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Interview Profumo „Italien wird kein zweites Griechenland“

„Europas Problem heißt Italien“, sagt Alessandro Profumo. Das Land hat viel mehr Gewicht als Griechenland - und ein Glaubwürdigkeitsproblem. Daher müsse die nächste Regierung rasch handeln, drängt der Topbanker.

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Alessandro Profumo: „Die Welt der Unternehmen ist extrem lebendig“ Quelle: Reuters

Handelsblatt: Der Internationale Währungsfonds und die Europäische Union haben Italien unter Aufsicht gestellt, viermal im Jahr muss es seine Reformfortschritte prüfen lassen. Wie steht es um Italien?

Alessandro Profumo: Das Problem Italiens ist die politische Glaubwürdigkeit. Wir stehen finanziell und ökonomisch heute genauso da wie vor einem Jahr oder wie vor drei Jahren. Aber die interne Situation ist weniger stabil. Gemessen am Defizit, steht Italien gar nicht so schlecht da. Es stimmt zwar, dass das Land seit Jahren eine hohe Gesamtverschuldung hat – die Neuverschuldung dagegen ist relativ gering. Aber es fehlt an der Governance, an der Rechtssicherheit und der Strafverfolgung. Und dann gibt es noch das Problem der Korruption.

Wer hat denn recht: die Märkte mit ihren hohen Risikoaufschlägen für italienische Staatsanleihen? Oder Berlusconi, der jüngst erklärte, die Restaurants seien voll und die Ferienflieger ausgebucht, so dass man nicht von einer echten Krise sprechen könnte?

Die Märkte haben recht. Aber nicht aus ökonomisch-finanziellen Gründen, sondern wegen der Glaubwürdigkeit des Landes. Es ist natürlich wahr, das unsere Staatsverschuldung sehr hoch ist. Deshalb habe ich mich auch für die Einführung einer sehr hohen Vermögensteuer ausgesprochen. Italien muss seine Hausaufgaben machen, damit das Land kein europäisches Problem mehr darstellt. Ich bin überzeugt, dass das Problem Europas derzeit nicht Griechenland ist, sondern Italien.

Droht sich Italien zu einem weiteren Griechenland zu wandeln?

Ich denke nicht. Italien besitzt einen großen Reichtum: Es hat eine starke Industrie, große private Vermögen und alle Möglichkeiten, um dieses Land gut funktionieren zu lassen.

Wird es den Euro bald nicht mehr geben?

Vor einem Jahr hätten alle noch geantwortet, dass die Wahrscheinlichkeit bei null liegt. Aber wenn dies geschehen sollte, wäre es ein Desaster, vor allem für Deutschland. Deutschland hat seinen Außenhandelsüberschuss nicht zuletzt dem Euro zu verdanken. Eine Rückkehr zur D-Mark würde die Investoren anlocken und zu einer Super-Mark führen – das wäre das Ende des deutschen Exports. Wir müssen alles daransetzen, dass der Euro nicht auseinanderfällt.

Könnten Euro-Bonds eine Lösung sein?

Man kann keine Euro-Bonds begeben, solange Italien eine Verschuldung von 120 Prozent hat. Italien muss erst seine Hausaufgaben machen und die Staatsverschuldung senken. Außerdem sind mehr Einheit auf europäischer Ebene vonnöten, mehr Kontrollen der einzelnen Länder und eine einheitlichere Steuerpolitik.

Angela Merkel und Nicolas Sarkozy haben die Situation in Europa auf ihre Art in die Hand genommen. Haben sie das gut gemacht?

Sicher haben beide auch Probleme zu Hause, die ihr Verhalten beeinflusst haben. Wenn ich eine Kritik äußern darf, dann diese: Dass man das Problem Griechenland ein Jahr lang hat schleifen lassen, ist verheerend gewesen.


„Italienische Banken haben das Problem, dass sie aus Italien sind“

In jüngster Zeit haben sich sogar Banker und Unternehmer öffentlich gegen Berlusconi gewandt. Warum?

Weil ihnen bewusst wird, dass der hohe Spread, also der Risikoaufschlag gegenüber deutschen Bundesanleihen, verheerend ist für die Unternehmen und für die Banken. Ein Regierungswechsel liegt in ihrem eigenen Interesse.

Ist oder war Berlusconi das einzige Problem für Italien?

Nein, es war auch eine Frage der Alternativen. Die Opposition hat jahrelang immer nur Berlusconi attackiert und gesagt, dass er weg muss, statt ein eigenes Programm zu präsentieren.

Kann Italien jetzt ohne Berlusconi das Blatt noch wenden?

Ja, davon bin ich überzeugt. Die Menschen, die dieses Land ändern können, gibt es – angefangen bei unserem Präsidenten Giorgio Napolitano.

Was sind die Stärken Italiens, das Potenzial für die zukünftige Entwicklung? 

Die Welt der Unternehmen ist extrem lebendig. Auch unsere Industrie ist noch sehr stark, Kultursektor und Tourismus haben Potenzial. Auch unser Bildungssystem ist nicht so schlecht, wie viele sagen.


"Die Banken sind gefährdet"

Was muss jetzt geschehen?

Wir brauchen eine große Koalition aller moderaten Kräfte mit einer großen Mehrheit. Für diese Regierung gibt es dann zwei Prioritäten: die Sanierung der Staatsfinanzen und ein neues Wahlrecht. Außerdem muss sie das Wachstum ankurbeln.

Kann man das Wachstum mit den Rezepten Berlusconis ankurbeln, die aus seinem jüngsten Brief an die Europäische Union hervorgehen?

Zum Teil ja. Aber man muss in einer großangelegten „spending review“ alle Ausgaben untersuchen, um die Ressourcen neu zu ordnen. Dann müssen wir für mehr Konkurrenz sorgen. Außerdem müssen die Gesetze vereinfacht werden. Alles Dinge, die diese Regierung nicht gemacht hat.

Wie ergeht es im derzeitigen Szenario dem Bankensektor?

Die italienischen Banken haben das Problem, in Italien basiert zu sein. Was ihre Stärke angeht, sind vor allem die beiden großen, Unicredit und Intesa Sanpaolo, gute Banken. Aber wenn es der italienischen Wirtschaft schlechtgeht, geht es auch den italienischen Banken schlecht. Sie haben schließlich viele Kredite an italienische Unternehmen vergeben.

Und sie haben auch viele italienische Staatsanleihen in ihrem Portfolio.

Sicher. Es sind italienische Banken, daher haben sie auch viele italienische Titel in ihren Büchern. In einer Situation wie dieser ist das ein Problem. Wenn die Staatsanleihen gefährdet sind, sind auch die Banken gefährdet. Aber noch vor kurzer Zeit war es absurd zu denken, dass Titel des eigenen Staats ein Problem sein könnten.


Zur Person: Alessandro Profumo

Alessandro Profumo, 1957 in Genua geboren, ist der bekannteste Banker Italiens. Als 39-Jähriger zum Chef der Unicredito ernannt, schmiedete er aus einem Konglomerat von Sparkassen eine Großbank, zu der seit 2005 auch die deutsche Hypo-Vereinsbank gehört. Im September 2010 trat Profumo als Vorstandschef zurück. Heute sitzt er in diversen Aufsichtsräten, unter anderem beim größten italienischen Konzern Eni und bei der russischen Sberbank.

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