Importstreit über Fleisch „Schweinerei“ der EU – Russland droht mit WTO-Austritt

Mit einer Milliardenklage der EU gerät die Sanktionspolitik zwischen Russland und dem Westen wieder in den Fokus. Moskau will nicht nachgeben. Einige Abgeordnete drohen sogar mit dem WTO-Austritt.

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Russland lässt derzeit kein Schweinefleisch aus der EU ins Land. Das könnte gegen die WTO-Regeln verstoßen. Quelle: Reuters

Moskau Die Europäische Union fordert 1,39 Milliarden Euro Schadenersatz für das anhaltende Verbot Russlands, Schweinefleisch aus Europa einzuführen. Eine entsprechende Klage hat Brüssel vor der Welthandelsorganisation WTO gegen Moskau erhoben. Die Strafe entspricht dem Schweinefleischexport der EU nach Russland aus dem Jahr 2013 und soll sich pro Jahr um 15 Prozent erhöhen, wenn Moskau nicht einlenkt.

Ursprünglich hatte die russische Landwirtschaftsaufsichtsbehörde Rosselchosnadsor das Importverbot im Januar 2014 verhängt, nachdem sowohl in Litauen als auch in Polen Fälle der afrikanischen Schweinepest auftauchten. Später wurde das Verbot in das allgemeine Lebensmittelembargo integriert, mit dem Moskau auf die westlichen Sanktionen reagierte.

Im August 2016 hatte ein Schiedsgericht der WTO die russischen Einfuhrbeschränkungen für Schweinefleisch als Verstoß gegen die WTO-Regeln qualifiziert und auch einen Einspruch Moskaus Anfang 2017 abgewiesen. Im Dezember erklärte daher das russische Landwirtschaftsministerium das Importverbot wegen der Schweinepest für aufgehoben. Trotzdem werde weiterhin kein Fleisch aus der EU importiert, da es auf der allgemeinen Schwarzen Liste des Lebensmittelembargos stehe, teilte Ministeriumsvertreterin Julia Melano mit.

Die Schadenersatzklage der EU ist nun der nächste Schritt in dem Rechtsstreit, den die WTO eigener Satzung nach innerhalb von 60 Tagen entscheiden soll. In der Regel dauern solche Streitigkeiten allerdings deutlich länger. Klein beigeben will Moskau deswegen noch lange nicht: Der Leiter der Abteilung für Handelsgespräche im Wirtschaftsministerium nannte die Klage grundlos. Russland habe die Anweisung des Schiedsgerichts befolgt, sagte Maxim Medwedkow. Moskau werde daher das Schiedsgericht erneut anrufen und erwarte „eine unvoreingenommene, transparente und auf den Regeln und der Praxis der WTO beruhende Entscheidung“, betonte der Beamte.

Im Föderationsrat, dem Oberhaus des russischen Parlaments, ist die Tonlage deutlich schärfer: Der Vizechef des Außenausschusses, Wladimir Dschabarow, bezeichnete die Klage als „Willkür“ des Westens. Selbst wenn die WTO ihr stattgebe, dürfe Russland nicht bezahlen, forderte er. Die Situation mache zudem einen Austritt aus der WTO wieder aktuell, da die Organisation Russland nicht vor westlichen Sanktionen schütze, fügte Dschabarow hinzu.

Ähnlich argumentiert der Vizechef des Wirtschaftsausschusses, Sergej Kalaschnikow. Die Europäer hätten mit ihren Sanktionen als erste gegen WTO-Recht verstoßen, meinte er. „Sanktionen sind überhaupt nicht mit den WTO-Regeln vereinbaren. Wird der Klage der EU stattgegeben, müssten wir wohl unsere Beteiligung an der Welthandelsorganisation einschränken und vielleicht ganz einstellen“, drohte er.

Die Sanktionsspirale zwischen Russland und dem Westen wurde nach dem russischen Anschluss der Krim und dem Ausbruch des bewaffneten Konflikts im Donbass-Gebiet in Gang gesetzt. Die EU reagierte neben Einreiseverboten und Kontosperrungen gegen Russen und Ukrainer auch mit sektoralen Sanktionen gegen die russische Wirtschaft. Betroffen davon sind der Finanzsektor sowie Exporte an die russische Öl- und Rüstungsindustrie. Russland antwortete ebenfalls mit Einreisesperren und einem Importverbot für Agrarprodukte und Lebensmittel aus der EU.

Der aktuelle Streit über das Fleisch ist insofern davon losgelöst, da das Importverbot bereits vorher bestand. Möglicherweise sei in dem Streit „gerade die Existenz des Verbots vor dem Sanktionskrieg hier ein Argument für seine Unrechtmäßigkeit“, vermutet Sergej Utkin, Experte am staatlichen Institut für Weltwirtschaft der Russischen Akademie der Wissenschaften. Russland werde versuchen, die Berechtigung der Maßnahme aus gesundheitlichen Gründen nachzuweisen.

Der Wirtschaftsexperte sieht die Androhungen eines WTO-Austritts aus dem Föderationsrat gelassen: „Das Parlament ist bei uns in erster Linie als Quelle scharfer Äußerungen gefordert, während die Entscheidungen in einem anderen Teil des Staatsapparats getroffen werden“, sagte er dem Handelsblatt. Die WTO sei für Russland wichtig, zumal selbst der Kreml immer wieder die Exportorientierung der Wirtschaft betone. WTO-Gegner seien „Lobbyisten nicht konkurrenzfähiger Sektoren“.

Auch die Bedeutung des aktuellen Streits will Uktin nicht überbewerten: Selbst wenn die Beschränkungen als illegitim eingestuft würden, sei „das noch keine Tragödie und keine Niederlage, sondern die Rückkehr zur Norm“, sagte er. Der Prozess werde sich sicher eine Weile hinziehen und den russischen Juristen in jedem Fall wichtige Erfahrungen in der Nutzung der WTO-Mechanismen an die Hand geben, ist er überzeugt.

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