Indien Überfall im Namen der Regierung

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Überfallartige Reform

Die Opposition kritisiert den Premier laut für die überfallartige Reform und derartige Folgen. Der Angegriffene setzte bei einer Veranstaltung in Goa auf Mitgefühl: „Gebt mir Zeit bis zum 30. Dezember. Wenn ihr danach irgendwelche Fehler in meinen Absichten oder Taten findet, werde ich jede Strafe akzeptieren, die das Land mir geben will“, sagte Modi. „Ich verspreche, ich gebe euch das Indien eurer Träume.“

Allerdings hat Modis Kampf für sauberes Geld noch weitere ärgerliche Folgen. Schon zwei Tage nach der Einführung des neuen 2000er-Scheines tauchten die ersten Fälschungen auf, einem Gemüsehändler wurde eine Blüte untergeschoben. Eigentlich sollten die neuen Noten Sicherheitschips enthalten. Aber dafür sei so schnell keine Zeit gewesen, räumte die Regierung ein.

Es gibt dennoch wichtige Stimmen, die die Tat der Regierung stützen. „Es war ein mutiger Schritt“, sagt etwa Harshavardhan Neotia, Präsident der indischen Industrie- und Handelskammer. Auch zahlreiche Bürger stehen zum Premier: „Er musste es abrupt ankündigen, damit seine eigenen Politiker nicht ihr Geld in Sicherheit bringen“, sagt ein 40-jähriger Mann vor einem Geldautomaten in Delhis wohlhabenderem Süden. Die Unsicherheit, so der Mitarbeiter eines internationalen Öl- und Gaskonzerns, gehe vorbei: „Es ist für eine gute Sache.“ Allerdings trifft die Währungsreform jene am härtesten, die ohnehin wenig haben: Frauen, die jahrelang Geld unter ihrer Matratze verstaut haben, müssen den Ehemännern plötzliche ihre Reserven offenlegen. Tagelöhner können kein Essen kaufen, weil sie derzeit keinen Lohn ausgezahlt bekommen.

Dafür spüren die Anbieter mobiler Bezahlsysteme die positiven Effekte. Keine drei Tage nach Bekanntgabe der Bargeldentwertung meldete Paytm, der größte indische Anbieter für mobiles Bezahlen, bis zu vier Mal mehr Downloads. Die eingezahlte Geldsumme stieg um das Zehnfache.

Genau dies dürfte Premierminister Modi bezwecken. Er hatte bereits in früheren Ansprachen verkündet, Indien zur bargeldfreien Nation machen zu wollen. Trotz einer groß angelegten Kampagne zur finanziellen Inklusion besitzt bisher nur jeder zweite Inder ein Bankkonto. Vor allem ärmere Menschen sehen darin häufig keinen Sinn. „Ich verdiene zu wenig, um davon etwas zu sparen“, sagt etwa Imran Hussein, ein Rikschafahrer. Von mobilem Bezahlen will er erst gar nichts wissen. Ein Handy hat der Analphabet nicht, und selbst wenn: „Ich könnte damit höchstens telefonieren.“

Um die Unterschicht an der Entwicklung des Landes teilhaben zu lassen, müsste die Regierung kräftig investieren. Wenigstens könnten Regierung und Bankenwirtschaft bald über die nötigen Mittel dafür verfügen: Der Staat hofft auf jede Menge nachgezahlte Steuern, Indiens marode Institute auf neue Einlagen von umgerechnet bis zu 30 Billionen US-Dollar. „Das Geld muss in den Markt geschickt werden, ohne Inflation zu schüren“, sagt Sanjeev Ahluwalia, Ökonom bei der Observer Research Foundation in Delhi, „beispielsweise über günstige Kredite oder Investitionen in brachliegende Infrastrukturprojekte, sodass Jobs entstehen.“

Sicher sei, dass durch den Geldnoten-Wechsel die Korruption in der Politik gedämpft werde, so der Wirtschaftsexperte. Denn selbst die Parteien finanzierten ihre Wahlkämpfe bislang zum Großteil über Schwarzgeld. Und: Weniger dubioses Kapital und mehr Steuerehrlichkeit könnten künftig Unternehmen in die Hände spielen, die sauber arbeiten, gerade auch internationalen. Rahul Oza, der für die Beratung Rödl und Partner in Indien arbeitet, sagt: „Hier dürften sich ganz neue Chancen für deutsche Unternehmen ergeben. Korrupte Beamte müssen sich jetzt zweimal überlegen, was sie tun.“

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