Irak Regierungschef will Kurden-Referendum ignorieren

Nach dem Unabhängigkeitsreferendum der Kurden im Nordirak warnen die USA vor Unsicherheit in der Region. Das Ergebnis der Abstimmung ist noch unklar. Iraks Ministerpräsident will das Referendum nicht anerkennen.

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Ein Mann, der das Wort «Yes» in seine Haare rasiert hat. Nach dem umstrittenen Unabhängigkeitsreferendum der Kurden im Nordirak wächst die Sorge vor neuen Spannungen in der Region. Quelle: dpa

Bagdad, Erbil, Sulaimaniya Iraks Ministerpräsident Haidar al-Abadi will das kurdische Unabhängigkeitsreferendum nicht anerkennen. Er werde sich mit dem Ergebnis nicht beschäftigen, sagte Al-Abadi am späten Montagabend, wie die Nachrichtenseite Al-Sumaria meldete. Stattdessen wolle er die Maßnahmen gegen diejenigen verschärfen, die für „dieses Chaos und diese Zwietracht“ verantwortlich seien.

Die Kurden im Nordirak hatten am Montag gegen scharfe internationale Kritik über ihre Unabhängigkeit abgestimmt. Nach ersten Ergebnissen zeichnete sich eine überwältigende Mehrheit für eine Abspaltung ab. Die Nachbarn Türkei und Iran hatten die Kurden vor dem Referendum gewarnt.

Die USA haben sich nach dem Unabhängigkeitsreferendum der Kurden im Nordirak enttäuscht gezeigt. Dieses sei einseitig gewesen, sagte die Sprecherin des US-Außenministeriums, Heather Nauert, am Montag (Ortszeit). Unsicherheiten und Schwierigkeiten erhöhten sich damit in der autonomen Kurdenregion im Irak. Trotz der Abstimmung wollten die USA ihre „historische Beziehung“ zu den irakischen Kurden aber nicht ändern. Auch UN-Generalsekretär António Guterres äußerte Bedauern.

Das Referendum sei nur von einer Seite ausgerufen worden und habe zudem Gebiete berücksichtigt, die von der Regierung in Bagdad sowie der kurdischen Verwaltung beansprucht werden, sagte UN-Sprecher Stéphane Dujarric. Guterres bereue, dass die Möglichkeiten zur Verhandlung nicht abgewogen worden seien. Die Entscheidung, das Votum trotz internationaler Kritik abzuhalten, habe das Potenzial, die Lage vor Ort zu destabilisieren. Das Ergebnis wird vermutlich mit einer großen „Ja“-Mehrheit - also für die Abspaltung vom Irak - ausfallen.

In der irakischen Hauptstadt erklärte das Verteidigungsministerium des Landes, gemeinsam mit der Türkei sollten groß angelegte Militärübungen stattfinden. Scharf reagierte auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und drohte mit einer militärischen Intervention. Mit Blick auf derzeit laufende Manöver der türkischen Streitkräfte entlang der Grenze zum Irak sagte er, die Soldaten seien nicht „für nichts“ vor Ort. „Wir könnten eines abends plötzlich da sein.“ Eine kurdische Unabhängigkeit sei für die Türkei inakzeptabel, sagte er und brachte die Schließung einer Ölpipeline aus dem Nordirak und des Grenzübergangs ins Spiel.

Ungeachtet internationaler Proteste und gegen den Willen der irakischen Zentralregierung haben viele Kurden am Montag über die Unabhängigkeit ihrer Region abgestimmt. 78 Prozent der 5,2 Millionen Wahlberechtigten hätten sich an dem Referendum beteiligt, berichtete der kurdische Fernsehsender Rudaw TV. Das Endergebnis soll innerhalb von 72 Stunden vorliegen.

Es wird erwartet, dass eine klare Mehrheit der Stimmberechtigten mit „Ja“ votiert. Der Ausgang des Referendums in dem erdölreichen Gebiet am Montag ist zwar nicht bindend. Es soll jedoch dem Präsidenten der kurdischen Regionalregierung, Massud Barsani, ein Mandat für Verhandlungen mit der Regierung in Bagdad und den Nachbarstaaten geben.

„Auf diesen Tag haben wir Hundert Jahre gewartet“, sagte ein Wähler in Erbil, der Hauptstadt der Region. „Wir wollen einen eigenen Staat haben.“ In dem Dorf Scheich Amir an der Front westlich von Erbil standen kurdische Kämpfer in einer langen Schlange vor einem Wahllokal in einer Schule an. Nach der Stimmabgabe hielten sie ihre mit Tinte markierten Finger hoch, die meisten von ihnen lächelten. Die irakischen Kurden betrachten die Abstimmung auch als Anerkennung ihres Kampfes gegen die Islamisten-Miliz IS, die 2014 die irakische Armee überrannt und zeitweise ein Drittel des Staatsgebiets unter seine Kontrolle gebracht hatte.

Abgestimmt wurde nicht nur im Autonomiegebiet der Kurden, sondern auch in Regionen, in die kurdische Milizen im Kampf gegen den IS vorgerückt sind. Die USA haben die Abstimmung vor allem in diesen Gebieten als Provokation bezeichnet. Die Türkei bezeichnete den Ausgang der Abstimmung als null und nichtig.

Insgesamt leben in der Region etwa 30 Millionen Kurden verteilt über mehrere Staaten. Auch die Regierung in Teheran befürchtet ein Erstarken der Minderheit im Iran. Der iranische Militärberater Jahja Rahim Safawi verurteilte das Referendum als „Hochverrat“ an den Kurden im Irak. Der Iran habe den Flugverkehr in die Region gestoppt, sagte er der amtlichen Nachrichtenagentur Irna. Er hoffe, dass die Nachbarstaaten auch die Landwege sperren würden.

Der syrische Außenminister Walid al-Mualem sagte der Nachrichtenagentur Sana, sein Land erkenne die Abstimmung nicht an. Auch Deutschland hat sich gegen das Referendum ausgesprochen. Im Nordirak sind deutsche Soldaten stationiert, die kurdische Peschmerga für den Kampf gegen den IS ausbilden.

Barsani hat sich dem Druck widersetzt und erklärt, die Kurden seien bereit, jeden Preis für ihre Freiheit zu zahlen. Der Ministerpräsident der kurdischen Regionalregierung, Nechirwan Barxani, sprach sich seinerseits gegen Gewalt aus. „Das Referendum bedeutet weder, dass morgen die Unabhängigkeit kommt, noch wollen wir neue Grenzen ziehen“, sagte er in Erbil. „Wenn das „Ja“-Lager gewinnt, werden wir unsere Differenzen mit Bagdad friedlich lösen.“

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