Ihrer Meinung nach das größte Risiko in dieser Zeit?
Der gleichzeitige Zusammenbruch des wirtschaftlichen Systems und das Ende der liberalen demokratischen Gesellschaften. Es wäre eine Wiederauflage der 30er-Jahre, wenn Sie so wollen. Und das wäre wirklich das schlimmstmögliche Resultat.

 

Herr Rodrik, vielen Dank für das Interview.

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