Indonesien Islamisten auf dem Vormarsch

Vor der Gouverneurswahl in Jakarta fordern Islamisten die Abwahl des christlichen Amtsinhabers. Ihrer Meinung nach dürfen nur Muslime politisch Verantwortung übernehmen. Auch Präsident Jokowi ist im Visier der Radikalen.

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Muslime in Indonesien fordern dazu auf, bei den landesweiten Distriktwahlen in der kommende Woche für muslimische Kandidaten zu stimmen. Derzeit gibt es einen Gerichtsprozess gegen den christlichen Gouverneur in Jakarta, Ahok, wegen Blasphemie. Quelle: dpa

Jakarta Mit dunklen Plastiksandalen stapft Dharma Diani über die Trümmer, die früher ihr Zuhause waren. Ihr Haus stand in einem Armenviertel im Norden der indonesischen Hauptstadt. Doch im April vergangenen Jahres wurde es zerstört – auf Anweisung von Jakartas Gouverneur Basuki Tjahaja Purnama, der in den vergangenen Jahren Tausende Slumbewohner vertrieb und dafür die Verschönerung der Stadt und den Hochwasserschutz als Gründe angab. „Mein Gouverneur hat mich im Stich gelassen“, sagt Diani, die ein langes türkises Kopftuch trägt und seit dem Abriss in einer Notunterkunft lebt. Von den Behörden habe sie keine Entschädigung erhalten. Dafür kamen Vertreter der Islamischen Verteidigungsfront – einer radikalen Islamistenorganisation, die unter dem Kürzel FPI bekannt ist – und verteilten Nahrungsmittel und Matratzen unter den Vertriebenen.

Nicht nur bei den Slumbewohnern sehen sich islamische Hardliner in Indonesien im Aufwind. In dem bevölkerungsreichsten mehrheitlich muslimischen Land der Welt, das bislang für seine gemäßigte Auslegung des Islam bekannt war, soll ihrer Meinung nach künftig die Scharia gelten. Mit Massenkundgebungen in der Hauptstadt ringen die Radikalen um politischen Einfluss. Sie haben ein klares Feindbild: Jakartas christlichen Gouverneur, der sich bei den Lokalwahlen am Mittwoch um eine weitere Amtszeit bewirbt und als enger Verbündeter von Präsident Joko Widodo gilt.

Mehr als 100.000 Menschen – darunter viele FPI-Anhänger – versammelten sich am Wochenende vor der Istiqlal-Moschee, dem größten islamischen Gotteshaus Südostasiens, im Zentrum Jakartas und forderten unverhohlen, Religion zu einem entscheidenden politischen Auswahlkriterium zu machen. Einer der Veranstalter der Kundgebung, die offiziell als gemeinsames Gebet präsentiert wurde, ließ die Teilnehmer schwören, Allah und den Islam mit ihrem Leben zu verteidigen. „Mein Anführer soll ein Muslim sein“, war auf Kundgebungspostern zu lesen. Auf anderen stand: „Ungläubige zu wählen, ist verboten.“

Dass Gouverneur Purnama, der meistens bei seinem Spitznamen Ahok genannt wird, damit gemeint ist, ist offensichtlich. Der chinesisch-stämmige Politiker rückte vor zweieinhalb Jahren in die Spitzenposition der rund zehn Millionen Einwohner großen Metropole auf, als sein Vorgänger Widodo in den Präsidentenpalast einzog. Die Mittelschicht schätzt ihn für Verbesserung im Nahverkehr und bei der Müllbeseitigung. Er machte sich aber auch unbeliebt – nicht nur bei den Slumbewohnern: Im September bezeichnete er es als Lüge, dass der Koran Muslimen verbiete Nicht-Muslime zu wählen. Daraufhin startete eine islamistische Empörungswelle, die in zwei Großdemonstrationen und einer Blasphemie-Anklage gegen Ahok gipfelte. Das Verfahren wegen der angeblichen Koranbeleidigung läuft noch. Im Fall einer Verurteilung droht dem Politiker eine mehrjährige Gefängnisstrafe – selbst wenn er die Wahl am Mittwoch gewinnen sollte.

Doch die Islamisten nehmen nicht nur ihn ins Visier. Sie wollen auch die Karriere des  Präsidenten stoppen, der Jokowi genannt wird und Ahoks politischen Aufstieg erst ermöglichte. „Weil Jokowi so beliebt ist, sind die Proteste womöglich die letzte Gelegenheit seiner Gegner, sich vor den Präsidentschaftswahlen 2019 ins Spiel zu bringen“, kommentierte der ehemalige Regierungssprecher Wimar Witoelar. „Den Islamisten geht es nicht nur darum, einen nicht-muslimischen Gouverneur zu verhindern, sondern um einen Richtungswandel“, sagt Moritz Kleine-Brockhoff, der das Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung in Jakarta leitet. „Sie wollen das pluralistische Indonesien ändern, und letztlich wollen sie einen islamischen Staat samt Scharia.“

Jokowi sei für die Islamisten der politische Gegner, sagt Kleine-Brockhoff. Die Forderung nach der Absetzung des Präsidenten, sei zwar derzeit eine Nischenmeinung. Dennoch ist aus seiner Sicht klar: „Die gesellschaftliche Islamisierung Indonesiens schreitet voran.“ Viele Politiker aller Parteien glaubten, es sei opportun, islamisch zu erscheinen. „Denn auch wenn die Mehrheit der Bevölkerung keinen islamischen Staat möchte – es gibt einen starken Trend, sich im Alltag immer frommer zu geben.“

Die Entwicklung zeigt sich bislang vor allem außerhalb der Hauptstadt: In der autonomen Provinz Aceh, die an der Nordwestspitze der Insel Sumatra liegt, gelten seit anderthalb Jahren besonders strenge Vorschriften nach dem Scharia-Strafrecht. Nach den religiös begründeten Regeln wird gleichgeschlechtlicher Sex mit bis zu 100 Stockhieben und bis zu 100 Monaten im Gefängnis bestraft. Für außerehelichen, heterosexuellen Geschlechtsverkehr drohen ebenfalls 100 Stockhiebe. Im vergangenen Jahr zählte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch 339 Fälle, in denen Menschen von den Scharia-Wächtern mit dem Rohrstock ausgepeitscht wurden.

Auch in anderen Provinzen versuchen radikale Muslime, ihre gesellschaftlichen Vorstellungen mit Zwang durchzusetzen. Restaurant-Betreiber werden unter Druck gesetzt, während des Fastenmonats Ramadan tagsüber zu schließen. FPI-Anhänger stürmten kürzlich Supermärkte und Einkaufszentren, um sie vom Verkauf von Weihnachtsdekoration abzuhalten. Ein landesweites Alkoholverbot, das die Bewegung bereits seit Jahren propagiert, soll in diesem Jahr in Jakartas Parlament diskutiert werden. „Der Fundamentalismus breitet sich Schritt für Schritt auf lokaler Ebene aus und könnte am Ende das ganze Land erfassen", kommentierte Sri Wiyanti Eddyono, Dozentin an der juristischen Fakultät von Yogyakarta. „Das kann passieren, wenn niemand versucht es zu stoppen.“

Präsident Widodo hat es bisher vermieden, sich offensiv gegen die Islamisten zu stellen. Im Dezember überraschte er sie sogar mit einem Besuch bei deren Kundgebung in Jakarta und seiner Teilnahme an einem gemeinsamen Gebet. In einer Rede bedankte er sich für die friedliche Veranstaltung. Der Auftritt sollte den wütenden Fundamentalisten den Wind aus den Segeln nehmen. Kritiker befürchten jedoch, Widodos pragmatischer Umgang mit der Bewegung verschaffe ihr Legitimation. Erneute Massenversammlungen wie am vergangenen Samstag zeigen: Geschwächt wurden die Islamisten durch den Präsidenten jedenfalls nicht.

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