Illegale Öl-Raffinerien Verfluchter Bodenschatz im Nigerdelta

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Ein Pulverfass

Die Deltaregion, in der 30 Millionen Menschen leben, gleicht einem Pulverfass, und oft genügt ein kleiner Funken, um irgendwo eine Explosion auszulösen. Das kann ein Streit um fruchtbares Land sein, das durch den Bevölkerungsdruck und die Umweltschäden immer knapper wird. Oder ein Scharmützel zwischen Milizen, die um Territorien und "Zapfstellen" kämpfen. Manchmal geht es auch darum, wer wie viel Entschädigung von den Ölkonzernen kassiert (die allerdings nur dann zahlen, wenn ihre Versäumnisse eindeutig nachgewiesen wurden). Dann tobt sich der ganze Ärger, der sich in den verarmten Gemeinden aufgestaut hat, in einem selbstzerstörerischen Furor aus. Die Folgen kann man in dem Dorf besichtigen, aus dem Jele kommt. Links von der Hauptstraße sind alle Häuser intakt, rechts stehen nur noch ausgebrannte Ruinen.

Wir können nur ganz kurz in diesem Dorf bleiben. "Dies ist eine der gefährlichsten Gegenden der Welt, vor allem für Weiße", warnt der Führer, der uns durchs Delta lotst. "Auf eurer Stirn klebt nämlich ein Preisschild." Ein dezenter Hinweis auf die Geiselnahmen, die zu einem lukrativen Geschäftszweig der Milizen geworden sind. Kurz vor unserer Ankunft wurden sieben ausländische Mitarbeiter von Exxon Mobil gekidnappt, um von der Konzernleitung Lösegeld zu erpressen. Jedes Hotel, in dem man sich zu lange aufhält, jeder Marktplatz, jede Straßenkreuzung ist ein potenzieller Entführungsort.

Auch in Yenagoa, der Hauptstadt des Bundesstaates Bayelsa, muss alles ganz schnell gehen. Das Motorboot, das uns zum Katastrophengebiet am Förderfeld von Osiama bringen soll, wartet schon. Vorher müssen wir aber noch bei Emmanuel Kokorifa vorsprechen, dem 70-jährigen "Paramount Chief". Er ist der Oberhäuptling der betroffenen Gemeinden, ohne seine Erlaubnis kann man sie nicht besuchen. Schon zur frühmorgendlichen Begrüßung schenkt er billigen Kognac in Wassergläser. Mit seinem Mississippi-Zylinder und dem weinroten Gewand sieht er aus, als wäre er den Abenteuern des Huckleberry Finn entsprungen. "Am Anfang waren wir alle glücklich über die Ölfunde und hatten große Erwartungen", erinnert sich Kokorifa. "Und was hat der Reichtum in unserer Erde am Ende gebracht? Verluste, Verluste und noch mal Verluste. Schaut sie euch in meiner Gemeinde an."

Verschwommene Grenzen

Alagoa Morris, ein pensionierter Beamter, der das Desaster im Auftrag der Umweltorganisation ERA dokumentiert hat, wird uns in die schwer zugängliche Region begleiten. Im Feldbericht Nr. 249 schreibt er, dass die Dorfbewohner das Leck in der letzten Augustwoche gemeldet haben. Ende Oktober konnte er sich erstmals selber ein Bild machen und den Verursacher benennen: den italienischen Ölkonzern Agip. Aus dessen Pipelines, die hinaus in den Atlantikterminal Brass führen, ströme seit zwei Monaten eine unbekannte Menge Rohöl und verschmutze die Gewässer und Böden in Ogbunugbene und drei weiteren Gemeinden, heißt es im Report. Damit der Ort des Geschehens nicht verwechselt wird, sind die genauen Koordinaten angegeben: 4 Grad 57' Nord / 6 Grad 20' Ost.

Morris ist ziemlich nervös, Umweltaktivisten wie er werden verfolgt und regelmäßig eingesperrt. Er wird noch nervöser, als wir 40 Minuten später mit erhobenen Händen auf einen Militärposten zutuckern. Woher? Wohin? Die Soldaten mustern uns argwöhnisch. Weiterfahren! Kurz darauf passieren wir das Lager von General Africa, einem der berüchtigten Anführer einer Miliz, die Anschläge auf Ölfirmen verübte, Mitarbeiter kidnappte und das Umland terrorisierte. Die Schilfhütten im Uferdickicht sind verwaist, denn die Kämpfer haben eine Friedensofferte der Regierung angenommen: Sie gaben ihre Waffen ab, wurden amnestiert – und erhalten staatliche Unterhaltszahlungen. Der General stieg zu den geschätzten Beratern des Gouverneurs von Bayelsa auf. Seine Beförderung zeigt, dass im Delta die Grenzlinien zwischen Kriminellen und Offiziellen oft fließend sind.

Im Zielgebiet steigen wir vom Schnellboot auf ein Kanu um. Es kommt auf den engen Wasserrinnen, die tief in die Sümpfe führen, nur langsam voran. An den Ufern wuchern üppige Farne, Lianen, Bambusstauden, scharfstachelige Gewächse, dazwischen Urwaldbäume mit mannshohen Brettwurzeln. Aus dem Blätterdach dringt das metallische Gesirr der Zikaden, manchmal ist das Knarzen von Hornschnäblern und Papageien zu hören. Ein unberührtes Paradies denkt man, wild und schön wie auf den Gemälden von Henri Rousseau – wäre da nicht das ferne Knattern einer Kettensäge.

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