Ingrid Brand-Friedberg Die Schraubenkönigin

Die Ruhrpott-Unternehmerin Ingrid Brand-Friedberg hat aus dem Bergbau-Zulieferer Friedberg einen Weltmarktführer für Windrad-Schrauben geschmiedet. Das Werk der Schraubenkönigin ist ein Lehrstück für erfolgreichen Strukturwandel.

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Die Schraubenkönigin Brand-Friedberg in der Produktionshalle. Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche

"Wenn die das macht, geht die Firma pleite“, hatte ein Verwandter prophezeit, als Ingrid Brand-Friedberg die Führung des Gelsenkirchener Schraubenherstellers August Friedberg übernahm. 23 Jahre war die studierte Ökonomin damals alt. Ihr Vater war wenige Tage zuvor gestorben, und der Familienrat hatte ihr die Unternehmensleitung angetragen.

Heute, 43 Jahre später, ist Ingrid Brand-Friedberg noch immer Chefin des Familienbetriebes. Dem ist das entgegen allen Unkenrufen gut bekommen: Der Umsatz ist seitdem um das Achtfache auf mehr als 100 Millionen Euro gestiegen; die Mitarbeiterzahl wuchs von 300 auf 450. Basis war die Weitsicht von Brand-Friedberg: Sie baute den Bergbau-Zulieferer früh in ein internationales, diversifiziertes Unternehmen um. So ist Friedberg heute etwa ein Weltmarktführer für Windrad-Schrauben.

Es ein kleines Wunder, dass es das Unternehmen überhaupt noch gibt. Denn Friedberg gehörte zu den vielen Betrieben im Ruhrgebiet, die fast ausschließlich von Lieferungen an die Kohlezechen lebten. „Wir fertigten fast nur Standardschrauben“, erinnert sich Brand-Friedberg, „und die standen unter einem enormen Preisdruck.“ Alle damaligen Wettbewerber im Pott sind inzwischen vom Markt verschwunden.

Von der Kohleförderung zur Windkraft

Friedberg überlebte nur, weil der jungen Chefin schon bald nach ihrem Start klar wurde, dass der Bergbau in Deutschland keine Zukunft bieten würde. Bereits 1974 gründete sie daher ein Zweigwerk in Monte Mor im brasilianischen Bundesstaat São Paulo, das für den südamerikanischen Markt produziert. Gleichzeitig erschloss sie neue Abnehmerbranchen.

Schon zehn Jahre nachdem sie das Steuer übernommen hatte, spielte der Bergbau in dem 1884 vom Essener Schmiedemeister August Friedberg gegründeten Unternehmen keine große Rolle mehr, heute ist er ganz Historie. Die Umsätze stammen zu je einem Drittel aus der Autoindustrie, Maschinen- und Stahlbau sowie dem Geschäft mit Schrauben für Windräder.

In diesem Segment gehört Friedberg zu den Weltmarktführern. „Diese Technik hat uns gereizt, weil hier die Anforderungen besonders hoch sind“, sagt Brand-Friedberg. Extreme Belastbarkeit, Haltbarkeit über Jahrzehnte trotz Wind und Wetter – es gibt nur wenige Anwendungen, die anspruchsvoller sind. Brand-Friedberg: „Da konnten wir unseren technischen Vorsprung ausspielen.“

Geschäft mit der Windenergie

Die größten Anlagenbauer
NordexNach zwei verlustreichen Jahren und vielen Einsparungen lief es 2013 für Nordex wieder besser. Der Windturbinenbauer kehrte in die Gewinnzone zurück. In der Vergangenheit trennte sich Nordex unter anderem verlustreichen Produktionsstätten in den USA und China und konzentrierte sich ganz auf den Bau von Onshore-Anlagen. Mit der Strategie konnte das Unternehmen in Deutschland Marktanteile gewinnen. 2012 kam Nordex auf 3,5 Prozent, 2013 waren es im On- und Offshore-Bereich zusammen bereits sieben Prozent. Auch die Aussichten sind gut: Für 2014 rechnet der Vorstand mit neue Aufträge im Umfang von 1,6 Milliarden Euro. Quelle: dpa
Siemens WindenergiesparteSiemens ist Weltmarktführer bei Offshore-Windrädern und dominiert auch in Deutschland diesen Bereich. Hierzulande kommt das Unternehmen in dem Segment auf 52,1 Prozent Marktanteil. Im On- und Offshore-Bereichen zusammen hatte Siemens Wind Power 2013 einen Anteil von 9,8 Prozent und liegt damit auf Platz vier. Nach dem Verkauf der gefloppten Solarsparte will sich Siemens künftig noch mehr auf die Energie aus Wind und Wasser zu konzentrieren. Das Geschäft lief zuletzt insbesondere im Ausland gut. Im Dezember 2013 erhielt das Unternehmen mehrere Großaufträge in den USA. In Deutschland gibt es aber auch Probleme: Bei der Anbindung von vier Offshore-Windparks in der Nordsee liegt Siemens dem Zeitplan um mehr als ein Jahr hinterher. Die Verzögerungen sollen Siemens bereits mehr als 600 Millionen Euro gekostet haben. Quelle: dpa
SenvionDas Hamburger Unternehmen Senvion (ehemals Repower ) ist eine Tochter des indischen Windkraftkonzerns Suzlon. Wie Nordex ist es auch dem Hamburger Unternehmen gelungen, Marktanteile zu gewinnen. 2013 installierte Senvion Anlagen mit rund 484 Megawatt und nun einen Markanteil von insgesamt 13,5 Prozent. Im Onshore-Bereich sind es sogar 16,2 Prozent. Das sind drei Prozent mehr als im Jahr zuvor. In Deutschland hat das Unternehmen nach eigenen Angaben nun eine Gesamtleistung von 2,8 Gigawatt installiert. Im März 2014 hat Senvion die Schwelle von 10 Gigawatt weltweit installierter Leistung überschritten. In der Vergangenheit hatte das Unternehmen allerdings auch mit deutlichen Umsatzrückgängen zu kämpfen. Quelle: dpa
VestasDer weltgrößte Windturbinenhersteller Vestas hatte in Deutschland 2013 einen Marktanteil von 16,7 Prozent (Onshore 20 Prozent). Damit hat der Anlagenbauer zwar rund sechs Prozent an die kleineren Mitbewerber verloren, liegt aber weiterhin klar auf Platz zwei. Allein 2013 stellte das dänische Unternehmen Anlagen mit einer Leistung von 598,9 Megawatt in Deutschland auf. Wirtschaftlich ist Vestas offenbar auf einem guten Weg: Nach massiven Sparmaßnahmen in den Vorjahren hat das Unternehmen im letzten Quartal 2013 erstmals seit Mitte 2011 wieder einen Gewinn erwirtschaftet. Der Jahresverlust lag bei 82 Millionen Euro, nach 963 Millionen Euro 2012. Quelle: ZB
EnerconDas vom Windpionier Aloys Wobben gegründete Unternehmen ist unangefochtener Marktführer in Deutschland bei Anlagen auf dem Festland (49,6 Prozent Marktanteil). Onshore-Anlagen mit einer Leistung von 1.484,6 Megawatt hat Enercon allein 2013 aufgestellt. Auf dem Gesamtmarkt musste der Windanlagenbauer allerdings Verluste hinnehmen. Lag der Markanteil 2012 bei 54,3 Prozent, betrug er zuletzt noch bei 41,4 Prozent. Weltweit hat das Unternehmen mittlerweile mehr als 20.000 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von mehr als 28 Gigawatt installiert. Laut den Wirtschaftsforscher von Globaldata liegt Enercon im globalen Vergleich damit auf Platz. Geschlagen werden die Ostfriesen von der dänische Konkurrenz Vestas. Quelle: dpa

Schrauben für Windräder sind technische Meisterwerke. Die schwersten Exemplare wiegen mehr als 20 Kilo, sind 60 Zentimeter lang und 7 Zentimeter dick. Aus verzinkten Edelstählen gefertigt, enthalten sie hohe Anteile von Mangan, Chrom oder Nickel, sind säurefest und reagieren kaum auf Wärme oder Kälte.

Zwar ist auch das Geschäft mit der Windenergie kein Selbstläufer mehr, die goldenen Jahre sind vorbei. Dennoch bereut Brand-Friedberg ihre Entscheidung nicht: „Wir hatten im Windkraftgeschäft Jahre mit bis zu 30 Prozent Wachstum – längere Schwächeperioden gab es nicht.“ Seit fünf Jahren gehe es mal auf-, mal abwärts. Zurzeit laufe das Geschäft „recht ordentlich“.

Die mächtigsten Frauen im Business
Nancy McKinstry Quelle: Presse
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Platz 13: Sandra Peterson Quelle: Bayer CropScience AG
Platz 12: Ornella Barra Quelle: Presse
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Marjorie Scardino Quelle: REUTERS
Annika Falkengren Quelle: REUTERS

Die Branche ist volatil geworden. Die Internationale Energie Agentur in Paris geht zwar von einer Verdoppelung der weltweiten Windenergiekapazitäten auf 587 Gigawatt bis 2020 aus. Für 2014 erwartet der Energieexperte des deutschen Maschinenbauverbandes VDMA, Thorsten Herdan, bei neu installierten Windkraftkapazitäten ein Rekordniveau von 45 000 Megawatt weltweit. 2013 war diese Zahl um 15 Prozent auf 39 000 Megawatt eingebrochen.

Kritik aus den eigenen Reihen

Doch Gegenwind ist die Chefin gewohnt. Als sie Anfang der Neunzigerjahre entschied, in die Windenergie einzusteigen, winkten die Banken erst mal ab. „Wie kann man nur in eine solche Branche investieren“, hatten die Banker gefragt. Windenergie galt damals als Marotte für Ökofreaks und nicht als seriöses Geschäft.

Auch im Unternehmen gab es kritische Stimmen. „Das war für uns eine neue Welt“, erinnert sich Brand-Friedberg, „aber ich hatte das Bauchgefühl, dass sich hier ein riesiger Markt entwickelte.“ Die Chefin zog die Entscheidung zügig durch und startete ohne Banken. 1998 verfügte Friedberg bereits über eine gesonderte Forschungs- und Entwicklungsabteilung für die Windenergie.

Der Erfolg sei eine Teamleistung, betont Brand-Friedberg. Im Gespräch entfaltet sie einen kühlen Charme. Sie gilt als gute Zuhörerin, lässt aber keinen Zweifel daran, wer entscheidet.

"Hart in Verhandlungen"

Die 30 kreativsten Mittelständler
Rund 3000 Unternehmen mit einem Umsatz zwischen zehn Millionen und etwa einer Milliarde hat die Unternehmensberatungsberatung Munich Strategy Group für das WirtschaftsWoche-Ranking analysiert. Für 400 von ihnen haben die Berater nach der Auswertung von Experten-Interviews und Analysen einen Vergleichswert, den Innovations-Score ermittelt. In diesen fließt die Zahl der neuen Produkte und deren Marktchancen ein. Gleichzeitig hat MSG ermittelt, in welchem Maße die Innovationskultur im Unternehmen verankert ist. Die Top 30 der innovativen Mittelständler zeigt die folgende Übersicht. Quelle: Fotolia
Platz 30: VacomUmsatz: 16 Mio. EuroInnovations-Score: 135Das 1992 gegründete Unternehmen Vacom  gilt als einer der führenden Anbieter von Vakuumtechnik. Der Mittelständler aus Jena produziert unter anderem für Unternehmen aus Bereichen wie der Analytik, Elektronik, Optik, Solar- und Beschleunigertechnik. Quelle: Screenshot
Platz 29: Elementar AnalysesystemeUmsatz: 42 Mio. EuroInnovations-Score: 136Ob Kohlen-, Stick- oder Wasserstoff: Die Analyse nicht-metallischer Elemente ist das Kerngebiet des Geräteherstellers aus Hanau (Hessen). Quelle: Screenshot
Platz 28: GK SoftwareUmsatz: 27 Mio. EuroInnovations-Score: 138Das Technologie-Unternehmen GK Software aus Sachsen entwickelt und vertreibt spezielle Computer-Programme für den Einzelhandel - darunter Software für Kassen und Backoffice-Programme. Die börsennotierte Firma wurde 1990 gegründet. Quelle: PR
Platz 27: Walter Rau Neusser Öl und Fett AG Umsatz: 333 Mio. EuroInnovations-Score: 140Fett und Öl - damit verdient das Neusser Unternehmen Walter Rau Geld. Rund 200 Mitarbeiter veredeln pflanzliche Rohstoffe zu Spezial-Fetten für Lebensmittel. Quelle: Presse
Platz 26: WiloUmsatz: 1187 Mio. EuroInnovations-Score: 141Die Dortmunder Unternehmens-Gruppe zählt zu den führenden Herstellern für Pumpen und Pumpsysteme. Mehr als 7000 Wilo-Mitarbeiter arbeiten weltweit daran, Produkte für Wärme- und Klimatechnik sowie die Wasserversorgung zu entwickeln und zu produzieren. Quelle: dpa Picture-Alliance
Platz 25: Becker Marine SystemsUmsatz: 74 Mio. EuroInnovations-Score: 144Egal ob Luxus-Jacht oder Super-Tanke: Die Hamburger von Becker Marine Systems sind auf Ruder und Steuerungseinheiten für Schiffe spezialisiert. Das 1946 gegründete Unternehmen hat mittlerweile mehr als 110 Mitarbeiter und Büros in China, Singapur, Korea und Norwegen. Quelle: Presse

Die Durchsetzungsfreude von Brand-Friedberg, die auch Vorsitzende der Arbeitgeberverbände Emscher-Lippe ist, bekommen auch die Gewerkschaften zu spüren. „Sie ist fair, aber hart in Verhandlungen“, sagt Robert Sadowsky, erster Bevollmächtigter der IG Metall in Gelsenkirchen.

"Viel gefragt und zugehört"

Doch ohne ihre Standhaftigkeit hätte es Brand-Friedberg nie geschafft. Von einer fließenden Übergabe des Chefpostens konnte keine Rede sein: Der Tod des Vaters kam plötzlich. Sie hatte gerade erst ihr Ökonomie-Studium in Gießen beendet und wollte noch ein paar Jahre in anderen Unternehmen Erfahrungen sammeln. Nach nur 14 Tagen in der Buchhaltung des Wetzlarer Metallurgiekonzerns Buderus war damit Schluss. Für ihre Mutter, die als Hausfrau die Familie umsorgt hatte, kam die Leitung nicht infrage. Und die jüngere Schwester war noch nicht alt genug.

„Am Anfang habe ich viel gefragt und zugehört“, sagt Brand-Friedberg, „und meinem gesunden Menschenverstand vertraut.“ Das Studienwissen habe ihr kaum geholfen. Ein eingespieltes Team von Kaufleuten unterstützte die junge Frau. Aber es gab auch Manager, die ihr das Leben schwer machten, weil sie gehofft hatten, nach dem Tode des Patriarchen mehr Einfluss zu bekommen. Brand-Friedberg ließ die Quertreiber gegen die Wand rennen.

Führungsfrauen waren damals in der Macho-Kultur der Ruhrpottbetriebe rar. „Als junge Frau war ich da eine Exotin“, erzählt Brand-Friedberg, „aber das war kein Nachteil.“ Männer unter sich verhielten sich viel emotionaler und unversöhnlicher als in Anwesenheit einer Frau, ist die Beobachtung der Mutter von zwei Töchtern: „Daran hat sich bis heute nichts geändert.“

Inzwischen ist fast die gesamte Familie im Unternehmen tätig. Der Ehemann ist geschäftsführender Gesellschafter am Standort im brandenburgischen Finsterwalde, der Schrauben für die Autoindustrie fertigt. Tochter Beatrix, 35, ist seit zehn Jahren im Unternehmen und übernimmt immer mehr Führungsaufgaben.

Bis zur vollständigen Ablösung werden aber noch einige Jahre vergehen. Die 66-jährige Brand-Friedberg verweist auf ihren Mann, der mit Mitte 70 noch täglich im Geschäft aktiv ist. „Ich habe noch so viele Ideen“, sagt sie. Vor allem mit der Fabrik in Brasilien („mein Baby!“) hat sie viel vor. Die Nutzung der Windenergie steckt im größten Land Südamerikas noch in den Kinderschuhen. Seit 2010 hat sich die installierte Kapazität aber schon verdreifacht, die Regierung hat den Ausbau angekündigt. Die damit verbundenen Chancen will sich die Schraubenkönigin aus dem Ruhrgebiet nicht entgehen lassen.

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