IS-Hochburg im Nordirak Militär-Allianz wappnet sich für Kampf um Mossul

Irakische und US-Soldaten, kurdische, schiitische und sunnitische Kämpfer: Eine internationale Koalition will den IS aus Mossul vertreiben. Noch eint sie das gemeinsame Ziel – aber ihre Interessen gehen weit auseinander.

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Die Stadt im Nordirak ist von großer Bedeutung für die Terrormiliz Islamischer Staat. Quelle: dpa

Bagdad Es ist eine ungewöhnliche Allianz, die sich auf die vielleicht entscheidende Schlacht um Mossul vorbereitet: Irakische Soldaten stehen an der Seite von schiitischen Milizionären, kurdischen Kämpfern, sunnitischen Stammesangehörigen und US-Spezialkräften.

Der Zusammenschluss unterstreicht die Bedeutung dieser Operation, die gegen Ende des Jahres erwartet wird. Eine Rückeroberung der zweitgrößten Stadt des Iraks würde wohl der Terrormiliz Islamischer Staat das Genick brechen und das von ihr ausgerufene Kalifat beenden. Der Konflikt wäre damit aber noch nicht beendet.

Der Kampf um Mossul droht langwierig und hart zu werden. Falls sich die IS-Kämpfer in der Stadt verschanzen, könnten sie hunderttausende Einwohner als menschliche Schutzschilde missbrauchen. Flüchtlinge aus der Stadt träfen auf bereits überfüllte Lager, in denen schon jetzt mehr als 1,6 Millionen Menschen Schutz gesucht haben. Menschenrechtsorganisationen bereiten sich auf rund eine Million weitere Binnenflüchtlinge vor, die bei einem Vorstoß auf Mossul aus der Stadt fliehen könnten.

Die Stadt im Nordirak ist von großer Bedeutung für die Terrormiliz. Sie nutzte nach ihrer Eroberung die Barreserven der Banken dort ebenso für sich wie die Infrastruktur und andere Ressourcen. In Mossul trat der IS-Führer Abu Bakr al-Bagdadi erstmals nach der Ausrufung des Kalifats öffentlich auf. Und weite Teile seiner Führungsmannschaft schienen in den vergangenen zwei Jahren von Mossul aus zu operieren.

Sollte die Allianz erfolgreich sein, wären für den IS praktisch alle Bodengewinne vom Sommer 2014 wieder verloren. Damals nahmen die Extremisten innerhalb kurzer Zeit weite Teile des Nordens, Westens und der Mitte des Iraks ein. Seitdem wurden sie in vielen Gebieten wieder zurückgedrängt.

In den vergangenen Wochen gewannen die Soldaten in der Provinz Ninive, in der Mossul liegt, Stück für Stück weiteres Territorium zurück. Trotzdem stehen die irakischen Truppen immer noch knapp 50 Kilometer südlich von Mossul. Kurdische Kämpfer sind im Norden immerhin schon bis auf 16 Kilometer herangerückt.

Die US-geführte Koalition hat die Ausbildung irakischer Soldaten und kurdischer Kämpfer beschleunigt. Die Kurse, die sonst zwei Monate dauern, werden jetzt innerhalb von vier Wochen abgeschlossen. Im Juli kündigte das Pentagon an, das Personal im Irak um 560 Personen aufzustocken.

Sie sollen dabei helfen, den Luftwaffenstützpunkt Kajara südlich von Mossul für die Schlacht vorzubereiten. Trotzdem fehlen dem irakischen Militär immer noch tausende Soldaten. 30 000 werden nach Schätzungen benötigt, um das Gefecht um Mossul zu eröffnen.


Versöhnung der Volksgruppen

Die größte Herausforderung für den Irak bestehe darin, die nötigen Soldaten für die Operation Mossul zusammenzubekommen, erklärt Generalmajor Gary Volesky, Befehlshaber der US-Bodentruppen im Irak. „Wenn man jemanden aus Anbar abziehen will, um ihn nach Mossul zu schicken, dann muss dort jemand nachrücken“, sagt er.

Gleichzeitig zeigen sich schon jetzt Rivalitäten innerhalb der Allianz, die sich wahrscheinlich noch verstärken werden, wenn der IS fällt. Die Kurden, die im Kampf gegen die Extremisten Bodengewinne erzielten, wollen diese für sich behalten.

Die vom Iran unterstützten schiitischen Milizen fordern Anerkennung für ihre politische und militärische Stärke, die sie während des Kriegs erzielen konnten. Derweil sorgt sich die sunnitische Minderheit über die schiitische Dominanz und Diskriminierungen. All diese Interessen und Befürchtungen wird die irakische Zentralregierung in Bagdad ausbalancieren müssen.

Dabei steht noch infrage, ob die schiitischen Milizen und die kurdischen Kräfte sich dem Kampf um das sunnitisch dominierte Mossul überhaupt anschließen werden. Schließlich werden den schiitischen Milizen Misshandlungen und Übergriffe gegen Sunniten vorgeworfen – in den Regionen, die sie bereits vom IS zurückerobern konnten. Sollten Kurden Teile der Stadt einnehmen, würde ihnen das in künftigen Verhandlungen einen Vorteil verschaffen.

Der irakische Ministerpräsident Haidar al-Abadi sagte, alle Kräfte würden sich an der Operation Mossul beteiligen. Damit gibt er kurdischen und schiitischen Forderungen nach. Auf einer Pressekonferenz in der vergangenen Woche erklärte er aber auch, die irakischen Streitkräfte müssten die „ethnische Balance“ in der Provinz Ninive respektieren, in der die meisten Menschen Sunniten sind. Fragen nach der Rolle der schiitischen Milizen wich er aus.

Sunniten machen den größten Anteil der 3,3 Millionen Iraker aus, die wegen des Konflikts vertrieben wurden. Der Umgang mit der Zivilbevölkerung in Mossul wird international wohl auch als Test betrachtet, ob die Regierung es ernst meinst mit der Versöhnung der Volksgruppen. Schließlich waren es die Marginalisierung der Sunniten und die einseitige Politik unter Al-Abadis Vorgänger Nuri al-Maliki, die den Aufstieg der Terrormiliz Islamischer Staat im Irak befeuerten.

Für den Regierungschef wäre die Rückeroberung Mossuls ein wichtiger Schritt. In den vergangenen zwei Jahren wuchs die Unzufriedenheit mit seiner Regierung angesichts von IS-Anschlägen und Korruption immer weiter. Er selbst glaubt, dass der Irak heute geeinter sei als bei seinem Amtsantritt. Neue Herausforderungen würden sich ergeben, wenn Mossul befreit sei, erklärt er: „Manche Leute sagen mir, wegen dieser Herausforderungen sollten wir die Befreiung Mossuls hinauszögern. Ich sage: Nein.“

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