Internationales Währungssystem „Die Lira kümmert mich einen Dreck“

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Was ist mit Euro und Renminbi?

Zweitens sollte sich die Welt vom Dollar zugunsten eines international ausgegebenen Reservewerts emanzipieren (wie Keynes 1944 ebenfalls erfolglos argumentierte). Ocampo plädiert für eine Ausweitung der Ausgabe von IWF-Sonderziehungsrechten, der Währungsreserve des Fonds. Zudem vertritt er den Standpunkt, dass die Zentralbanken durch die stärkere Aufnahme von Euro und Renminbi in ihr Portfolio ihre Devisenreserven diversifizieren und damit ihre Abhängigkeit von der US-Politik verringern sollten.

Das wäre zwar um keine umfassende Reform des internationalen Währungs- und Finanzsystems, aber selbst diese begrenzten Vorschläge dürften kaum zu realisieren sein.  Der IWF überprüft globale Ungleichgewichte und gibt regelmäßige Berichte heraus. Aber ohne die Möglichkeit, Sanktionen zu verhängen, kann der Fonds Länder mit starken Währungen, deren Reserven zu- und nicht abnehmen, nicht zu Anpassungen zwingen. Und es ist schwer vorstellbar, dass Länder mit chronischem Überschuss die Einsetzung und Anwendung solcher Sanktionen billigen.

Der IWF hat zwar eine begrenzte Anzahl von Finanzfazilitäten geschaffen, die automatisch Mittel auszahlen, doch der Zugang zu den meisten seiner Ressourcen ist immer noch stark an extern auferlegte politische Reformen gebunden. Der Grund liegt auf der Hand: Der IWF ist laut Satzung zum Schutz der Quotenbeiträge seiner Mitglieder verpflichtet; es handelt sich dabei um die einzigen finanziellen Mittel, über die der Fonds zur Kreditvergabe verfügt. Die wirtschaftsstarken Mitglieder, die den Großteil der Mittel beisteuern, sind verständlicherweise wenig geneigt, diese Praxis zu ändern. Insbesondere ist es unwahrscheinlich, dass der US-Kongress Verfahrensänderungen zustimmt, die US-Beiträge einem Risiko aussetzen.

In ähnlicher Weise wäre die Zustimmung des Kongresses für eine substanzielle Erhöhung der Ausgabe von Sonderziehungsrechten erforderlich. Das würden die Republikaner instinktiv als Geschenk schwer verdienter US-Steuergelder an Ausländer anprangern. Noch radikaler - und damit unrealistischer - wäre eine Vereinbarung, die den IWF ermächtigt, in Krisenzeiten einseitig neue Sonderziehungsrechte auszugeben.

Die amerikanische Fed ist dem Kongress gegenüber rechenschaftspflichtig und daher gezwungen, ihre Kapazitäten auf politisch akzeptable Weise einzusetzen. Im Gegensatz dazu gibt es keine Weltregierung, die den IWF zur Rechenschaft ziehen könnte. Aus diesem Grund zögern nationale Behörden, ihm weitergehende Notfallbefugnisse einzuräumen.

Und was ist mit Euro und Renminbi? Keine dieser Währungen verfügt über die Attraktivität des Dollar. Der Eurozone fehlt ein europäisches Finanzministerium als Ergänzung der Europäischen Zentralbank. Überdies gibt es einen Mangel an Euro-denominierten Staatspapieren mit AAA-Bewertung, die sich als Reserven für Zentralbanken eignen. China wiederum hält an seinen Kapitalkontrollen fest, die den ausländischen Zugang zu chinesischen Finanzanlagen einschränken. Daraus folgt ein nur begrenzter Nutzen seiner Währung für grenzüberschreitende Finanztransaktionen. Selbst Zentralbanken und Regierungen, die Zugriff auf den Renminbi haben, sind zögerlich, wenn es um Kauf und Einsatz dieser Währung geht: Sie befürchten unerwartete Änderungen der Spielregeln.

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Fazit: Alle für eine Reform des internationalen Währungssystems, es gibt aber keinen Konsens darüber, wie diese aussehen könnte. Wie 1971 bestehen tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten. Bis sich das ändert, werden wir mit dem „Nichtsystem“ leben müssen.

Mehr zum Thema: Vor 50 Jahren lösten die USA die Bindung des Dollar an Gold – der Anfang vom Ende des damaligen Währungssystems. Angesichts von Geldschwemme und geopolitischer Konflikte könnte Gold aber künftig wieder eine Rolle als Stabilitätsanker spielen.

Copyright: Project Syndicate

*Jeffrey E. Garten, Three Days at Camp David: How a Secret Meeting in 1971 Transformed the Global Economy, Harper Collins, 2021
** José Antonio Ocampo, Resetting the International Monetary (Non)System, Oxford University Press, 2017

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