Havard-Studie zu Restaurants Wie schädlich sind Mindestlöhne?

Schaden Mindestlöhne der Beschäftigung im Niedriglohnsektor? Viele Studien legen nahe, dass sogar das Gegenteil der Fall sein könnte. Nun haben Forscher einen neuen Ansatz gewählt – mit Hilfe der Bewertungsplattform Yelp.

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Ein höherer Mindestlohn kann unter Umständen sogar zu mehr Arbeitsplätzen im Niedriglohnsektor führen. Quelle: Reuters

Frankfurt Der kalifornische Gesetzgeber hat jüngst beschlossen, dass der Mindestlohn bis 2022 von derzeit 10 auf 15 Dollar steigen wird. Gut zwei Fünftel der Beschäftigten in dem Staat verdienen nach Medienberichten derzeit weniger als 15 Dollar die Stunde. Eine Reihe von Städten, darunter San Francisco, hat den heftig umstrittenen Mindestlohn von 15 Dollar schon vorher beschlossen.

Entsprechend viel Aufmerksamkeit bekommt deshalb in US-Medien eine Studie aus der Elite-Uni Harvard, derzufolge höhere Mindestlöhne zu deutlich mehr Restaurantschließungen führen. Die populäre Finanz-Website „Zero Hedge“ spricht von einer „Schock-Studie aus Harvard.  Die Trump-nahe Nachrichten-Website „Breitbart“ fand ihren ganz eigenen Zugang. „Mindestlohnerhöhungen drängen Nicht-Eliten-Restaurants aus dem Geschäft“, hieß es dort.

Urheber der Aufregung ist das amerikanische Ökonomenehepaar Dara Lee Luca und Michael Luca. Es ist angetreten, den wissenschaftlichen Erkenntnisstand zum Einfluss von Mindestlohnerhöhungen auf die Restaurantbranche umzukrempeln. Dara Lee arbeitet für das Institut Mathematica Policy Research, Michael lehrt an der Harvard Business School. Beide sind auf datengetriebene Politikanalyse spezialisiert. Für ihre Mindestlohnstudie kooperierten sie mit der Bewertungsplattform Yelp.

Platzhirsche auf dem hart umkämpften Gebiet der Mindestlohnstudien sind David Card und Alan B. Krueger. 1994 und 2000 veröffentlichten sie Studien zur Beschäftigungsentwicklung in Fast-Food-Restaurants der benachbarten Bundesstaaten Pennsylvania und New Jersey, nachdem in New Jersey der Mindestlohn erhöht worden war. 2010 folgte eine Studie von Dube, Lester und Reich, die den gleichen Ansatz auf viele Paare von benachbarten Kreisen in verschiedenen Bundesstaaten anwandte. In allen Studien war das Ergebnis, dass ein höherer Mindestlohn nicht zu Beschäftigungsverlusten, sondern eher zu Beschäftigungsgewinnen in dieser Niedriglohnbranche führt.

Die Theorie dahinter: Wenn die Restaurants wenig zahlen, ist es für sie schwer, genügend hinreichend gute Mitarbeiter zu finden. Um mit höheren Löhnen mehr Mitarbeiter anzuziehen, müssten die Firmen auch den schon vorhandenen Mitarbeitern mehr zahlen, was sie zögern lässt. Müssen sie das ohnehin tun, stellen sie tendenziell mehr Leute ein.

Das Ökonomenpaar Luca hat einen anderen Ansatz gewählt. Sie schauten sich für ihr Arbeitspapier auf Yelp die Bewertungen, Zugänge und Abgänge von Restaurants in der Region San Francisco an. Dort haben verschiedene Städte unterschiedlich hohe Mindestlöhne eingeführt. Die beiden untersuchten, ob ein höherer Mindestlohn die Wahrscheinlichkeit verändert, dass ein Restaurant schließt.  

Das Ergebnis hat es in sich: „Die Daten deuten darauf hin, dass höhere Mindestlöhne die Marktaustrittsrate von Restaurants erhöht“, schreiben die beiden. Das treffe vor allem Restaurants mit schlechten Bewertungen, die ohnehin existenzbedroht seien. Für ein Restaurant mit mittlerer Bewertung ermitteln sie eine um 14 Prozent erhöhte Wahrscheinlichkeit des Marktaustritts, wenn der Mindestlohn um einen Dollar pro Stunde steigt. Für Restaurants in der höchsten Bewertungskategoire (5 Sterne) ist kein Einfluss festzustellen.

Das legt nahe, dass die Gefahren von Mindestlöhnen ernster genommen werden müssen, als das in den Studien von Card und Krueger suggeriert wird. Denn ein Restaurant, das die Pforten schließt, kann auch keine Mitarbeiter mehr beschäftigen.

Allerdings müsste der Effekt statistisch abgesichert und ökonomisch bedeutsam sein, und er darf nicht durch andere Effekte, etwa eine höhere Zahl an Neueröffnungen systematisch kompensiert werden. In allen drei Punkten gibt die Studie jedoch Anlass zu Zweifeln.


Welche Zweifel gibt es

Zur statistischen Absicherung gibt es im Studientext die Einräumung, dass das Hauptergebnis „nur in bestimmten Spezifikationen“ statistisch signifikant sei. Statistikexperte Walter Krämer rät dazu, bei solchen Formulierungen hellhörig zu werden, denn sie deuten darauf hin, dass ziemlich viel mit den Daten herumprobiert wurde, bis brauchbare Ergebnisse im Sinne der Autoren herauskamen. Wenn das passiert, entwertet es die üblichen Kennzahlen für statistische Verlässlichkeit der Ergebnisse.

Ein Blick auf die grafische Darstellung zeigt denn auch, dass wenige Städte das Ergebnis stark beeinflussen. Nur ein Ergebnis bezeichnen die Autoren selbst als „robust“, dass nämlich eine Mindestlohnerhöhung schlecht bewerteten Restaurants mehr Probleme macht als gut bewerteten. Was den Gesamteffekt auf die Marktaustrittswahrscheinlichkeit angeht, sprechen sie dagegen nur von „suggestiver Evidenz“. Das ist die unterste Kategorie der Verlässlichkeit.

Die in der Zusammenfassung herausgestellte um 14 Prozent erhöhte Austrittswahrscheinlichkeit für Restaurants mittlerer Bewertung ist nicht ganz so dramatisch, wie sie etwa die viel gelesene Website „Zero Hedge“ der „Schock-Studie aus Harvard“ zuschrieb. Wenn die Wirkungsanalyse stimmt, dann macht etwa jedes 140. Restaurant dieser Kategorie wegen eines um einen Dollar erhöhten Mindestlohns zu. Das ist nicht nichts, aber auch nicht dramatisch. Nimmt man dagegen das nur am Ende der Studie mitgeteilte Ergebnis für alle Restaurants zum Maßstab, dann erscheint die um vier bis zehn Prozent erhöhte Austrittswahrscheinlichkeit noch bescheidener. Demnach wäre nur jedes 500. Restaurant betroffen.

Bleibt die Frage, ob die Zahl der Restaurants und Arbeitsplätze insgesamt sinkt, oder ob die frei werdenden Lokalitäten durch neue, bessere Restaurants ersetzt werden, oder schon bestehende  Restaurants mehr Leute einstellen. Diese Frage kann die Studie nicht beantworten, weil die Anzahl der Beschäftigten in den Yelp-Daten nicht enthalten ist. Der wichtigste Faktor, der in der Theorie zu steigender oder stagnierender Beschäftigung durch höhere Mindestlöhne führen kann, wird also nicht geprüft.

Was die Anzahl der Restaurants angeht, ermitteln die beiden Ökonomen einen negativen Einfluss des Mindestlohns, von dem sie allerdings einräumen, dass er statistisch nicht signifikant ist, also zufallsgetrieben sein könnte. Die Größenordnung des Effekts, den man einer Tabelle entnehmen muss, ist zudem bescheiden. Die Anzahl der Restaurants je 10.000 Einwohner sinkt von einem Durchschnitt von 45 für jeden Dollar mehr Mindestlohn um 0,1 bis 0,2, was 0,2 bis 0,4 Prozent ausmacht.

Fazit: Der wissenschaftliche Konsens in Sachen Einfluss von Mindestlohnerhöhungen auf Niedriglohnsektoren wie das Gaststättengewerbe wankt aufgrund dieser Studie nicht. Die ausgehfreudigen Kalifornier müssen nicht befürchten, ihr notorisch gesundes und fades Essen künftig selbst zubereiten zu müssen.

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