


WirtschaftsWoche: Herr Baranov, wie teuer wird Putins Verhalten in der Ukraine-Krise für die russische Volkswirtschaft?
Igor Baranov: Ungefähr 30 Milliarden Dollar. Vor dem Beginn dieses Jahres haben wir mit einen Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von bis zu 1,5 Prozent gerechnet. Seit der Ukrainekrise hat sich die Lage dramatisch verändert und ich gehe davon aus, dass unsere Wirtschaft in diesem Jahr stagnieren wird.
Also null Prozent Wachstum?
Genau. Und da wir insgesamt ein BIP von rund zwei Billionen Dollar haben, beträgt der Verlust durch die Ukrainekrise 30 Milliarden Dollar.
Wie bewerten Sie Putins Handeln aus ökonomischer Sicht?
Ich bin mir nicht sicher, ob unser Präsident rational handelt. Sie müssen verstehen, dass wir in Russland gerade mit zwei Krisen gleichzeitig kämpfen: Seit einigen Jahren gibt es einen allgemeinen Rückgang des Wirtschaftswachstums in Russland, und jetzt kommt die Ukrainekrise noch hinzu. Ich fürchte, dass unsere Regierung die langfristigen Folgen dieser doppelten Krise unterschätzt.
Welche Folgen meinen Sie?
Konkret sehe ich drei Arten von Kosten, welche die russische Regierung für ihr Handeln bezahlen muss: Erstens die direkten Kosten wegen der Sanktionen – in meinen Augen das kleinste Problem, bisher treffen sie uns nicht besonders. Zweitens wird uns die Integration der Krim teuer zu stehen kommen. Unsere Regierung wird viel Geld in die Hand nehmen müssen, um diese unterentwickelte Region aufzupäppeln, etwa um die Gehälter und Pensionen der Beamten auf das russische Niveau anzuheben. Am schlimmsten jedoch sind die langfristigen Folgen für die russische Wirtschaft.
Die da wären?
Ich rede von den indirekten Auswirkungen der Krise auf nationale und internationale Investoren. Das Schlimmste an der Ukrainekrise ist der Reputationsverlust für Russland als globale Größe in der Weltwirtschaft. Ich sehe die Gefahr, dass die EU-Länder in den kommenden Jahren deutlich weniger russisches Öl und Gas importieren werden. Davon abgesehen werden sich alle ausländischen Unternehmen von jetzt an zweimal überlegen, ob sie in Russland Geschäfte machen wollen. Aus der politischen Krise wird eine Vertrauenskrise.
Krise gefährdet Marktwirtschaft





Viele Ihrer Absolventen arbeiten mittlerweile in großen russischen Unternehmen. Haben Sie sich mit denen mal über die Lage unterhalten?
Natürlich, das ist ein großes Thema. Nach den Gesprächen ist mir klar geworden, dass sich selbst große russische Unternehmen aktuell mit großen Investitionen zurückhalten. Vor allem mittelgroße Unternehmen frieren ihre Investitionen ein und reagieren so auf das drohende Null-Wachstum. Bisher sind die inländischen Investitionen seit März dieses Jahres um acht Prozent zurückgegangen.
Also würden Sie sagen, dass die schlimmste Folge der Krise das Risiko für die Investoren ist.
So ist es. Nach Angaben der Weltbank ist Russland ist die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt. Wir haben ein riesiges Potenzial für ausländisches Kapital! Aber aufgrund der politischen Situation ist das derzeitige Marktrisiko einfach zu groß.
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Welche Industrien werden von der Krise am härtesten getroffen?
Den größten Verlust haben aktuell die Einzelhändler in den großen Städten. Sie hängen stark vom Import ab und dieser ist durch die starke Abwertung des Rubels immer teurer geworden. Dazu kommt, dass die Gehälter in unserem Land deutlich langsamer wachsen als in der vergangenen Dekade – da hatten wir jährlich einen Sprung von rund zehn Prozent. Dadurch sinkt die Nachfrage. Zwar gab es diese Effekte schon vor der Ukrainekrise, doch jetzt werden sie noch verstärkt.
Wenn Sie wirtschaftlicher Berater von Wladimir Putin wären – was würden Sie ihm raten?
Das größte Problem ist, dass unsere Wirtschaft nicht effizient ist. Die Arbeitsproduktivität beträgt gerade einmal 40 Prozent von der in den USA. Ich würde Putin empfehlen, unsere Bürokratie und die Korruption weiter abzubauen, um das Klima für die Investoren wieder zu verbessern.
Ausland
Aber diese Pläne gibt es doch schon längst.
Das stimmt, aber die Regierung macht zu wenig. Wichtig ist, dass wir uns darauf konzentrieren, den Import und Export so einfach wie möglich zu gestalten, indem wir etwa die benötigte Zeit für eine Verzollung drastisch reduzieren. Wenn Putin nicht zu seinen Plänen aus den vergangenen Jahren zurückkehrt, werden wir kein wirtschaftliches Wachstum bekommen.