Gegen den Widerstand sunnitischer Parteien hat Iraks Parlament ein Gesetz beschlossen, das die umstrittenen schiitischen Milizen aufwertet und sie als offizielle Sicherheitskräfte anerkennt. Sunnitische Politiker sehen darin einen Rückschlag für die Aussöhnung zwischen Schiiten und Sunniten. Diese gilt als Voraussetzung, um die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) dauerhaft zerschlagen zu können. Derweil beschoss der IS im Norden seiner Hochburg Mossul Wohngebiete.
Der schiitische Ministerpräsident Haidar al-Abadi betonte am Samstag, das neue Gesetz sei wichtig. Die Milizen würden alle Teile des irakischen Volkes repräsentieren und alle Iraker verteidigen. 208 von 328 anwesenden Abgeordneten stimmten dem Gesetz zu. Der größte sunnitische Block im Parlament boykottierte die Sitzung jedoch.
Die Schiitenmilizen stehen unter dem Kommando des Regierungschefs, führen aber ein Eigenleben. Viele sind eng mit dem schiitischen Iran verbunden. Die Milizen haben in ihren Reihen nach eigenen Angaben rund 140.000 Mann. Der Einfluss der bewaffneten Gruppen ist massiv gestiegen, seit der IS 2014 große Teile des Landes überrannte und die Soldaten der irakischen Armee vielerorts ohne Widerstand flohen.
Die Akteure im Syrien-Konflikt
Anhänger von Präsident Baschar al-Assad kontrollieren weiter die meisten großen Städte wie Damaskus, Homs, Teile Aleppos sowie den Küstenstreifen. Syriens Armee hat im langen Krieg sehr gelitten, konnte aber infolge der russischen Luftunterstützung seit September 2015 wieder Landgewinne verzeichnen. Machthaber Assad lehnt einen Rücktritt ab.
Die Terrormiliz beherrscht im Norden und Osten riesige Gebiete, die allerdings meist nur spärlich besiedelt sind. Durch alliierte Luftschläge und kurdische Milizen mussten die Islamisten im Norden Syriens mehrere Niederlagen einstecken. Unter der Herrschaft der Miliz, die auch im Irak große Gebiete kontrolliert, verbleibt die inoffizielle Hauptstadt Raqqa, die bedeutende Versorgungsstrecke entlang des Euphrat und ein kleiner Grenzübergang zur Türkei. Offiziell lehnen alle lokalen und internationalen Akteure den IS ab.
Sie sind vor allem im Nordwesten und Süden Syriens stark. Ihr Spektrum reicht von moderaten Gruppen, die vom Westen unterstützt werden, bis zu radikalen Islamisten.
Die zu Beginn des Kriegs bedeutende Freie Syrische Armee (FSA) hat stark an Einfluss verloren. Sie kämpft vor allem gegen Diktator Assad.
In der „Islamischen Front“ haben sich islamistische Rebellengruppen zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist der Sturz Assads und die Errichtung eines „Islamischen Staates“ – die gleichnamige Terrormiliz lehnen sie jedoch ab. Sie werden von Saudi-Arabien unterstützt und sind ideologisch mit al-Qaida zu vergleichen. Militärisch untersteht ihr auch die „Dschaisch al-Fatah“, die von der Türkei unterstützt wird. Teilweise kooperieren sie mit der al-Nusra-Front, Ableger des Terrornetzwerks al-Qaida.
Sie ist zersplittert. Das wichtigste Oppositionsbündnis ist die Syrische Nationalkoalition in Istanbul. Diese wird von zahlreichen Staaten als legitim anerkannt, von vielen lokalen Akteuren wie al-Nusra oder der kurdischen PYD jedoch abgelehnt.
In Damaskus sitzen zudem Oppositionsparteien, die vom Regime geduldet werden. Bei einer Konferenz in Riad einigten sich verschiedenen Gruppen auf die Bildung eines Hohen Komitees für Verhandlungen, dem aber einige prominente Vertreter der Opposition nicht angehören.
Kurdische Streitkräfte kontrollieren mittlerweile den größten Teil der Grenze zur Türkei: Sie sind ein wichtiger Partner des Westens im Kampf gegen den IS.
Dabei kämpfen sie teilweise mit Rebellen zusammen, kooperieren aber auch mit dem Regime. Führende Kraft sind die „Volksverteidigungseinheiten“ YPG der Kurden-Partei PYD, inoffizieller Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK. Diese streben einen eigenen kurdischen Staat an – die Türkei lehnt das vehement ab.
Washington führt den Kampf gegen den IS an der Spitze einer internationalen Koalition. Kampfjets fliegen täglich Angriffe. Beteiligt sind unter anderem Frankreich und Großbritannien. Deutschland stellt sechs Tornados für Aufklärungsflüge über Syrien, ein Flugzeug zur Luftbetankung sowie die Fregatte „Augsburg“, die im Persischen Golf einen Flugzeugträger schützt. Washington unterstützt moderate Regimegegner.
Die Türkei setzt sich für den Sturz Assads ein und unterstützt seit langem Rebellengruppen wie die islamistische Dschaisch al-Fatah. Neben der Sicherung ihrer 900 Kilometer langen Grenze ist die Türkei seit August 2016 auch mit Bodentruppen in Syrien vertreten. Ziel ist neben der Vergeltung für Terroranschläge des IS auch, ein geeintes Kurdengebiet im Norden Syriens zu verhindern.
Der Abschuss eines russischen Flugzeugs über türkischem Luftraum im November 2015 führte zu Spannungen zwischen Russland und der Türkei.
Seit September 2015 fliegt auch Russlands Luftwaffe Angriffe in Syrien. Moskau ist einer der wichtigsten Unterstützer des syrischen Regimes: Rebellenorganisationen werden pauschal als „Terroristen“ bezeichnet und aus der Luft bekämpft. Der Kampf gegen islamistische Rebellen soll auch ein Zeichen an Separatisten im eigenen Land senden.
Geostrategisch möchte Russland seinen Zugriff auf den Mittelmeerhafen Tartus nicht verlieren.
Teheran ist der treueste Unterstützer des Assad-Regimes, auch aus konfessionellen Gründen. Iraner kämpfen an der Seite der syrischen Soldaten. Die von Teheran finanzierte Schiitenmiliz Hisbollah ist ebenfalls in Syrien im Einsatz. Sie fürchten die Unterdrückung der schiitischen Minderheit im Falle eines Sieges sunnitischer Rebellen, aber auch den Verlust von regionalem Einfluss.
Riad ist ein wichtiger Unterstützer vornehmlich islamistischer Rebellen. Sie fordern, dass Assad abtritt. Saudi-Arabien geht es auch darum, den iranischen Einfluss zurückzudrängen. Der Iran ist der saudische Erzrivale im Nahen Osten.
Trotz religiöser Ähnlichkeiten zwischen IS und dem saudischen Wahabismus engagiert sich Saudi-Arabien im Kampf gegen den IS.
Bei der Rückeroberung vieler Gebiete aus der Gewalt der Extremisten waren die Milizen maßgeblich beteiligt. Sie gehören auch zu den Kräften, die bei einer Offensive auf die nordirakische IS-Hochburg Mossul vorrücken. Die Sunniten lehnen diese Beteiligung ab, weil sie befürchten, dass die Milizen ihren Einfluss weiter ausdehnen. Nach der Eroberung der westirakischen IS-Hochburg Falludscha wurden den Milizen Racheakte und Übergriffe auf Sunniten vorgeworfen.
Die IS-Dschihadisten beschossen am Sonntag im Norden Mossuls Wohngebiete, wie ein Oberst der irakischen Armee berichtete. Die Extremisten hätten dabei unter anderem Raketen benutzt und Dutzende Menschen getötet oder verletzt. Das Gebiet war erst vor wenigen Tagen von irakischen Antiterror-Einheiten erobert worden.
Schiiten und Sunniten
Mit dem Tod des Propheten Mohammed im siebten Jahrhundert spaltete sich die muslimische Gemeinschaft. Grund war die Frage der Nachfolge des Propheten. Eine Minderheit verlangte, dass der Nachfolger aus der Familie Mohammeds stammen müsste und wählte seinen Vetter Ali aus. Sie wurden „Schiat Ali“ genannt – Partei Alis. Daraus entwickelte sich später der Begriff Schiiten. Sunniten leitet sich von der Sunna ab – den Überlieferungen des Propheten.
Die Schiiten fühlen sich als Opfer der Sunniten. In den meisten Ländern stellen sie eine Minderheit dar. Es gibt aber Ausnahmen wie den Irak und den Iran. Im Irak waren die Schiiten, obwohl sie zweidrittel der Bevölkerung darstellten, bis zur Besetzung durch die USA eine unterdrückte Minderheit. Während des Regimes von Saddam Hussein waren sie weder in den Geheimdiensten noch im Militär, den Elite-Truppen oder der politischen Elite in großer Zahl vertreten. Die Sunniten, die nur 20 Prozent der Bevölkerung ausmachten, hatten die Macht inne. Der Iran sieht sich als Interessenvertreter der Schiiten.
Die Sunniten lehnen die Heiligenverehrung und den Märtyrerkult der Schiiten ab. Das Königreich Saudi-Arabien sieht sich als Schutzmacht der Sunniten. Zu den Sunniten zählen auch die Salafisten, die eine Rückkehr zu einem fundamentalistischen Ur-Islam anstreben und einen Gottesstaat errichten wollen. Auch die Kämpfer des Islamischen Staats und die Mitglieder der Muslimbruderschaft sind Sunniten.
Weltweit sind 90 Prozent der Muslime Sunniten – was aber nicht heißt, dass sie allesamt Salafisten oder Vertreter anderer radikaler Auslegungen des Islams sind. Die radikalen Gruppen gehören zu einer Minderheit, die das Bild des Islams prägt.
Das neue Gesetz erkennt die bewaffneten Gruppen als „Ersatz- und Unterstützungskraft“ für Armee und Polizei an. Es gibt ihnen das Recht, Gewalt anzuwenden, um „Sicherheits- und Terrorbedrohungen“ abzuwehren. Die Sunniten kritisieren, dass mit dem Gesetz parallele Sicherheitsstrukturen zu Lasten von Armee und Polizei entstehen.
Der führende sunnitische Politiker und irakische Vize-Präsident Usama al-Nudschaifi sagte, keine Seite dürfe ihren politischen Willen anderen aufzwingen. Das Gesetz störe das Gleichgewicht der irakischen Sicherheitskräfte, erklärte Al-Nudschaifi. Viele Sunniten im Irak fühlen sich seit langem von der Mehrheit der Schiiten diskriminiert. Das gilt als eine der Hauptursachen für die Unterstützung, die der IS unter Sunniten im Irak findet.