Interview Sedelmayer  „Vergeltungsmaßnahmen von Russland sind fast zwingend“

Die Investoren des enteigneten Ölkonzerns Jukos wollen russisches Staatseigentum in Deutschland zwangsversteigern. Franz Sedelmayer ist der Einzige, dem dies bisher gelang. Ein Gespräch über den drohenden Pfändungskrieg.

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Die wichtigsten Export- und Importländer von Erdöl
Nigerianische Arbeiter an einer Öl-Leitung Quelle: dpa
Rang 5: Vereinigte Arabische EmirateExport: 120,6 Millionen Tonnen Anteil an Gesamtexporten: 5,8 Prozent Quelle: AP
Rang 4: IrakExport: 120,7 Millionen Tonnen Anteil an den Gesamtexporten: 5,8 Prozent Quelle: dapd
Rang 3: KanadaExport: 128,0 Millionen Tonnen Anteil am Gesamtexport: 6,1 Prozent Quelle: REUTERS
Rang 2: RusslandExport: 239,4 Millionen Tonnen Anteil an Gesamtexporten: 11,4 Prozent Quelle: dpa
Rang 1: Saudi-ArabienExport: 375,5 Millionen Tonnen Anteil am Gesamtexport: 17,9 Prozent Quelle: dpa
Die größten ÖlimporteureRang 6: DeutschlandImport: 93,4 Millionen Tonnen Anteil an den globalen Importen: 4,3 Prozent Quelle: dpa

Anfang des Jahrhunderts war Jukos noch eines der größten Erdölunternehmen Russlands. 2004 ließ die Regierung in Moskau den Konzern zerschlagen und schickte den Vorstandsvorsitzenden, Michael Chodorkowski, für zehn Jahre ins Gefängnis. Diesen Sommer urteilte ein Schiedsgericht in Den Haag, dass die Aktionäre des Konzerns unrechtmäßig enteignet wurden und sprach ihnen die höchste Entschädigungssumme aller Zeiten zu: 50 Milliarden US-Dollar. Russland weigert sich allerdings beharrlich die Aktionäre zu entschädigen.

Wie die Jukos-Investoren trotzdem an ihr Geld kommen könnten, zeigt der Fall eines unerschrockenen Bayers. Franz Sedelmayer kämpft seit 20 Jahren gegen Russland um Recht und Millionen. 1994 wurde der Münchner Kaufmann mit seiner Sicherheitsfirma vom damaligen russischen Präsidenten, Boris Jelzin, per Präsidialdekret enteignet. Sedelmayer klagte und bekam Recht. Weil Russland ihm aber nie einen Cent überwies, ließ er russischen Staatsbesitz im Ausland mehrfach zwangsversteigern.

Sedelmayer erstritt weltweit jene Grundsatzentscheidungen, mit denen jetzt auch die Jukos-Gläubiger an ihr Geld gelangen wollen. Ein Gespräch über die Möglichkeiten und Grenzen des Pfändens von Staatsbesitz.

WirtschaftsWoche: Herr Sedelmayer, ein Schiedsgericht urteilte im Sommer, dass die Aktionäre des ehemaligen Ölkonzerns Jukos von Russland unrechtmäßig enteignet wurden. Der Anwalt des Jukos-Konsortiums hat jetzt laut Spiegel angekündigt, auch bei deutschen Gerichten die Vollstreckung des Urteils zu beantragen. Was kommt da auf Deutschland zu?

Chronologie des Falls Michail Chodorkowski

Sedelmayer: Das Problem ist: Den enteigneten Jukos-Investoren ist zwar vom Ständigen Schiedsgerichtshof in Den Haag die höchste Entschädigungssumme aller Zeiten zugesprochen worden. Aber Russland erkennt Schiedsgerichtsurteile schlichtweg nicht an und weigert sich stets Gläubiger zu bezahlen. Das habe ich selbst leidvoll erfahren. Für die Jukos-Gläubiger heißt das, Sie haben erst die Hälfte des Weges, nämlich den kostengünstigeren Teil,  hinter sich. Sie haben zwar einen Rechtsanspruch erwirkt, aber um an ihr Geld zu kommen, müssen sie den jetzt auch vollstrecken. 

 Wie treibt man Geld von einer Supermacht ein?

Zunächst muss man sich damit beschäftigen, wo Russland überall Vermögenswerte hat. In Russland selbst haben die Jukos-Aktionäre  keine Chance, also bleibt ihnen nur die Möglichkeit, russisches Eigentum außerhalb Russlands aufzuspüren.

 Der Kölner Rechtswissenschaftler Jörn Griebel attestiert Ihnen beim Auftreiben von russischem Vermögen ein besonderes „detektivisches Gespür“. Wo wurden Sie fündig?

Beim Pfänden muss man schon ein wenig kreativ sein, das stimmt. Ich habe vor allem nach Drittschuldnern gesucht. Also nach Firmen oder Personen, die meinem Schuldner Geld schulden. Ich habe dann beispielsweise angefangen die Überfluggebühren der Lufthansa an Russland zu pfänden. Oder die Mehrwertsteuer-Rückerstattungen von Deutschland an die Russische Föderation.

 Wie geht das?

Wenn die Botschaft etwa Bananen in einem deutschen Supermarkt kauft, dann muss  diese zwar, wie jeder andere auch, sieben Prozent Mehrwertsteuer darauf zahlen. Aber als diplomatische Vertretung   genießt man das Privileg, sich die Mehrwertsteuerausgaben vom Finanzamt refundieren lassen zu können. Leider hat mir der Bundesgerichtshof aber in diesem  Fall die Pfändung ebenso untersagt, wie bei den Überfluggebühren der Lufthansa. Es handle sich hier um Mittel,  die für die Aufrechterhaltung hoheitlicher Tätigkeit nötig wären, so die Argumentation.

Wert des russischen Eigentums im Ausland deckt keine Rekordforderung

 Erfolgreich waren Sie dafür bei Immobilien.

In Köln und im schwedischen Lidingö habe ich die ehemaligen russischen Handelsvertretungen beschlagnahmen, zur Versteigerung aufwerfen und zum Höchstgebot verkaufen lassen. Bei Immobilien haben Sie einen großen Vorteil: das Grundbuch. Da sind die Eigentumsverhältnisse schwarz auf weiß dokumentiert. Hier kommt es nämlich dann nur noch auf die Nutzung an; sprich gewerblich, gemischt oder hoheitlich.

 Was kann man denn überhaupt alles pfänden?

Prinzipiell ist es möglich, alle Forderungen des russischen Staates an Dritte zu pfänden. Wenn BMW etwa der russischen Polizei Autos liefert, können Sie die Lieferung beschlagnahmen bevor sie Deutschland verlässt. Anderes Beispiel: Ein deutsches Unternehmen kauft etwas vom russischen Staat. Dann ist es möglich die Geldforderung pfänden zu lassen. Oder nehmen Sie etwas Greifbares: Wenn der russische Staat in Deutschland Produkte kauft, können Sie die Hand darauf legen, bevor es verschickt oder verschifft wird. Denken Sie etwa an Öl- und Gasförderausrüstung oder Ersatzteile. Der Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt.

 Wo liegen die Grenzen des Pfändens? Was geht nicht?

Ausgenommen sind alle Belange, die hoheitlichen Zwecken dienen. Das heißt: Botschaften, Konsulate UN-Missionen und Ähnliches mehr sind absolut tabu. Alle hoheitlichen Fahrzeuge, vom Kriegsschiff bis zum Flugzeug können Sie vergessen. Wenn Wladimir Putin auf Staatsbesuch nach Berlin kommt, dürfen Sie ihm weder seine Staatslimousine noch das Flugbenzin aus dem Tank des Staatsfliegers wegpfänden.

 Gibt es denn überhaupt genug russisches Vermögen im Ausland, um die Rekordforderungen der Jukos-Gläubiger von 50 Milliarden US-Dollar abzudecken?

Nein, so viel Vermögen gibt es definitiv nicht. Konservativ überschlagen, von dem was ich kenne, würde ich das potentiell pfändbare Eigentum der Russen im Ausland auf zwei bis drei Milliarden Dollar schätzen. Russland hält aber einen großen Teil dieses Realvermögens meist  in den sozialistischen Bruderstaaten wie Syrien, China oder Kuba. Russland genießt in diesen Ländern absolute Immunität – da können Sie gar nichts vollstrecken. Der einzig realistische Weg, um die ehemaligen Jukos-Aktionäre zu bedienen, sind die Exportfirmen an denen der Staat Russland eine nicht unbeträchtliche  Beteiligung hält. Insbesondere all jene Firmen sind interessant, an denen Russland einen Staatsanteil von über 50 Prozent hält, wie etwa Rosneft oder Aeroflot.

 Wie will ein Gläubiger an Staatsfirmen herankommen?

Jukos kann mit den Gerichtsprozessen zur Zwangsvollstreckung, russische Firmen über Jahre hinweg lahmlegen. Etwa in dem man bei den verschiedenen Vollstreckungsgerichten entsprechend umfassende Sicherungsmaßnahmen beantragt und so Vermögenswerte und Geld blockiert.

Welchen Staaten der niedrige Ölpreis besonders schadet
Erdölförderung Quelle: dpa
Ölförderung in Saudi-Arabien Quelle: REUTERS
Ölförderung in Russland Quelle: REUTERS
Oman Ölpreis Quelle: Richard Bartz - eigenes Werk. Lizenziert unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 über Wikimedia Commons
Öl-Leitung im Niger-Delta Quelle: dpa
Ölförderpumpe in Bahrain Quelle: AP
Venezuela Ölförderung Quelle: REUTERS

 Das müssen Sie näher erklären.

Ich muss ja nicht auf Rosneft und Co. am Hauptsitz zugreifen. Es gibt auch einige russische Firmen, die etwa an der Börse in New York notiert sind. Konkret: Die Flugzeuge von Aeroflot könnten Sie beschlagnahmen lassen. Das einfachste Mittel, um Schulden über Firmen einzutreiben, ist aber, die Zahlungen von  Drittschuldnern zu pfänden. So kommt die Geschäftstätigkeit der Firma mit Staatsbeteiligung de facto zum Erliegen, weil Sie Ihnen das gesamte Einkommen aus Exporten  zumindest auf lange Zeit blockieren, wenn nicht sogar auf Dauer ganz wegnehmen können. Die Firmen sind aber trotzdem gezwungen ihr Exportgeschäft fortzuführen. Und die Liste der Folterinstrumente ist hier lang.

"Vergeltungsmaßnahmen von Russland sind fast zwingend"

 Russland hat bereits angekündigt nicht kleinbeizugeben. Was würde denn passieren, wenn ein deutsches Gericht ein russisches Unternehmen festlegt?

Die Russen bereiten sich gerade auf diesen Fall vor. Erst Anfang Oktober wurde das sogenannte Rotenberg-Gesetz in erster Lesung in der Duma, dem russischen  Parlament, gebilligt. Die Gesetzesvorlage sieht Entschädigungen aus dem Staatshaushalt für den Fall vor, dass russische Vermögen auf Anordnung ausländischer Gerichte beschlagnahmt werden. Außerdem soll die russische Justiz die Konfiszierung ausländischen Staatseigentums beschließen dürfen.

 Sie rechnen damit, dass sich Russland für Pfändungen hierzulande revanchiert, in dem deutsche Firmen, die in Russland tätig sind, enteignet werden?

Absolut. Ich halte derartige Vergeltungsmaßnahmen von Russland fast für zwingend. Man muss sich ja die Dimensionen vor Augen führen: Die Russen würden durch Pfändungen ihrer Staatsfirmen erheblich in ihrem Außenhandel behindert. In Kombination mit den Wirtschaftssanktionen der USA und der EU sind die Forderungen von Jukos blankes Gift für Russland. Russland finanziert sich ja vorwiegend über den Export von Rohstoffen. In dem Land selbst wird ja kaum noch etwas produziert. Die Russen sagen selbst, sie leben in einem Saudi-Arabien mit Bäumen.

 Was raten sie den etwa 6.000 deutschen Unternehmen, die derzeit in Russland tätig sind?

Ganz einfach: Jeder der noch bei Sinnen ist, sollte die Investitionstätigkeit und somit sein Risiko zurückfahren. Und wenn möglich,  bald an lokale Partner verkaufen. Jetzt ist noch Zeit, Russland intakt zu verlassen. Wer auf Besserung hofft und bleibt, wird abgestraft.

 Pfändungen von russischem Staatsbesitz bergen enormen diplomatischen Sprengstoff. Wird sich die deutsche Politik raushalten, wenn die Jukos-Aktionäre etwa Gazprom-Anlagen in Deutschland konfiszieren lassen?

Die Politik muss sich raushalten. Wir haben – wie jede andere Demokratie auch – absolute Gewaltenteilung.

 Warum sind sie sich so sicher, dass die Politik nicht eingreift? Sie wurden doch selbst an Pfändungen behindert.

Ich bin sogar kurzzeitig, samt Gerichtsvollziehern,  von der Polizei rechtswidrig festgenommen worden, als ich 2006 auf der Internationalen Luftfahrtausstellung in Berlin russische Satellitenmodelle pfänden wollte. Auf Weisung des Bundeskanzleramts wurde damals eine völlig legale Zivilrechtsmaßnahme torpediert. Aber bei Jukos ist die Sache anders gelagert. Jede politische Einmischung würde sofort thematisiert. Alle Jukos-Entscheidungen werden mit Argusaugen beobachtet.

 Die deutsche Regierung will den Pfändungskrieg stoppen, bevor er startet und setzt auf einen Kuhhandel: Gegen den Verzicht auf die Milliardenzahlungen stellt Russland die Strafverfahren gegen die Ex-Jukos-Manager ein. Realistisch?

Dass sich die Bundesregierung hier wirklich bemüht, wäre mir neu. Eine Einigung zwischen Gläubiger und Schuldner halte ich in diesem Fall für völlig ausgeschlossen. Wenn die offenen Strafverfahren gegen die Jukos-Investoren fallengelassen würden, könnten die beiden Seiten zwar ein klein wenig aufeinander zugehen. Aber das wäre sicher keine 50 Milliarden Dollar wert.

 Wie lange wird es dauern bis Jukos seine Ansprüche durchbekommt?

Mindestens zehn Jahre. Es braucht viel Geduld, um zu seinem Recht zu kommen. Im Gegensatz zu mir, haben die Jukos-Aktionäre aber zwei entscheidende Vorteile: Sie haben Zeit und eine prall gefüllte Kriegskasse. Das ermöglicht ihnen parallel in mehreren dutzend Ländern Gerichtsverfahren und Vollstreckungen durchzuführen. Wenn es in Deutschland nicht klappt, gehen sie eben woanders hin.

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