Anfang des Jahrhunderts war Jukos noch eines der größten Erdölunternehmen Russlands. 2004 ließ die Regierung in Moskau den Konzern zerschlagen und schickte den Vorstandsvorsitzenden, Michael Chodorkowski, für zehn Jahre ins Gefängnis. Diesen Sommer urteilte ein Schiedsgericht in Den Haag, dass die Aktionäre des Konzerns unrechtmäßig enteignet wurden und sprach ihnen die höchste Entschädigungssumme aller Zeiten zu: 50 Milliarden US-Dollar. Russland weigert sich allerdings beharrlich die Aktionäre zu entschädigen.
Wie die Jukos-Investoren trotzdem an ihr Geld kommen könnten, zeigt der Fall eines unerschrockenen Bayers. Franz Sedelmayer kämpft seit 20 Jahren gegen Russland um Recht und Millionen. 1994 wurde der Münchner Kaufmann mit seiner Sicherheitsfirma vom damaligen russischen Präsidenten, Boris Jelzin, per Präsidialdekret enteignet. Sedelmayer klagte und bekam Recht. Weil Russland ihm aber nie einen Cent überwies, ließ er russischen Staatsbesitz im Ausland mehrfach zwangsversteigern.
Sedelmayer erstritt weltweit jene Grundsatzentscheidungen, mit denen jetzt auch die Jukos-Gläubiger an ihr Geld gelangen wollen. Ein Gespräch über die Möglichkeiten und Grenzen des Pfändens von Staatsbesitz.
WirtschaftsWoche: Herr Sedelmayer, ein Schiedsgericht urteilte im Sommer, dass die Aktionäre des ehemaligen Ölkonzerns Jukos von Russland unrechtmäßig enteignet wurden. Der Anwalt des Jukos-Konsortiums hat jetzt laut Spiegel angekündigt, auch bei deutschen Gerichten die Vollstreckung des Urteils zu beantragen. Was kommt da auf Deutschland zu?
Chronologie des Falls Michail Chodorkowski
Michail Chodorkowski, der Chef des Yukos-Ölkonzerns, wird spektakulär bei einer Zwischenlandung seines Privatjets in Nowosibirsk festgenommen. Die Justiz wirft dem Multimilliardär Betrug und Steuerhinterziehung vor. Sein Geschäftspartner Platon Lebedew war bereits im Juli verhaftet worden.
In Moskau beginnt der erste Prozess gegen Chodorkowski und Lebedew. Die Verteidigung wirft dem Kreml vor, er steuere das Verfahren, weil der Yukos-Chef in Opposition zu Präsident Wladimir Putin gegangen sei.
Chodorkowski und Lebedew werden unter anderem wegen schweren Betrugs und Bildung einer kriminellen Vereinigung zu je neun Jahren Straflager verurteilt. Ein Berufungsgericht reduziert die Strafe im September 2005 auf je acht Jahre.
In Washington verabschiedet der US-Senat unter anderem mit der Stimme des heutigen US-Präsidenten Barack Obama eine Erklärung, in der er den Prozess gegen Chodorkowski und Lebedew als politisch motiviert kritisiert.
Der Yukos-Konzern wird nach seiner Zerschlagung und dem Verkauf der Teile aus Russlands Handelsregister gelöscht.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht sich bei einem Treffen mit Putin in Moskau für Chodorkowskis Begnadigung aus. Auch andere deutsche Politiker forderten Russland wiederholt zum rechtsstaatlichen Umgang mit den beiden Unternehmern auf.
In Moskau beginnt der zweite Prozess gegen Chodorkowski und Lebedew. Die Verteidigung nennt die Vorwürfe der Unterschlagung von 218 Millionen Tonnen Erdöl „absurd und unlogisch“.
Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) fordern ehemalige Yukos-Eigentümer von Russland 98 Milliarden Dollar Schadensersatz. Sie werfen Moskau unrechtmäßige Zwangsenteignung vor zur eigenen Bereicherung.
Ein Gericht verurteilt Chodorkowski und Lebedew unter Einbeziehung der ersten Strafe zu insgesamt jeweils 14 Jahren Haft. Es folgen Strafnachlässe. Chodorkowski soll nach 10 Jahren und 10 Monaten im August 2014 freikommen, Lebedew schon im Mai.
Der EGMR lehnt Chodorkowskis Klage ab, wonach das erste Verfahren gegen ihn politisch motiviert gewesen sei. Am 25. Juli 2013 bestätigen die Richter das, halten das russische Vorgehen gegen Chodorkowski aber für ungerecht. Weitere Klagen sind anhängig.
Die Lech-Walesa-Stiftung in Warschau zeichnet Chodorkowskis mit dem Freiheitspreis aus. Er ist mit 100.000 US-Dollar (knapp 73.000 Euro) dotiert.
Zum zehnten Jahrestag seiner Inhaftierung fordern Menschenrechtler Chodorkowskis Freilassung.
Russlands Justiz bestätigt erstmals, dass wegen Geldwäsche ein weiteres Verfahren gegen den Kremlgegner geplant ist.
Putin kündigt die Begnadigung von Chodorkowski an. Nur einen Tag später unterzeichnet er ein Dekret zur Begnadigung des mittlerweile 50-Jährigen. Chodorkowski kommt mit sofortiger Wirkung auf freien Fuß.
Sedelmayer: Das Problem ist: Den enteigneten Jukos-Investoren ist zwar vom Ständigen Schiedsgerichtshof in Den Haag die höchste Entschädigungssumme aller Zeiten zugesprochen worden. Aber Russland erkennt Schiedsgerichtsurteile schlichtweg nicht an und weigert sich stets Gläubiger zu bezahlen. Das habe ich selbst leidvoll erfahren. Für die Jukos-Gläubiger heißt das, Sie haben erst die Hälfte des Weges, nämlich den kostengünstigeren Teil, hinter sich. Sie haben zwar einen Rechtsanspruch erwirkt, aber um an ihr Geld zu kommen, müssen sie den jetzt auch vollstrecken.
Wie treibt man Geld von einer Supermacht ein?
Zunächst muss man sich damit beschäftigen, wo Russland überall Vermögenswerte hat. In Russland selbst haben die Jukos-Aktionäre keine Chance, also bleibt ihnen nur die Möglichkeit, russisches Eigentum außerhalb Russlands aufzuspüren.
Der Kölner Rechtswissenschaftler Jörn Griebel attestiert Ihnen beim Auftreiben von russischem Vermögen ein besonderes „detektivisches Gespür“. Wo wurden Sie fündig?
Beim Pfänden muss man schon ein wenig kreativ sein, das stimmt. Ich habe vor allem nach Drittschuldnern gesucht. Also nach Firmen oder Personen, die meinem Schuldner Geld schulden. Ich habe dann beispielsweise angefangen die Überfluggebühren der Lufthansa an Russland zu pfänden. Oder die Mehrwertsteuer-Rückerstattungen von Deutschland an die Russische Föderation.
Wie geht das?
Wenn die Botschaft etwa Bananen in einem deutschen Supermarkt kauft, dann muss diese zwar, wie jeder andere auch, sieben Prozent Mehrwertsteuer darauf zahlen. Aber als diplomatische Vertretung genießt man das Privileg, sich die Mehrwertsteuerausgaben vom Finanzamt refundieren lassen zu können. Leider hat mir der Bundesgerichtshof aber in diesem Fall die Pfändung ebenso untersagt, wie bei den Überfluggebühren der Lufthansa. Es handle sich hier um Mittel, die für die Aufrechterhaltung hoheitlicher Tätigkeit nötig wären, so die Argumentation.