IS-Terror Die außergewöhnliche Flucht einer Frau

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Das alte Leben vergessen und zum Islam übertreten

Im August, mehr als zwei Monate nach ihrer Entführung, wurde Fisehaje mit 35 weiteren Frauen nach Haraua gebracht, eine Kleinstadt etwa 75 Kilometer von Sirte entfernt. Zunächst habe sich das Leben dort recht normal angefühlt, berichten Fisehaje und sieben andere Frauen. Keine Luftangriffe, keine Prügel, keine Drohungen mit sexueller Gewalt. Einer der Dschihadisten, ein früherer tunesischer Mechaniker, half den Frauen, sich in der Gefangenschaft zurechtzufinden. Hafiso kaufte ihnen Gemüse und übermittelte ihre Forderungen an seine Kommandeure in Sirte. Er tröstete die Frauen, wenn sie weinten. Und er riet ihnen, ihr früheres Leben zu vergessen und zum Islam überzutreten.

Dann würden sie vielleicht freigelassen, um einen der Kämpfer zu heiraten, versprach er. Vielleicht dürften sie sogar ihre Familien zuhause anrufen. Die Frauen baten ihn um Religionsunterricht, und Hafiso brachte ihnen einen Koran in ihrer Muttersprache Tigrinja. Außerdem gab er ihnen einen kleinen Laptop mit heruntergeladenen religiösen Texten und Lektionen über die Leben gefallener Dschihadisten.

Fisehaje war die erste, die nachgab. Im September nach drei Monaten Gefangenschaft konvertierte sie zum Islam und nahm den Namen Rima an. In den folgenden Wochen traten auch die übrigen Frauen über. "Ich sah keinen anderen Ausweg", sagt Fisehaje, "Der Islam war ein weiterer Schritt in meine Freiheit. Sie sagten, wir würden einige Rechte haben als Muslime." Hafiso brachte den Frauen schwarze Abajas und Nikabs, damit sie sich verschleierten. Er hielt nun Distanz zu ihnen und vermied den Augenkontakt. Wie versprochen durften die Frauen ihre Familien anrufen. 

Im Dezember war es mit dem relativen Frieden vorbei. Die Gefangenen hörten immer wieder Schüsse, die Lebensmittel wurden knapp. Der Emir des IS in Libyen sei durch einen US-Luftangriff getötet worden, berichtete Hafiso einer der Frauen. Mit ihm seien die Hoffnungen der Frauen gestorben. Sie seien nun Sklavinnen. Ihre jeweiligen Herren könnten sie als Sexsklavinnen behalten, sie verschenken, an andere Milizen verkaufen oder freilassen. "Macht euch keine Sorgen, was die Männer mit euch anstellen werden", sagte Hafiso nach Aussage einer der Frauen. "Beschäftigt euch nur damit, wie ihr zu Allah steht."

Später kam ein anderer IS-Kämpfer auf das Gelände und schrieb die Namen und das Alter der Frauen auf. Sie mussten ihre Schleier heben, damit er ihre Gesichter betrachten konnte. Eine Woche später kehrte er zurück und holte die beiden jüngsten Frauen im Alter von 15 und 18 Jahren ab. Im Januar brachte der IS Fisehaje und die übrigen Frauen in ein Lagerhaus in Sirte. Als frischgebackene Musliminnen forderten sie eine bessere Gesundheitsversorgung und die Freilassung. Stattdessen wurden sie verprügelt.

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