Internationales Währungssystem „Die Lira kümmert mich einen Dreck“

Richard Nixon kam als Präsident einem Amtsenthebungsverfahren zuvor. Quelle: AP

Vor 50 Jahren brachte US-Präsident Nixon nach einem legendären Politikertreffen in Camp David das goldgedeckte Festkurssystem von Bretton Woods zu Fall. In einem exklusiven Gastbeitrag beschreibt der Wirtschaftshistoriker Barry Eichengreen die Hintergründe – und sagt, welche Reformen das Währungssystem von heute braucht.

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Barry Eichengreen ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der University of California in Berkeley.

Der 15. August ist in den meisten Kalendern nicht als besonderer Tag markiert. Zumeist befinden sich offizielle Regierungsvertreter in den USA dann in Urlaub. Nicht so allerdings am Sonntag, den 15. August 1971. An jenem Abend vor gut 50 Jahren verkündete US-Präsident Richard M. Nixon zum Abschluss einer dreitägigen Krisensitzung, dass die  USA das „Goldfenster“ präventiv schließen würden - also jene Finanzfazilität, im Rahmen derer das Land ausländischen Regierungen und Zentralbanken Gold für 35 US-Dollar pro Feinunze verfügbar machte. Nixons Ankündigung markierte das Ende oder zumindest den Anfang vom Ende des internationalen Währungs- und Finanzsystems von Bretton Woods – und damit einer Zeit, in der die USA nahezu unilateral die Währungsstruktur und das finanzielle Schicksal der freien Welt bestimmen konnten. Das Konstrukt, bei dem der Dollar zu einem festen Preis an Gold gebunden war und andere Währungen ebenso fix an den Dollar gekoppelt wurden, war Geschichte. 

In den folgenden vier Monaten trat eine Vereinbarung in Kraft, nach der die europäischen Währungen und der japanische Yen um durchschnittlich zehn Prozent aufgewertet wurden, der Dollar-Goldpreis von 35 auf 38 Dollar je Feinunze stieg und die Schwankungsbreiten der neuen Wechselkursparitäten von plus/minus einem Prozent auf plus/minus 2,25 Prozent ausgeweitet wurden. Auf diese Weise hielt man zumindest die Fassade der internationalen Währungsordnung von Bretton Woods aufrecht.

Anfang 1973 hielt jedoch die Realität Einzug und das neu gestaltete System brach zusammen. Bretton Woods wich einem globalen Währungs-„Nichtsystem“, wie es der Ökonom John Williamson nannte. Mit dem Abschied von den festgelegten Paritäten ihrer Währungen leiteten die Regierungen ein nie dagewesenes Experiment mit freien Wechselkursen ein, mit dem sie seither beschäftigt sind. 

Vor 50 Jahren lösten die USA die Bindung des Dollar an Gold. Angesichts von Geldschwemme und geopolitischer Konflikte könnte Gold aber künftig wieder eine Rolle als Stabilitätsanker spielen.
von Bert Losse

In seinem neuen Buch beschreibt der Ökonom Jeffrey E. Garten, wie es dazu kam*. Garten lenkt die Aufmerksamkeit auf jenes Wochenende im August 1971, als Nixons wirtschaftlicher Beraterstab in Camp David zusammenkam, um einen neuen Kurs zu konzipieren: US-Finanzminister John Connally, der stellvertretende Finanzminister Paul Volcker, der Direktor des Office of Management and Budget, George Shultz, und der Präsident der US-Notenbank Federal Reserve Arthur Burns. Garten zeichnet die Ereignisse Stunde für Stunde anhand offizieller Dokumente, der Nixon-Bänder, Memoiren und Tagebücher, darunter auch jene Volckers‘ und Burns‘ sowie – von größter Bedeutung – anhand von Interviews mit den Teilnehmern nach. Dabei wird deutlich, in welchem Maße Einzelpersonen und deren Eigenheiten für den Verlauf der Geschichte von Bedeutung sind.

So hegte Nixon eine beständige Abneigung gegenüber der Wirtschaft, der er nicht mehr Aufmerksamkeit widmete als unbedingt nötig. Seine berüchtigte Bemerkung „Die Lira kümmert mich einen Dreck,“ nimmt ihren verdienten Platz an prominenter Stelle in Gartens Buch ein. Das Ziel des Präsidenten bestand darin, Fragen der Weltwirtschaft so zu regeln, dass seine außenpolitischen Prioritäten, wie die diplomatische Öffnung gegenüber China und ein Rüstungskontrollabkommen mit der Sowjetunion, nicht beeinträchtigt wurden. Außerdem wollte Nixon sicherstellen, dass die Inflation und eine schwache Wirtschaft seiner Wiederwahl nicht im Wege stehen würden.

Charles Goodhart und Manoj Pradhan warnen vor der Rückkehr der Inflation. Sie glauben: Die Weltwirtschaft steht vor einer Zeitenwende. Die Zentralbanken seien ahnungslos – und kaum fähig, den Preisauftrieb zu stoppen.
von Malte Fischer

Connally war ein extravaganter Akteur ohne ökonomische Prinzipien. Als strammer Nationalist strebte er eine Entwicklung nach dem Motto „America first“ an, wie wir heute sagen würden. Shultz war das genaue Gegenteil: ein Mann der leisen Töne mit starken Prinzipien. Seine durch die Chicagoer Schule geprägte Gegnerschaft zu Preiskontrollen weitete sich auf Wechselkurse aus; er war der festen Überzeugung, dass Wechselkurse frei sein sollten.

In dieser Hinsicht traf Shultz auf den Widerstand von Volcker, einem Befürworter fixer Wechselkurse. Burns wiederum konnte – erstaunlich für einen Fed-Präsidenten weder zu Weltwährungsfragen noch zu Währungsfragen im eigenen Land mit schlüssigen Ansichten aufwarten. Sein Ziel bestand darin, die Inflation durch Lohn- und Preiskontrollen einzudämmen, ein Instrument, das Shultz strikt ablehnte.   

Dass man sich in dieser schwierigen Konstellation in der Abgeschiedenheit von Camp David überhaupt auf irgendetwas einigen konnte, ist an sich schon bemerkenswert. Aber es gelang. Die Einigung enthielt folgende Punkte: Schließung des Goldfensters (gegen Burns“ Einwände), Verhängung eines Lohn- und Preisstopps (gegen Shultz' Einwände) und ein Importaufschlag von zehn Prozent (gegen Volckers Einwände). Letztere Maßnahme wurde ergriffen, um den USA bei internationalen Verhandlungen über das künftige Wechselkursregime ein Druckmittel in die Hand zu geben.

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