Irland-Wahl Ein Musterschüler muss Nachsitzen

Irland steht nach dem Urnengang vor einer schwierigen Regierungsbildung. Dem angeschlagenen Premier Kenny bleibt eine andere Wahl, als einen historischen Schritt für das Ex-Krisenland ins Auge zu fassen. Eine Analyse.

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... in Irland könnte historische Schritte nötig machen: eine bislang auf der Insel nie dagewesene Große Koalition. Quelle: AFP

Dublin, London Es gibt Verlierer, die sehen wie Sieger aus. Und es gibt Gewinner, die kommen wie Verlierer daher. Der irische Regierungschef Enda Kenny weiß nach den Wahlen auf der grünen Insel wahrscheinlich selbst ganz genau, dass er sich zur zweiten Gruppe zählen muss.

Der Spitzenpolitiker, der zum politischen Inventar Dublins zählt, wurde zwar mit seiner Partei Fine Gael mit knappen Vorsprung abermals stärkste Kraft bei den irischen Parlamentswahlen. Doch seine Koalition mit der Labour-Partei, die bei den vorangegangenen Wahlen noch satte 55 Prozent der Stimmen auf sich vereinigte, verlor dramatisch und bringt es fünf Jahre später nun nicht mehr auf eine eigene Mehrheit.

Der Nasenstüber für Kenny und seine Partei ist auch eine nachträgliche Absage an den harten wirtschaftlichen Sparkurs des Regierungschefs, der den Iren sage und schreibe sieben Sparprogramme verordnet hatte, um die grüne Insel aus den Schlamassel zu führen, in das es die Finanzkrise gestürzt hatte.

Doch so hart die Kur auch war, die Kenny verschrieb, so unübersehbar ist deren wirtschaftlicher Erfolg. Die einst als keltischer Tiger bezeichnete Volkswirtschaft im Atlantik hat sich nach Jahren der Krise zu der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaft Europas gemausert. Doch noch immer steht die wirtschaftliche Erholung auf vergleichsweise dünnen Beinchen.

Das Machtvakuum, das die Wahl auf der grünen Insel nun vorerst hinterlässt, schafft damit eine gefährliche Unsicherheit. Denn nicht Kenny ist der eigentliche Gewinner dieser Wahl. Sondern wie zuvor in Spanien und Griechenland sind vor allem Protestparteien die neuen Gewinner – und unter diesen vor allem eine Gruppierung: Sinn Fein.

Die Partei galt lange als die politische Vertretung der IRA, die drei Jahrzehnte lang gewaltsam für den Anschluss Nordirlands an die mehrheitlich katholische Republik Irland kämpfte, bevor sie 2005 offiziell der Gewalt abschwor. Inzwischen hat sich Sinn Fein zu einer Linkspartei nach dem Vorbild der griechischen Syriza gewandelt – und nun den Druck auf die neue Regierung deutlich erhöhen wird.

Die künftige Regierung wird darum einen schwierigen Spagat schaffen müssen. Auf der einen Seite muss sie schnell dafür zu sorgen, dass die Wirtschaftserholung nun bei allen Bürgern ankommt. Vor allem die steigenden Wohnungskosten werden immer mehr zur Belastung. So sind die Hauspreise in Dublin nach der Immobilienkrise in den vergangenen drei Jahren bereits wieder um fast die Hälfte in die Höhe geschossen.


Die Gräben werden immer wieder aufgerissen – bei jeder Wahl

Auf der anderen Seite muss die neue Koalition die Staatsfinanzen im Griff behalten. Zwar ist das Haushaltsdefizit 2015 auf moderate 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung gesunken. Aber noch immer ist der Schuldenstand mit 97 Prozent der Wirtschaftsleistung gefährlich hoch. Das Letzte, was das Land deshalb nun braucht, ist politische Instabilität – oder eine Minderheitsregierung, die sich wechselnde Mehrheiten suchen muss.

Wie ernst die Gefahr ist, beweist ein Blick nach Spanien und Portugal. In Spanien verlor Ministerpräsident Mariano Rajoy bei den Wahlen im Dezember 2015 seine Mehrheit im Parlament – und seitdem ringt das Land um eine neue Regierung. Auch in Portugal brauchte es Wochen bis der sozialistische Parteichef Antonio Costa die Macht übernahm mit dem Versprechen, bei der Sparpolitik auf die Bremse zu treten.

Kenny, der für sich das Recht zur Regierungsbildung reklamiert, muss deshalb nun rasch über seinen Schatten springen – und sich nach einer soliden politischen Mehrheit umsehen. Dafür muss er einen historisch einmaligen Schritt erwägen: eine Große Koalition mit dem historisch verfeindeten, großen Rivalen Fianna Fail.

Fianna Fail sowie Fine Gail schlossen vor den Wahlen ein Bündnis aus. Beide Seiten sind sich seit dem Bürgerkrieg 1916 in tiefer Abneigung zugetan. Denn der geschichtliche Ballast, die schmerzlichen Erinnerungen an den Bürgerkrieg, in dem sich in den 20er-Jahren die Vorväter beider Parteien vor der Gründung des Irish Free State gegenüberstanden, steht bis heute zwischen ihnen. Die Kluft ist zwar mittlerweile fast 100 Jahre her, doch die Gräben sind niemals zugeschüttet worden – und bei jeder Wahl erneut aufgerissen worden.

So haben die beiden Parteien noch nie in der fast 100-jährigen Geschichte der Republik Irland eine gemeinsame Regierung gebildet. Stets war es einer der beiden Partei möglich, mit Hilfe kleinerer Partner eine Regierung zu formen.

Doch ein Blick nach Deutschland beweist, dass eine Große Koalition nicht immer die schlechteste Lösung sein muss, um Stabilität zu gewährleisten – die vor allem die Wirtschaft auf der Insel dringend ersehnt. Große US-Konzerne wie Microsoft, Apple, Google oder Pfizer haben Milliarden investiert und Zehntausende Arbeitsplätze geschaffen – und fordern nun verlässliche Rahmenbedingungen ein.

Es wäre nicht die erste Regierungsbildung, die der 64-jährige Kenny einfädeln wurde – aber vielleicht die wichtigste für die wirtschaftliche Perspektive von Irland.

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