
Saudi-Arabien ist „bereit“, Bodentruppen zum Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) nach Syrien zu entsenden, wenn die anderen Staaten der Anti-IS-Koalition einverstanden sind und mitmachen. Diese Einschränkung ist wichtig. Denn im Interesse der Syrer und der gesamten Region, ja, man kann ganz ohne Pathos sagen: im Interesse des Weltfriedens wäre ein solcher Schritt nicht. Daher sollte der Westen Riad eindeutig signalisieren, dass saudische Soldaten auf syrischem Boden nicht erwünscht sind.
Das Regime des wahhabitischen Herrscherhaus Saud ist ein unumgänglicher Verhandlungspartner, aber kein verlässlicher Verbündeter des Westens. Nicht zu vergessen: Der Wahhabismus, jene auf der ultrafundamentalistischen Koranauslegung des Muhammad ibn Abd al-Wahhab (1702/03 – 1792) beruhende Traditionslinie des Sunnitentums, ist auch die ideologische Grundlage des menschenverachtenden „Islamischen Staates“, gegen den die Saudis nun zu Felde ziehen wollen. Der Wahhabismus ist so ziemlich das genaue Gegenteil einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung, die ökonomische Entwicklung jenseits der staatlich dirigierten Ausbeutung von Ölquellen ermöglicht.
Die Akteure im Syrien-Konflikt
Anhänger von Präsident Baschar al-Assad kontrollieren weiter die meisten großen Städte wie Damaskus, Homs, Teile Aleppos sowie den Küstenstreifen. Syriens Armee hat im langen Krieg sehr gelitten, konnte aber infolge der russischen Luftunterstützung seit September 2015 wieder Landgewinne verzeichnen. Machthaber Assad lehnt einen Rücktritt ab.
Die Terrormiliz beherrscht im Norden und Osten riesige Gebiete, die allerdings meist nur spärlich besiedelt sind. Durch alliierte Luftschläge und kurdische Milizen mussten die Islamisten im Norden Syriens mehrere Niederlagen einstecken. Unter der Herrschaft der Miliz, die auch im Irak große Gebiete kontrolliert, verbleibt die inoffizielle Hauptstadt Raqqa, die bedeutende Versorgungsstrecke entlang des Euphrat und ein kleiner Grenzübergang zur Türkei. Offiziell lehnen alle lokalen und internationalen Akteure den IS ab.
Sie sind vor allem im Nordwesten und Süden Syriens stark. Ihr Spektrum reicht von moderaten Gruppen, die vom Westen unterstützt werden, bis zu radikalen Islamisten.
Die zu Beginn des Kriegs bedeutende Freie Syrische Armee (FSA) hat stark an Einfluss verloren. Sie kämpft vor allem gegen Diktator Assad.
In der „Islamischen Front“ haben sich islamistische Rebellengruppen zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist der Sturz Assads und die Errichtung eines „Islamischen Staates“ – die gleichnamige Terrormiliz lehnen sie jedoch ab. Sie werden von Saudi-Arabien unterstützt und sind ideologisch mit al-Qaida zu vergleichen. Militärisch untersteht ihr auch die „Dschaisch al-Fatah“, die von der Türkei unterstützt wird. Teilweise kooperieren sie mit der al-Nusra-Front, Ableger des Terrornetzwerks al-Qaida.
Sie ist zersplittert. Das wichtigste Oppositionsbündnis ist die Syrische Nationalkoalition in Istanbul. Diese wird von zahlreichen Staaten als legitim anerkannt, von vielen lokalen Akteuren wie al-Nusra oder der kurdischen PYD jedoch abgelehnt.
In Damaskus sitzen zudem Oppositionsparteien, die vom Regime geduldet werden. Bei einer Konferenz in Riad einigten sich verschiedenen Gruppen auf die Bildung eines Hohen Komitees für Verhandlungen, dem aber einige prominente Vertreter der Opposition nicht angehören.
Kurdische Streitkräfte kontrollieren mittlerweile den größten Teil der Grenze zur Türkei: Sie sind ein wichtiger Partner des Westens im Kampf gegen den IS.
Dabei kämpfen sie teilweise mit Rebellen zusammen, kooperieren aber auch mit dem Regime. Führende Kraft sind die „Volksverteidigungseinheiten“ YPG der Kurden-Partei PYD, inoffizieller Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK. Diese streben einen eigenen kurdischen Staat an – die Türkei lehnt das vehement ab.
Washington führt den Kampf gegen den IS an der Spitze einer internationalen Koalition. Kampfjets fliegen täglich Angriffe. Beteiligt sind unter anderem Frankreich und Großbritannien. Deutschland stellt sechs Tornados für Aufklärungsflüge über Syrien, ein Flugzeug zur Luftbetankung sowie die Fregatte „Augsburg“, die im Persischen Golf einen Flugzeugträger schützt. Washington unterstützt moderate Regimegegner.
Die Türkei setzt sich für den Sturz Assads ein und unterstützt seit langem Rebellengruppen wie die islamistische Dschaisch al-Fatah. Neben der Sicherung ihrer 900 Kilometer langen Grenze ist die Türkei seit August 2016 auch mit Bodentruppen in Syrien vertreten. Ziel ist neben der Vergeltung für Terroranschläge des IS auch, ein geeintes Kurdengebiet im Norden Syriens zu verhindern.
Der Abschuss eines russischen Flugzeugs über türkischem Luftraum im November 2015 führte zu Spannungen zwischen Russland und der Türkei.
Seit September 2015 fliegt auch Russlands Luftwaffe Angriffe in Syrien. Moskau ist einer der wichtigsten Unterstützer des syrischen Regimes: Rebellenorganisationen werden pauschal als „Terroristen“ bezeichnet und aus der Luft bekämpft. Der Kampf gegen islamistische Rebellen soll auch ein Zeichen an Separatisten im eigenen Land senden.
Geostrategisch möchte Russland seinen Zugriff auf den Mittelmeerhafen Tartus nicht verlieren.
Teheran ist der treueste Unterstützer des Assad-Regimes, auch aus konfessionellen Gründen. Iraner kämpfen an der Seite der syrischen Soldaten. Die von Teheran finanzierte Schiitenmiliz Hisbollah ist ebenfalls in Syrien im Einsatz. Sie fürchten die Unterdrückung der schiitischen Minderheit im Falle eines Sieges sunnitischer Rebellen, aber auch den Verlust von regionalem Einfluss.
Riad ist ein wichtiger Unterstützer vornehmlich islamistischer Rebellen. Sie fordern, dass Assad abtritt. Saudi-Arabien geht es auch darum, den iranischen Einfluss zurückzudrängen. Der Iran ist der saudische Erzrivale im Nahen Osten.
Trotz religiöser Ähnlichkeiten zwischen IS und dem saudischen Wahabismus engagiert sich Saudi-Arabien im Kampf gegen den IS.
Der Kampf Saudi-Arabiens gegen den Islamischen Staat ist also nicht durch eine grundsätzliche Ablehnung von dessen menschenverachtender Ideologie und brutaler Herrschaftspraxis motiviert. In erster Linie geht es dem saudischen Regime um die Ausschaltung innersunnitischer Konkurrenz, die die Legitimität des Anspruchs auf religiöse und politische Führung der gesamten Sunna in Frage stellt. Diese Legitimität und damit die innere Stabilität Saudi-Arabiens ist zusätzlich gefährdet durch den Verfall des Ölpreises und die absehbaren Schwierigkeiten des Regimes, seiner wachsenden jungen Bevölkerung auch in Zukunft ein Leben in Wohlstand – aber ohne Freiheit und Mitbestimmung – zu garantieren.
Die Anwesenheit saudischer Truppen auf syrischem Boden würde das Kriegschaos in dem leidgeprüften Land vermutlich noch vergrößern. Die Saudis träfen dort nämlich nicht nur auf IS-Kämpfer, sondern auch auf ihren schiitischen Erzfeind Iran, der bekanntlich dem Regime Assads mit Geld, Waffen und eigenen Soldaten zur Seite steht. Möglicherweise ist das sogar das eigentliche Ziel des Vorstoßes. Wenn saudische und iranische Soldaten direkt aufeinander schießen, könnte dies den latenten Konflikt zwischen der schiitischen und der sunnitischen Führungsmacht aufheizen. Die Gefahr einer weiteren Eskalation würde real. Aus dem syrischen Stellvertreterkrieg könnte im schlimmsten Fall eine direkte militärische Konfrontation zwischen Riad und Teheran werden.
Im westlichen und deutschen Interesse kann natürlich nur eine Deeskalation sein. Der Westen sollte Saudi-Arabien und Iran, soweit es in seiner Macht steht, von direkten Waffengängen abhalten. Das bedeutet gerade nicht, dass die Drähte nach Riad abgebrochen werden sollten, wie einige Bundestagsabgeordnete fordern. Im Gegenteil. Ein pragmatischer Umgang mit dem Regime ist gefragt. Nur so kann vielleicht eine allmähliche Befriedung des Syrienkrieges gelingen. Das wird, wie die stockenden Verhandlungen in Genf zeigen, schwierig genug.
Strategisches Ziel deutscher, europäischer und westlicher Außenpolitik sollte eine Stärkung derjenigen gesellschaftlichen Kräfte in Saudi-Arabien und allen anderen islamisch geprägten Ländern sein, die eine halbwegs freiheitliche und damit auch ökonomische Entwicklung jenseits des Ölexports ermöglichen. Es sind dies in der Regel auch jene Kräfte, die am wirtschaftlichen Austausch mit dem Westen Interesse haben. Das Plädoyer von Außenminister Frank-Walter Steinmeier für eine "selbstbewusste Zivilgesellschaft" in Riad wird umso mehr Gehör finden, je intensiver die Handelsbeziehungen zu Deutschland und zum Westen sind. Ökonomisch instabile Staaten sind gerade in dieser Weltregion brandgefährlich. Wandel durch Handel dagegen ist eine Möglichkeit, etwas im westlichen Sinne zu bewegen.