Indonesien Im Visier der Islamisten

Indonesien gilt als toleranter muslimischer Vorzeigestaat. Doch nun demonstrieren Salafisten ihre Macht – und bedrohen die wirtschaftliche Entwicklung. Dabei gäbe es ein einfaches Mittel gegen den Einfluss der Islamisten.

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Am 4. November versammelten sich bis zu 200.000 Menschen nach dem Freitagsgebet zum Protest, 300 Menschen wurden bei darauffolgenden Ausschreitungen verletzt. Quelle: Reuters

Jakarta Der Compliance-Chef eines der größten Unternehmen Indonesiens ist Christ – und besorgt. Als er Anfang November die brennenden Autos und die Tränengasschwaden im Herzen Jakartas sah, legte er sich schon den Reisepass für eine mögliche Flucht parat. „Ich habe 1998 erlebt, ich weiß, wie schnell die Lage eskalieren kann”, sagt er in einem vertraulichen Gespräch. 1998 kam es zu schweren Unruhen gegen die chinesische Minderheit in Indonesien, schätzungsweise 1.000 Menschen wurden getötet.

Der Manager ist nicht der einzige, der von den radikalen Muslimen eingeschüchtert ist. Am 4. November versammelten sich bis zu 200.000 Menschen nach dem Freitagsgebet zum Protest, 300 Menschen wurden bei darauffolgenden Ausschreitungen verletzt. Es war die Wut auf Jakartas Gouverneur Basuki Tjahaja Purnama, die die Leute auf die Straße trieb – und teilweise wohl auch Geldgeschenke dessen politischer Gegner.

Auf den Straßen herrscht mittlerweile Ruhe. Doch der Streit um den christlichen und chinesisch-stämmigen Gouverneur, genannt „Ahok”, hat die Gesellschaft Südostasiens größter Volkswirtschaft weiterhin fest im Griff – und droht zu einer Bedrohung für das tolerante Indonesien und seinen wirtschaftlichen Aufschwung zu werden.

Am Mittwoch gaben die Behörden bekannt, dass gegen Ahok Anklage wegen Blasphemie erhoben werde – und folgen damit dem Ruf der Straße. Bis auf weiteres darf der Politiker das Land nicht mehr verlassen. Sollte Ahok schuldig gesprochen werden, drohen ihm bis zu fünf Jahre Haft. Der Streit kommt zu einem brisanten Zeitpunkt: Kommenden Februar finden neue Gouverneurswahlen in Jakarta statt, derzeit herrscht Wahlkampf. Die Radikalen könnten Erfolg damit haben, Ahok als Islamfeind zu brandmarken.

Indonesien gilt eigentlich als Vorbild für eine pluralistische Gesellschaft, als ein Beispiel dafür, dass Demokratie und Islam keine Gegensätze sind. 250 Millionen Menschen leben in dem bevölkerungsreichsten islamischen Land, rund 90 Prozent von ihnen sind Muslime – die große Mehrheit von ihnen praktiziert einen moderaten Islam.

Doch weil die Behörden dem Druck der Islamisten nachgaben, befürchten Beobachter nun, dass die Radikalen weiter an Bedeutung gewinnen werden. „Diese Anklage wird negative Auswirkungen haben”, sagt der Deutsche Pater Magnis-Suseno, der seit fünf Jahrzehnten in Indonesien wohnt und eine prominente Stimme der Toleranz ist. „Das ist ein Sieg der Islamisten auf der ganzen Linie und eine Schwächung der Rechtsstaates.“

Eine Aussage des Gouverneurs reichte, um die Islamisten gegen sich aufzubringen: Ahok hatte sich gegen eine Koranauslegung gewehrt, nach der Moslems keine Christen wählen dürften und dabei eine konkrete Sure angesprochen. „Wenn ihr befürchtet, dass ihr wegen einer Stimme für mich in die Hölle fahrt, weil ihr angelogen wurdet, macht euch keine Sorgen“, rief er bei einer Kundgebung.

Religion ist in Indonesien ein hochsensibles Thema – viele Beobachter kritisieren Ahoks Bemerkung als unklug. Eine Anklage wegen Blasphemie gehe jedoch zu weit. „Es zeigt sich, dass die Behörden sich eher um religiöse Hardliner kümmern, anstatt um den Schutz und den Respekt der Menschenrechte für alle”, sagt etwa Rafendi Djamin, Direktor für die Asien-Pazifik-Region bei der Menschenrechtsorganisation Amnesty International.


„Die kleinen Leute sind ihm egal“

Radikale Islamisten versuchten in den vergangenen Jahren immer wieder, mehr politischen Einfluss in Indonesien zu gewinnen. Unterstützt werden sie dabei unter anderem mit Geld aus Saudi-Arabien. Dass ihre Ideologie auf fruchtbaren Boden fällt, hat jedoch auch soziale und wirtschaftliche Gründe. „Die Islamisten verstehen es, sich dann als die Gerechtigkeitsbringer zu profilieren“, sagt Magnis-Suseno.

Zu Besuch, bei einer der Frauen, die gegen Ahok demonstriert hat: Dharna Diana, 40, steht auf einem Trümmerfeld, das früher einmal ihr Zuhause war. Das ärmliche Viertel wurde platt gemacht, um Platz für ein modernes Einkaufszentrum zu schaffen. Die ihr angebotene Alternative ist Kilometer von ihrem Arbeitsplatz entfernt. Zeit sich gegen die Vertreibung zu wehren, habe sie nicht gehabt. „Ahok kümmert sich nicht um uns“, sagt sie. „Die kleinen Leute sind ihm egal.“

Doch in ihrem Kampf gegen die Behörden ist sie nicht alleine: Ihr hilft die teilweise gewaltbereite FPI, die Islamische Verteidigungsfront. „Sie unterstützen uns und haben uns beispielsweise mit Möbeln versorgt”, sagt sie. Die FPI ist auch eine der Organisationen, die zum Protest gegen Ahok aufgerufen hat – und gilt als Verbündete seiner politischen Rivalen. Politik und Religion gehen so eine gefährliche Verbindung ein.

Für Magnis-Suseno wäre die beste Waffe gegen den Einfluss der Islamisten eine gerechtere Politik. Noch immer würden aber viele Entscheidungen über die Köpfe der Leute getroffen. Längst nicht alle profitierten außerdem von dem rasanten wirtschaftlichen Aufschwung Indonesiens in den vergangenen Jahren.

Die Weltbank kritisierte erst vor Kurzem, dass Indonesien zu den asiatischen Nationen gehört, in denen die Ungleichheit am rasantesten zunimmt. Gleichzeitig machen die niedrigen Rohstoffpreise der Wirtschaft des Landes zu schaffen. Zwar hat sich der Präsident Joko Widodo bereits einige Wirtschaftsreformen angestoßen. Die aufstrebende Islamismus könnte seine Pläne jedoch gefährden. Auch die Kontroverse um Ahok, der einst Vize-Gouverneur unter ihm war und ein enger Verbündeter ist, dürfte ihn schwächen.

„Widodo ist Präsident geworden, mit dem Versprechen auf politische Reformen und Wirtschaftswachstum“, kommentiert der ehemalige Minister Rizal Ramli. „Wenn er diese Versprechen einhalten will, muss er den islamistischen Geist wieder zurück in die Flasche stecken.“ Bisher traut er sich Widodo jedoch nicht, sich offen gegen die Islamisten auszusprechen – und wird es vermutlich auch künftig nicht tun. Nach der Machtdemonstration der Islamisten wohl noch weniger, glaubt Magnis-Suseno. „Künftig wird sich der Staat noch genauer überlegen, ob er den Islamisten widerspricht.“

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