Heroin, Kinder, Waffen Auf Shoppingtour im Darknet

Der Amokläufer von München beschaffte seine Waffe in einem versteckten Teil des Internets, dem Darknet. Drogen und Pistolen bekommt man dort bereits leicht. Und das Darknet steht noch ganz am Anfang, warnen Experten.

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Der „geheime“ Teil des Internets ist ein Shoppingparadies für illegale Waren wie Waffen oder Drogen. Quelle: dpa

In einem stillgelegten Industriegelände in Köln treffen sich dunkle Gestalten. Weil Markttag ist, haben sie kleine Stände aufgebaut. Der eine bietet 20-Dollar-Blüten an, der nächste gefälschte Reisepässe, ein anderer trägt einen kleinen Bauchladen vor sich her. Darin sind Päckchen mit Cannabis, Tüten mit Kokain und Heroin, Pillen aller Art. Auch Waffen gibt es in allen Größen und Formen. Kunden streifen durch die Marktgassen, ob Dealer, Betrüger, Auftragskiller, es gibt für jeden das passende Angebot.

Diese Szene ist nur halbfiktiv. Sie entstammt nicht der analogen, dafür aber der digitalen Welt. Die Beispiele finden sich allesamt in einer Studie von Trend Micro, einem weltweit führenden Anbieter für IT-Sicherheit. Seine Analysten haben das Darknet, einen verborgenen Bereich des Internet, zwei Jahre durchforstet. Dabei haben sie noch andere verstörende Offerten entdeckt, wie Kindersex. Zugang ins Darknet erhält nur, wer die richtige Software nutzt, um eines der Netzwerke unter der Oberfläche zu betreten. Am häufigsten kommt das Anonymisierungswerkzeug Tor zum Einsatz.

Auch der junge Mann, der in München am vergangenen Freitag neun Menschen und später sich selbst getötet hat, konnte die Tatwaffe im Darknet besorgen: Eine Glock 17, eine halbautomatische Waffe, die auch das österreichische Bundesheer und die deutsche Marine einsetzt. Dass der 18-jährige David S. an die Pistole gelangte, ist tragisch, aber nicht überraschend. Das Darknet befriedigt jede Art von Nachfrage. Wer in seinen virtuellen Schwarzmärkten shoppen will, ohne aufzufliegen, braucht mitnichten ein Informatikstudium.

„Es gibt viele Marktplätze für Waffen, die findet man leicht“, sagt Martin Rösler, Leiter des Bedrohungsforscherteams bei Trend Micro. Um eine Waffe aufzustöbern, brauche man im Normalfall nicht länger als 120 Minuten. Um eine Vertrauensverhältnis mit einem Verkäufer aufzubauen und den Kauf abzuwickeln, könnten noch einmal bis zu zehn Tage dazu kommen, schätzt er. Die Kunden zahlen über ein anonymisiertes Konto mit der Digital-Währung Bitcoin. Die funktioniert ähnlich wie ein iTunes-Code. Man kauft die Krypto-Währung an Automaten oder an Tankstellen, der Wert wird einer elektronischen Brieftasche gutgeschrieben. Mit der können Nutzer dann virtuell bezahlen.

Es geht heute schneller, sich mit Waffen oder anderen illegalen Waren einzudecken, als einen Termin beim Facharzt zu bekommen. Die noch schlechtere Nachricht: Was sich derzeit an kriminellem Potenzial im Darknet findet, ist nur der Anfang. Das meint zumindest Martin Rösler, der mit seinem Team unter anderem deutsche Behörden wie Landeskriminalämter (LKAs) berät. „Die Verbrechergeneration, die wir jetzt und in Zukunft erleben, ist mit dem Internet aufgewachsen.“

Die Anschaffungskosten für kriminelle Software sinkt, Technologie wird jedes Jahr billiger. Außerdem ist die Anwendung kinderleicht. „Dschihadisten bedienen komplexe Verschlüsselungstechnologien als seien es Wetter-Apps“, meint Rösler. Kein Wunder, wo doch die Rechenleistung eines herkömmlichen Smartphones heute das übersteigt, was die NASA während der gesamten Mondlandephase zur Verfügung hatte.

Mit fortschreitender Digitalisierung bieten sich mehr Angriffsflächen. Flugzeuge, Schiffe und bald auch Autos, die statt Menschen Computer steuern, ist nur ein Beispiel. Schon heute erleiden Unternehmen Schätzungen zufolge jährlich einen finanziellen Schaden in Höhe von 375 bis 575 Milliarden US-Dollar weltweit. Allein in Deutschland entstand ein geschätzter Gesamtschaden im zweistelligen Milliardenbereich, wie die Wirtschaftswoche schreibt.


Sicherheitsbehörden stoßen an ihre Grenzen

Auf die Bedrohung aus dem Web haben Behörden wie LKAs und Staatsanwaltschaften Stellen für Internetkriminalität eingerichtet. „Das Web mach Bedrohung vielfältiger“, sagt Frank Scheulen vom Landeskriminalamt Nordrheinwestfalen. 100 Kollegen arbeiten im „Cybercrime-Kompetenzzentrum“ und konzentrieren sich dort auf Arznei- und Lebensmittelkriminalität. Bei der Staatsanwaltschaften Köln kümmert sich die „Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen“ (ZAC NRW) um digitale Verbrechensbekämpfung.

„Wir erleben, wie Betrugsdelikte, die vorher am Telefon oder im persönlichen Kontakt stattgefunden haben, ins Internet wandern, so wie Phishing – der Diebstahl persönlicher Daten per Mail oder SMS“, sagt Daniel Vollmert, Pressesprecher für Wirtschaftsstrafsachen bei der Staatsanwaltschaft Köln. Mit der Digitalisierung habe nicht nur die Zahl der Straftaten zugenommen, auch die Qualität habe sich verändert. Betrügen kann man heute per Mausklick vom Wohnzimmersessel aus. Entsprechend sei die Hemmschwelle für Straftaten gesunken. Das Darknet ermögliche es auch jungen, strafunmündigen Personen, schwere Verbrechen durchzuführen.

Die Fälle, die die Polizei im Darknet aufdeckt, sei nur „die Spitze des Eisbergs“. Dennoch sieht Vollmert die Behörden gut gegen Cyberkriminelle gerüstet, eine Perspektive, die der IT-Sicherheitsexperte Martin Rösler nicht teilt. Sobald sich Server im Ausland befinden, stoßen Sicherheitsbehörden an ihre Grenzen. Dazu kämen die vielen Verschlüsselungstechnologien, hinter denen sich Verbrecher gut verstecken könnten.

Doch hauptsächlich sieht Rösler finanzielle Probleme. Vom Budget einer LKA seien vielleicht fünf Prozent für IT-Kriminalität vorgesehen, schätzt Rösler. Um Verbrecher im Darknet wirksam zu bekämpfen, um sie zu überwachen und ihre Identität zu enttarnen, brauche man riesige Serverfarmen. „Das kostet richtig Geld“. Außerdem fehle es an IT-Sicherheitsspezialisten. „Die Industrie hat auch riesigen Bedarf und zahlt wesentlich mehr als der Staat“.

Daniel S. hat München in Angst und Schrecken versetzt und den Angehörigen der Opfer unermessliches Leid zugefügt. In Zukunft könnten noch ganz andere Formen von Anschlägen auf die Gesellschaft zukommen, meint Rösler. Erpresser, die drohen, die Bremsen selbstfahrender Autos zu deaktivieren. Hacker, die einfach mal die Ampeln einer Stadt auf rot schalten. Es sei unmöglich, Sicherheit zu garantieren oder einen überzeugten Amokläufer davon abzuhalten, eine Waffe zu besorgen. Noch wichtiger als technisch und juristisch aufzurüsten, sei daher Prävention, die Arbeit von Sozialarbeitern oder Psychologen, sagt Rösler. „Das Problem ist nicht das Darknet, sondern dass es Täter gibt.“

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