Internetzensur Wie Chinas Datenpolitik deutsche Unternehmen belastet

Chinas Internetzensur wirkt sich auf deutsche Unternehmen aus Quelle: dpa

China verschärft seine Internetzensur weiter, das Risiko der Industriespionage steigt. Eine Befragung unter deutschen Unternehmen zeigt, wie massiv das ihr China-Geschäft angreift. Erste Firmen planen schon den Rückzug.

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Die Nummer von Steven Chang steht auf keiner Visitenkarte. Sie wird nur unter Freunden weitergeben. Wenn ihn jemand anruft wie an diesem Morgen, fragt Chang erst nach der Person, die ihm empfohlen hat. Vertraut er ihr, nimmt er den Job an.

Jeden Morgen schiebt sich der IT-Ingenieur mit seinem alten Benziner durch den Verkehr der Millionenmetropole Shanghai. Der Mittfünfziger trägt eine dicke, grüne Jacke, dazu eine Brille mit rotem Rand. Chang ist nicht sein richtiger Name. Aber er will keine Schwierigkeiten. Im Kofferraum liegen Kabel, Festplatten und Router. Er berät nicht am Telefon, seine Kunden besucht er stets persönlich. Viele Firmen rufen Chang an, wenn das Netzwerk streikt oder ein Server versagt. Immer häufiger melden sie sich aber auch aus einem anderen Grund bei ihm: China will dem freien Internet den Saft abdrehen. Und zwar für immer.

Wie schwierig die Situation für deutsche Unternehmen ist, zeigt eine Befragung der Auslandshandelskammer in China unter ihren Mitgliedern. Rund 80 Prozent kämpfen mit dem langsamen Laden von ausländischen Webseiten, 60 Prozent mit dem Zugriff auf ausländische Server. Über zwei Drittel der Firmen sehen sich laut der Befragung zudem durch die schleppende Verbindung in der Kommunikation mit der Geschäftszentrale und anderen Standorten im Ausland behindert, nahezu die Hälfte im Kontakt mit Kunden und Lieferanten.

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Das chinesische Internet gilt heute als das am stärksten überwachte Netz der Welt. In einem Bruchteil von Sekunden können unliebsame Inhalte systematisch abgefischt und gelöscht werden. Mehrere hunderttausend Seiten sind in China gesperrt, darunter Google, Facebook und Twitter. Durch die künstliche Entschleunigung gehört China trotz guter Infrastruktur zu den Ländern mit dem langsamsten Internet: Es liegt laut einer Untersuchung des britischen Vergleichsportals cable.co auf Platz 134 weltweit.

Seit April hat Peking die Regulierungen nun weiter verschärft. Alle Kommunikation der Unternehmen soll, nach der Einwilligung ausländischer Firmen in eine staatliche „Sicherheitsüberprüfung“, über chinesische Leitungen und Server erfolgen. Die Verschärfung ist Teil eines größeren Pakets an Neuregulierungen im chinesischen Internet durch das im Juni 2017 in Kraft getretene Internetsicherheitsgesetz. Dieses schränkt die Möglichkeit ein, Daten zu verschlüsseln, schreibt staatlich lizenzierte Technik vor und zwingt ausländischen Firmen, ihre Kundendaten in China zu speichern.

Ähnliche Vorschriften gibt es in der Europäischen Union auch. „Während in der EU die Datenschutzvorschriften Bürgern ihre Rechte über Daten zurückgeben, gibt das Gesetz in China dem Staat die Macht über die Daten“, sagt Carly Ramsey von der Beratungsfirma Control Risks aus Shanghai. Auch gehe das Verständnis chinesischer Internetsicherheit viel weiter als in anderen Ländern. Im Ausland sei Internetsicherheit der Schutz von Netzwerken. „In China versteht man darunter auch zu kontrollieren, was an Informationen durch die Kabel fließt.“

Zu spüren bekamen das zuletzt Apple-Kunden in China. Sie erhielten vor einigen Wochen eine freundliche, aber eindeutige E-Mail aus dem Silicon Valley: Daten von Kunden, die ihr Apple-Benutzerkonto in Festlandchina registriert haben, finden ihre Daten bald beim Internetanbieter Guizhou on the Cloud Big Data Industrial Development Co. gespeichert. Ein bisher völlig unbekanntes chinesisches Staatsunternehmen, mit dem Apple eine Kooperation eingegangen ist. Betroffen sind die schätzungsweise mindestens 130 Millionen iPhone-Besitzer im Land. Der Regierung in Peking widersprechen und die Daten vor staatlichem Zugriff schützen? Für Apple auf einem seiner wichtigsten Märkte keine Option, sagt auch Ramsey: Wer nicht mitziehe, müsse das Land verlassen.

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Das neue Internetsicherheitsgesetz erzeugt bei den meisten deutschen Unternehmen vor allem Unsicherheit, was die künftige Erfüllung gesetzlicher Bestimmungen angeht, so die AHK in China. Zwischenzeitlich berichteten Medien darüber, dass ab dem 1. April alle VPN-Anbieter verboten seien. Tatsächlich ist die Nutzung von VPN zum Zugriff auf in China gesperrten Seiten bereits seit 2002 verboten. Allerdings wurde diese Regelung nie durchgesetzt.

Nun scheint Peking damit aber ernst zu machen. Aktuell funktionieren VPNs in China zwar noch, Peking fährt aber bereits seit Monaten einen härteren Kurs gegen die Anbieter. Apple entfernte auf Druck Pekings bereits Ende des vergangenen Jahres rund 600 VPN-Apps aus seinem chinesischen Apple-Store. Programmierern, die entsprechende Software entwickeln, drohen hohe Haftstrafen. Und auch für deutsche Firmen sind die kleinen Programme keine Option mehr, wollen sie sich nicht in eine rechtlich schwierige Lage bringen.

Verschlüsselung nur mit staatlicher Hintertür

Geht es nach Peking, sollen die kleinen Apps, die auf Handys und Rechnern über normale Internetverbindungen laufen und meist rund zehn Dollar pro Monat kosten, bald gänzlich verschwunden sein. In Zukunft, sagt IT-Expertin Ramsey, könnten ausländische Firmen so nur noch über staatlich zertifizierte Anbieter und Standleitungen ins freie Internet kommen. Will eine Firma eine solche Standleitung nutzen, muss ein Kabel im Büro des Unternehmens an das staatliche Netz angeschlossen werden, durch das die Daten über Hongkong in die freie Welt gelangen. „Die Standleitung ist eine extrem teure Lösung, die Unternehmen mehrere tausend Dollar pro Monat kosten kann“, kritisiert Ramsey.

Der deutsche Botschafter Michael Clauss in Peking rechnet sogar mit Kosten von bis zu 20.000 Euro pro Monat „für die erzwungene Anschaffung von lizenzierten Leitungen“. Besonders für kleine und mittelständische Unternehmen wäre das eine gewaltige finanzielle Belastung, die viele aus dem Markt treiben könnte. „Die Abschaltung von VPN-Tunneln droht den Freiraum für unternehmerisches Handeln zu verengen“, sagt auch Hubert Lienhard, Vorsitzender des Asien-Pazifik-Ausschusses. „Trotz guter Konjunktur machen sich ausländische Unternehmen vor Ort Sorge über diese Tatsache.“ Aktuell nutzen neun von zehn deutschen Firmen in China einen VPN-Tunnel oder andere Lösungen, um die chinesische Internetzensur zu umgehen, so das Ergebnis der AHK-Umfrage. Die meisten von ihnen, um den sicheren Datenaustausch mit der Firmenzentrale und firmenintern zu gewährleisten oder Zugang zu firmeninternen Organisationstools zu erhalten. 83 Prozent der befragten Unternehmen halten dies für „unbedingt notwendig“.

Die neue Gesetzeslage hat auch Einfluss auf Verschlüsselungstechnologien, die Firmen noch nutzen können. Ramley geht zwar davon aus, dass Verschlüsselung weiterhin erlaubt sein wird. Allerdings nur, wenn die Unternehmen den Schlüssel der Regierung zur Verfügung stellen. Auch der deutsche Botschafter Michael Clauss stellte in einem Gastbeitrag der britischen Tageszeitung Financial Times im März die Frage, inwiefern nach den Neuregelungen der Schutz von geistigem Eigentum und Geschäftsgeheimnissen gewährleistet werden könne. „Wie kann sichergestellt werden, dass Sicherheitsüberprüfungen transparent gemacht und nicht für einen ungewollten Knowhow-Transfer missbraucht werden?“, fragte Clauss skeptisch. Bei Daten, die zentral auf Servern gespeichert werden müssten, sei das Risiko jedenfalls größer, dass sie abgegriffen werden oder verloren gehen als bei einer dezentralen Speicherung in der Cloud.

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Ähnlich sehen das auch die deutschen Firmen. Über 40 Prozent sorgten sich laut AHK über den möglichen Zugang Dritter zu sensiblen firmeninternen Daten. 37 Prozent erwarteten zudem, dass sich die Betriebskosten in China durch das Gesetz wesentlich erhöhen werden. Zwei Drittel der befragten AHK-Mitglieder haben so in ihren Geschäftszentralen in Deutschland um mehr Geld für die IT gebeten. Immerhin knapp ein Drittel der Firmen hat seinen Server bereits vom Ausland nach China verlegt. 30 Prozent haben zusätzliche digitale Sicherheitssysteme installiert.

Die langfristigen Folgen für deutsche Unternehmen sind schwer absehbar. Die Hälfte der befragten Unternehmen würde zwar an ihrem Chinageschäft festhalten. Allerdings würden die Folgen des neuen Gesetzes die tägliche Arbeit im Unternehmen und zwischen deren internationalen Partnern und Kunden derart erschweren, dass Neuinvestitionen von den Firmen in Frage gestellt würden. Vor allem im Bereich von Forschung und Entwicklung wolle man sich nun zurücknehmen. Immerhin 15 Prozent erwägen sogar eine Verlagerung ihrer Aktivitäten ins Ausland.

Für viele Firmen ist Chang in diesen Tagen die letzte Hoffnung. Er hat an einer der Topuniversitäten in den USA studiert. Seit ein paar Jahren lebt er wieder mit seiner Familie in Shanghai. Der IT-Ingenieur könnte bei einem Techunternehmen wie Google und Apple viel Geld verdienen. Ihm gefällt aber die Freiheit bei seiner Arbeit. „Viele Firmen haben Schwierigkeiten, weil sie nicht wissen, wie es in den kommenden Monaten weitergeht“, sagt Chang, der auch viele deutsche Kunden berät. Sie seien dankbar für seine Hilfe. Und noch fände er kleine Lücken in der chinesischen Internetblockade. Wie lange noch, weiß er nicht. An einen Kurswechsel Pekings glaubt Chang nicht. „Politische Kontrolle steht für die chinesische Regierung an erster Stelle.“

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