Hoffnung nach jahrelanger Krise Warum deutsche Unternehmen sich Brasilien weiter antun

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„Es ist nicht leicht, Brasilien zu verstehen“

Jetzt aber ist die Hoffnung zurück. Das Land wird durch die Rentenreform in den kommenden zehn Jahren mehr als 200 Milliarden US-Dollar einsparen. Es ist der Ruck, den Brasiliens Wirtschaft so dringend benötigt nach der schweren Rezession in den vergangenen Jahren. Schon als sich abzeichnete, dass es dieses Mal ernst werden könnte mit der Rente, zogen die Investitionen an. Die etwa 1200 deutschen Firmen im Land nehmen das weitgehend wohlwollend zur Kenntnis. Aber bei manchen gibt es einen faden Beigeschmack, weil Präsident Bolsonaro das Land polarisiert. „Wenn er seinen Mund aufmacht, ist das auch nicht anders als bei Trump. Es gibt immer nur Stress“, sagt Bender.

Bolsonaros Hetze gegen Minderheiten, seine abwertenden Kommentare über die Demokratie und seine Wertschätzung für Brasiliens Militärdiktatur wiegeln seine Anhänger und seine Gegner gegeneinander auf. Die Verhärtung der Fronten ist ein hoher Preis, den die Gesellschaft zahlen muss. Und dann ist da auch noch dieses Problem mit dem Regenwald. Diesen Sommer wurden so viele Bäume gerodet wie seit vielen Jahren nicht mehr. Das brasilianische Weltrauminstitut Inpe ermittelte anhand von Satellitenbildern, dass sich das Volumen der gerodeten Fläche im Jahresvergleich etwa vervierfacht hatte. Der Institutsleiter wurde daraufhin von Bolsonaro entlassen.

Doch es gehört auch zur Wahrheit, dass die Rodung seit Jahrzehnten ein kontinuierliches Problem ist, das den Rest der Welt mal mehr und mal weniger interessiert. „Als Brasilianer sage ich ihnen, was hier passiert, passiert jedes Jahr. Aber dieses Jahr ist einfach viel zu übertrieben. Es ist viel mehr als sonst“, sagt Eder Ramos. Er ist verantwortlich für die Beschaffung der Rohstoffe für die Produktion von Kosmetikprodukten bei Symrise, einem Mittelständler aus dem westfälischen Holzminden. Sao Paulo ist das globale Zentrum für seinen Geschäftsbereich.

Mit den zurückgekämmten Haaren, graumeliert, und den gefalteten Händen auf dem Tisch wirkt er wie ein väterlicher Anwalt, dessen sonore Stimme klingt wie der Sprecher in einem Werbespot für französischen Cognac. Symrise hat kürzlich eine neue Fabrik im Bundesstaat Amazonas eröffnet. Gemeinsam mit dem lokalen Handelskonzern Natura arbeitet das Unternehmen mit Familien im Regenwald zusammen, um ihnen Alternativen zur Waldrodung als Einnahmequelle aufzuzeigen. „Aber das genügt nicht, um den Regenwald zu retten. Um das Problem zu lösen, benötigen wir Technologie aus dem Ausland. Leider widerspricht das dem Ansatz der neuen Regierung“, sagt Ramos. Denn ausländische Technologie muss wegen irrsinnig hoher Importzölle teuer bezahlt werden.

30 Minuten bei gutem Verkehr entfernt sitzt Marcio Weichert vor einem Haufen Kekse und zwei Kannen Kaffee für seine Gäste. Er ist Programmkoordinator im Deutschen Wissenschafts- und Innovationshaus (DWIH) im Zentrum des Millionen-Molochs. Wegen seines weichen Akzents, den man hört, wenn er fließend deutsch spricht, könnte man ihn glatt mit einem Franzosen verwechseln. „Die Wissenschaft sagt, Brasilien kann viel mehr Agrarprodukte produzieren, ohne die Flächen auszuweiten. Aber es fehlen die Investitionen in die Technologien.“ Hat Bolsonaro denn Recht, wenn er die Europäer als Klimahysteriker bezeichnet? „Man sollte die Klimaforscher fragen“, sagt Weichert. Er selbst sei keiner. Die überwältigende Mehrheit der Klimaforscher der Welt mahnt die internationalen Politiker seit Jahren zum sofortigen Handeln.

Neue Technologien könnten dabei auch neue Türen öffnen. Ganz Brasilien hofft darauf, dass der Jobmotor wieder anspringt. 13 Millionen Menschen sind ohne Arbeit, mehr als zwölf Prozent. Eine Steuerreform wäre ein weitere Baustelle, die dringend geschlossen werden müsse, um gerade auch ausländischen Firmen die Angst vor dem Standort zu nehmen. Auch die immensen Importzölle drücken auf die Stimmung. Ein Hoffnungsschimmer ist das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay. Aber noch ist eine endgültige Fassung des Abkommens nicht unterzeichnet.

„Es ist nicht leicht, Brasilien zu verstehen und auch nicht, weshalb Firmen wie wir hier weiter investieren“, sagt Eder Ramos, der Mann mit der sonoren Stimme. „Aber wir glauben an dieses Land, und wir investieren weiter. Und nicht nur, weil ich Brasilianer bin.“

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