Hilfsprogramm endet Griechenlands Premier Tsipras muss 88 Reformen in 100 Tagen umsetzen

Bis zum 21. Juni muss die griechische Regierung alle Reform- und Sparvorgaben umsetzen, um das Land vom Tropf der Hilfskredite zu lösen.

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Griechenland: Premier Tsipras muss 88 Reformen umsetzen Quelle: Reuters

Athen Ende März will der Euro-Stabilitätsfonds ESM weitere 5,7 Milliarden Euro nach Athen überweisen. Nachdem die Finanzminister der Euro-Gruppe am Montagabend die Auszahlung billigten, müssen nun nur noch einige EU-Parlamente zustimmen, was aber als Formsache gilt. Voraussichtlich im Frühsommer wird dann eine letzte Kreditrate von 11,7 Milliarden Euro fließen, bevor Griechenland am 18. August das Hilfsprogramm beendet.

Acht Jahre lang hielt sich das Land mit Finanzspritzen der Euro-Partner und des Internationalen Währungsfonds (IWF) über Wasser. Das Programmende, so meint Euro-Gruppenchef Mario Centeno, werde in Griechenland „eine neue politische Realität darstellen“.

Aber bis es so weit ist, muss die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras noch jede Menge liefern. Nicht weniger als 88 Maßnahmen umfasst die Reformagenda, die Griechenland im Rahmen  der jetzt begonnen vierten und letzten Prüfrunde abarbeiten muss. Darunter sind politisch kontroverse Punkte wie Privatisierungen, die Öffnung des Energiemarktes, Steuererhöhungen und weitere Rentenkürzungen.

Beim Treffen der Euro-Finanzminister in Brüssel gab es viel Lob, aber auch Mahnungen für Athen: Euro-Gruppenchef Centeno sieht „bemerkenswerte Fortschritte bei der Umsetzung des Programms“, Griechenland sei „auf der Zielgerade“. Er erwarte aber, dass die Regierung „ein klares Bekenntnis zur Fortsetzung der Reformen ablegt“.

EU-Währungskommissar Pierre Moscovici drängt: „Wir haben keine Zeit zu verlieren“. Bis zum Treffen der Euro-Gruppe am 21. Juni seien es nur noch 100 Tage, bis dahin müsse Athen alle Vorgaben erfüllen, so Moscovici. Auch ESM-Chef Klaus Regling spricht mahnend von einem „engen Zeitplan“.

Parallel zur Umsetzung der Reformagenda arbeitet die Athener Regierung jetzt unter Federführung des neuen Wirtschaftsministers und Vizepremiers Giannis Dragasakis an einer langfristigen Wachstumsstrategie, mit der Griechenland den Ausstieg aus dem Hilfsprogramm flankieren soll.

Dieses Programm muss spätestens bis zum informellen Treffen der Euro-Finanzminister am 27. April in Sofia vorliegen. Es sei wichtig, dass Athen seine eigene Reformagenda für die Zeit nach dem Programmende ausarbeite und eigenverantwortlich umsetze, sagte Euro-Gruppenchef Centeno.

Trotz aller Erfolge bei den Strukturreformen und der Konsolidierung der Staatsfinanzen sei Griechenland aber „nach wie vor empfindlich für interne und externe Schocks“, warnt der Portugiese. Als eine Art Sicherheitsnetz soll Athen deshalb bis zum Programmende ein Liquiditätskissen von rund 18 Milliarden Euro aufbauen, um die Rückkehr an den Kapitalmarkt abzufedern.

Diese Rücklage würde den Refinanzierungsbedarf des Landes bis etwa Ende 2019 decken. Drei Milliarden Euro für diesen Cash-Puffer hat Griechenland bereits Anfang Februar mit der Emission einer siebenjährigen Anleihe aufgenommen, zwei weitere Bonds sollen bis zum Sommer noch einmal sechs Milliarden einbringen. Die andere Hälfte der Rücklage wird aus Krediten des ESM bestehen. Geld ist genug vorhanden, da Athen von den 86 Milliarden Euro des dritten Rettungspakets bisher erst knapp 46 Milliarden abgerufen hat, einschließlich der bis Ende März erwarteten Rate.

Bei ihrem Treffen in Sofia werden die Euro-Finanzminister auch über Schuldenerleichterungen für Griechenland beraten. Vor allem der IWF drängt auf Maßnahmen, um die Schuldenlast des Landes, die bis Ende dieses Jahres auf fast 180 Prozent anwachsen wird, tragbar zu machen.

Die Vorbereitungen dazu laufen bereits auf Expertenebene. Angedacht sind unter anderem längere Laufzeiten, zusätzliche tilgungsfreie Jahre und niedrigere Zinsen für die gewährten Hilfskredite sowie eine Übernahme teurer und kurz laufender IWF-Darlehen durch den ESM. Auf dem Tisch liegt auch ein französischer Vorschlag, die Tilgung der griechischen Staatsschulden an die Wirtschaftsentwicklung zu koppeln. In guten Jahren könnte das Land mehr zurückzahlen, in schwachen weniger.

Schuldenerleichterungen sind ein politisch heikles Thema. Weitere Zugeständnisse an Griechenland sind in vielen Euro-Staaten unpopulär. Andererseits bieten sie die den Gläubigern ein Instrument, das Land unter Beobachtung zu halten – etwa indem man die Umsetzung der Schuldenmaßnahmen an weitere Reformen knüpft.

Euro-Gruppenchef Centeno sagte jetzt in einem Interview, mit dem Ende des Programms werde Griechenland zwar die Kontrolle über seine Politik wiedererlangen, aber innerhalb eines „Überwachungsrahmens“. Auch ESM-Chef Klaus Regling unterstrich am Wochenende gegenüber der griechischen Zeitung „Proto Thema“, wenn es zusätzliche Schuldenerleichterungen gebe, „müsste es auch zusätzliche Überprüfungen, eine Art von strengerer Kontrolle geben“.

Premier Alexis Tsipras wird das nicht gern hören. Er pocht einerseits auf Schuldenerleichterungen, verspricht seinen Landsleuten aber zugleich einen „sauberen Ausstieg“ aus dem Programm, ohne neue Auflagen. Man werde Ende August „wieder selbst die Schlüssel in die Hand nehmen“, frohlockt Tsipras.

Solche Ankündigungen sorgen in Kreisen der Gläubigerinstitutionen für gemischte Gefühle. Dort gibt es die Befürchtung, die Athener Regierung könnte nach dem Auslaufen des Programms unpopuläre Reformen zurückdrehen, etwa in der Renten- und Arbeitsmarkpolitik, und Geschenke verteilen – schließlich stehen spätestens im September 2019 in Griechenland Wahlen an.

Umso genauer werden die Euro-Partner und Geldgeber Griechenland den Wachstumsplan studieren, den Tsipras im April vorlegen muss.

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