In Chicago selbst muss man genau hinter die Kulissen schauen, um die Folgen der klammen Lage zu betrachten. In „Downtown“, wo sich die Touristen tummeln, sind die Straßen in Schuss. Die Busse fahren, an jeder Ecke stehen Polizisten und geben den Gästen ein Gefühl der Sicherheit. Bürgermeister Emanuel soll die Direktive ausgegeben haben, das fiskalische Elend der Stadt vom Zentrum und seiner blitzblanken Hochhauskulisse fernzuhalten.
Wer sich indes mit der U-Bahn in die Vorstädte wagt, muss Zeit mitbringen: Die silbernen Waggons rattern über ein mehr als 100 Jahre altes Gleisbett, alle paar Hundert Meter stoppt sie ein Signal in der „Rush Hour“. Es empfiehlt sich, die Haltegriffe fest zu packen, denn schon leichte Kurven drohen die Fahrgäste in den stets voll besetzten Wagen umzureißen. Keine Frage: Die Chicago Transport Authority (CTA) hat schon lange nicht mehr in die Infrastruktur investiert; trotzdem verursacht der städtische Betrieb knapp fünf Milliarden Euro der Schulden über Anleihen und Pensionsverpflichtungen.
Überhaupt frisst sich der Verfall vor allem durch den Süden der Stadt. In Problemvierteln wie Englewood klaffen tiefe Schlaglöcher im Asphalt; offenbar verirren sich nur selten Straßenarbeiter in jene Gegenden, die vor allem durch Schießereien in die Schlagzeilen kommen. Hier exerzierte die Stadt auch zumeist die Streichkonzerte bei Schulen und Polizei, die einige tausende Stellen kosteten.
Seit 2013 mussten allein 50 Schulen dicht machten. Im arg isolierten Süden bekommt man auch wenig mit vom Brimborium im Stadtzentrum. Bis vor ein paar Jahren gab es im Süden am Lake Michigan ein großes Feuerwerk, heute nicht mehr – aus Kostengründen eingestellt.
Chicago ist eine zweigeteilte Stadt: Im Süden und in Teilen des Westens herrschen Verfall, Armut, Kriminalität; die Folge der Massen-Abwanderung von Industriebetrieben und einer gescheiterten Stadtentwicklung. Im Zentrum und im Norden hingegen boomt Chicago, hier wächst die Stadt um die Hauptquartiere von Boeing, Wrigley, Exelon, Siemens, Bosch oder United-Continental. Wer es irgendwie schafft, zieht aus dem Süden weg in die besseren Viertel des Nordens – denn dort ist zugleich die Schulausbildung besser, die Jobaussichten sind günstiger.
„Downtown“ wird noch viele Unternehmen und noch mehr Touristen anziehen, damit sich das wahre Problem der Stadt lösen lässt: Die Ghettoisierung im unterfinanzierten Süden, dessen wieder wachsende Kriminalität das Image der Stadt als Boom-Town zerstört.