
Die Unterhändler bei den Atomverhandlungen der UN-Vetomächte und Deutschland mit dem Iran werden am Dienstag voraussichtlich erneut eine Frist überziehen. Die Delegationen der sieben beteiligten Nationen hatten sich ursprünglich den 30. Juni als Zielmarke gesetzt, um ein endgültiges Abkommen zu erreichen, sich dann aber eine weitere Woche gegeben, um zu einer Einigung zu gelangen. Am Montag waren noch eine Reihe von Fragen zwischen den Gesprächen in Wien ungeklärt, wie es aus Kreisen der Unterhändler hieß. Der Sprecher des Weißen Hauses, Josh Earnest, erklärte, eine Verlängerung sei „sicherlich möglich“.
Akteure im Atomkonflikt mit Iran
Der US-Präsident war 2009 mit einer „Politik der ausgestreckten Hand“ angetreten, wollte Kooperation statt Konfrontation mit feindlich gestimmten Ländern. Doch die Strategie hatte kaum Erfolg. Ein Abkommen mit dem Iran wäre ein außenpolitischer Befreiungsschlag, ein historischer Triumph. Doch Obama ist nicht naiv - schließlich wird er sich auch nach dem Ende seiner Präsidentschaft 2017 rechtfertigen müssen, falls ein Abkommen negative Folgen hätte.
Abgeordneten beider US-Parteien drohen offen damit, im Kongress gegen einen Vertrag zu stimmen. Kürzlich griffen sogar 47 republikanische Senatoren zu einem beispiellos drastischen Mittel und schrieben an die Führung in Teheran, jede Vereinbarung mit Obama wäre ohne das „Ja“ des republikanisch beherrschten Kongresses wertlos. Zudem könne der nächste Präsident die Vereinbarung „mit einem Federstrich widerrufen“. Das Weiße Haus tobte, weil die Autorität des Präsidenten untergraben werde; der habe weiterhin die außenpolitische Oberhoheit.
Der israelische Ministerpräsident, dessen konservative Likud-Partei gerade wieder die Wahlen gewonnen hat, gilt als Hauptfeind jeder Vereinbarung im Atomstreit mit dem Iran. Der 1949 in Tel Aviv geborene Sohn eines Historikers vergleicht Teheran oft mit biblischen Erzfeinden des jüdischen Volkes und sogar mit den Nationalsozialisten. In der Vergangenheit hatte der Regierungschef, der vor seiner vierten Amtszeit steht, mehrmals indirekt mit einem Militärschlag auf die iranischen Atomanlagen gedroht. Israel versucht vor allem über die USA, Einfluss auf den Ausgang der Gespräche zu nehmen. Weil Netanjahus Verhältnis zu Präsident Obama schlecht ist, versucht er es über den US-Kongress.
Frankreichs Außenminister Laurent Fabius wie auch Präsident François Hollande gelten als Hardliner in den Gesprächen und haben 2014 bereits eine Vereinbarung ausgebremst. Sie betonen die Notwendigkeit effizienter Kontrollen der Abmachungen und technischer Details wie der Anzahl der Uran-Zentrifugen und der Forschungskapazitäten des Irans. Frankreich sieht den Iran, der einst an der Urananreicherung in Frankreich beteiligt war, kritisch wegen dessen militärischer Rolle in den Krisenstaaten Irak, Syrien und Libanon, die früher wichtige Rollen in Frankreichs Arabienpolitik spielten.
Präsident Hassan Ruhani hat viel in die Atomverhandlungen investiert. Eine umfassende Lösung wäre für den moderaten Kleriker und den gemäßigten Flügel in Teheran wichtig für das politische Überleben. Ein Scheitern könnte das Ende seiner prowestlichen Politik und eine Rückkehr der harten Islamisten bedeuten. Um die akute Wirtschaftskrise im Land zu beenden, braucht Ruhani außerdem eine schnelle Aufhebung der Sanktionen. Ein Ende des Atomstreits würde auch das Ende der Isolierung der Islamischen Republik bedeuten.
Ajatollah Ali Chamenei steht als höchste religiöse Instanz der Islamischen Republik über dem demokratisch gewählten Präsidenten. Er hat damit auch das letzte Wort im Atomkonflikt mit dem Westen. Der Kleriker war schon am Anfang der islamischen Revolution 1979 ein Vertrauter des Revolutionsführers Ruhollah Khomeini. 1989 wurde er zu dessen Nachfolger ernannt. Chamenei steht dem konservativen Flügel näher als den Reformern, hat aber eine gute Beziehung zu Präsident Hassan Ruhani. Im Atomstreit hat er dessen Kurs unterstützt.
Deutschland hat bei den Verhandlungen über das iranische Atomprogramm gerade am Anfang eine maßgebliche Rolle gespielt. Auch auf deutsche Initiative hin gab es bis 2005 mit Teheran rund 15 Treffen auf verschiedenen Ebenen. 2005 schien eine Einigung nahe, bis mit der Wahl des Hardliners Mahmud Ahmadinedschad zum iranischen Präsidenten 2006 die Lage eskalierte und fortan die UN-Vetomächte USA, Russland und China ins Boot kamen. Deutschland betont, dass ein diplomatischer Erfolg sehr wichtig für den von Konflikten erschütterten Mittleren Osten wäre, fordert aber klar nachprüfbare Ergebnisse der Gespräche.
Strittige Punkte waren vor allem, wie viel Zugang die internationalen Inspektoren zu iranischen Atomanlagen bekommen sollen und wie schnell die Sanktionen gegen das Land aufgehoben werden, sobald eine Einigung da ist. Am Montag erklärte ein ranghoher iranischer Diplomat, in einem separaten Abkommen solle zusätzlich eine Aufhebung des 2007 verhängten UN-Waffenembargos festgelegt werden. Das wird von Russland befürwortet, die USA lehnen dies ab. Sie fürchten, dass der Iran dann seine Verbündeten in der Region noch stärker bewaffnen könnte. Dazu gehören etwa die Huthi-Rebellen im Jemen oder die Hisbollah im Libanon.
Zwölf Jahre Streit um das iranische Atomprogramm
Der Iran erklärt sich bereit, die Urananreicherung und die Wiederaufbereitung von Brennstäben auszusetzen. Teheran unterzeichnet das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag, das Inspekteuren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) uneingeschränkten Zugang zu allen Atomanlagen des Landes erlaubt.
Teheran sagt zu, für die Dauer von Gesprächen mit der EU über ein politisches und wirtschaftliches Abkommen sein Programm zur Urananreicherung auszusetzen.
Der Iran nimmt die Urananreicherung wieder auf und wendet das Zusatzprotokoll nicht mehr an. Der UN-Sicherheitsrat verhängt erste Sanktionen gegen Teheran. Später folgen weitere Strafmaßnahmen.
EU-Chefdiplomat Javier Solana macht im Namen der Vetomächte im UN-Sicherheitsrat (USA, Großbritannien, Frankreich, Russland, China) sowie Deutschlands (5+1) Teheran ein neues Angebot zur Kooperation. Der Iran lehnt einen Verzicht auf Urananreicherung aber weiterhin ab.
Bei neuen 5+1-Gesprächen stimmt der Iran grundsätzlich der Möglichkeit zu, Uran im Ausland anzureichern. Teheran spielt jedoch auf Zeit und lässt auch eine Frist der IAEA dafür verstreichen.
In Istanbul wird eine weitere Runde der Gespräche des Irans mit der 5+1-Gruppe auf unbestimmte Zeit vertagt. Nach mehr als einem Jahr werden in Istanbul die Gespräche wieder aufgenommen. Weitere Treffen in Moskau und im kasachischen Almaty folgen.
Neue Gespräche in Genf münden in eine Übergangslösung. Der Iran muss sein Atomprogramm zunächst für sechs Monate auf Eis legen; dafür sollen erste Sanktionen gelockert werden.
Teheran ergreift erstmals überprüfbare Maßnahmen, um sein Atomprogramm in wichtigen Teilen zurückzufahren. Im Gegenzug lockern die USA und die EU erste Sanktionen. In Wien treffen sich erneut die 5+1-Gruppe und der Iran.
Am Rande der UN-Vollversammlung in New York, an der auch der iranische Präsident Hassan Ruhani teilnimmt, gibt es neue Verhandlungen des Irans mit der 5+1-Gruppe.
Auch Treffen von USA, EU und Iran in Maskat (Oman) sowie Gespräche der 5+1-Außenminister mit ihrem Kollegen aus Teheran in Wien bleiben ergebnislos.
Die IAEA und Teheran verhandeln wieder, um bis Monatsende eine vorläufige Einigung zu erzielen. Die Gespräche in verschiedenen Formaten von bilateralen Treffen bis zur großen Außenministerrunde im 5+1-Format sind aber bei Fristablauf nicht abgeschlossen.
Nach einer zweitägigen Verlängerung der Verhandlungen verständigen sich die UN-Vetomächte und Deutschland mit dem Iran auf Eckpunkte für eine abschließende Vereinbarung in dem Streit. Ein umfassendes Abkommen in dem Konflikt ist bis Anfang Juli angepeilt.
Um bald einen Durchbruch zu erreichen, waren seit Montag die Außenminister aller beteiligten Staaten - der Iran, die USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich und Deutschland - in Wien. US-Chefdiplomat John Kerry hatte aber bereits am Sonntag die Hoffnungen auf eine Einigung bis Dienstag gedämpft. Sollten harte Entscheidungen getroffen werden, könnten die Minister eine Einigung noch diese Woche erreichen, hatte er erklärt. „Aber wenn sie nicht getroffen werden, werden wir das nicht.“
Der Iran verhandelt seit Monaten mit der Weltgemeinschaft über einen Vertrag, der den Bau einer iranischen Atombombe auf lange Sicht ausschließen soll. Im Gegenzug sollen auf Wunsch Teherans Sanktionen aufgehoben werden, die die iranische Wirtschaft lähmen.