Israel Für Benjamin Netanjahu wird es sehr eng

Einer der engsten Vertrauten des israelischen Premiers will als Kronzeuge aussagen. Hinter den Kulissen beginnt die Suche nach einem Nachfolger.

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Der israelische Regierungschef denkt nicht daran, angesichts der aktuellen Korruptionsvorwürfe zurückzutreten. Quelle: dpa

Tel Aviv Israels Premier Benjamin Netanjahu muss um seine politische Zukunft bangen. Nachdem er während der letzten Monate in mehreren Korruptionsfällen von der Polizei wiederholt verhört worden ist, will jetzt einer seiner engsten Vertrauten als Kronzeuge gegen Netanjahu aussagen: Shlomo Filber, der von Netanjahu zum Generaldirektor des Kommunikationsministeriums ernannt worden war.

Filber hat Netanjahu in den letzten zwei Jahrzehnten begleitet und kennt die Hintergründe des Skandals, der seinen Freund und ehemaligen Chef ins Gefängnis bringen könnte.

Da Netanjahu derzeit in mindestens drei weiteren Korruptionsfällen genannt ist, wird hinter den Kulissen die Frage seiner Nachfolge diskutiert. Dem Land steht eine innenpolitisch unruhige Zeit bevor. Netanjahu hat keinen Stellvertreter – und es ist deshalb völlig offen, wer ins Büro des Premiers einziehen würde, sollte es zum Rücktritt kommen.

Juristen wollten bis vor kurzem zwar nicht ausschließen, dass Netanjahu seinen Kopf aus der Schlinge ziehen kann. Jetzt aber wird es sehr eng für ihn. Kronzeuge Filber hat offenbar Insiderwissen über einen illegalen Deal, den er im Auftrag Netanjahus abgewickelt haben will. Nachdem ihm die Justiz Straffreiheit zugesichert hat, kann man davon ausgehen, dass Filbers Aussagen Netanjahu, der von 2015 bis 2017 auch Kommunikationsminister war, stark belasten.

Die Justiz muss nachweisen, dass es in diesem Fall einen direkten Zusammenhang zwischen Netanjahu und Filber gibt, bevor sie dem Staatsanwalt eine Anklage gegen Netanjahu empfehlen kann. Filber soll, so der Verdacht, zwischen Netanjahu und einem der größten Medienunternehmer namens Shaul Elovitch vermittelt haben.

Zum Imperium von Elovitch gehören unter anderem eine Kabelfernsehfirma, zudem kontrolliert Elovitch das größte Telefonunternehmen Bezek und eine der populärsten Internet-News-Seiten.

Felber soll Elovitch einen Deal vorgeschlagen haben, bei dem Elovitch um die 100 Millionen Euro verdienen konnte. Im Gegenzug solle sich der Unternehmer verpflichtet haben, auf seiner Internetseite fortan nur noch positiv über die Netanjahus berichten zu lassen, vor allem über Netanjahus Frau Sara.

Netanjahu als „Zauberkünstler“

Als Gegenleistung wolle Netanjahu als amtierender Kommunikationsminister dafür sorgen, dass Elovtich den Kabelfernsehsender Yes kaufen könne. Um das zu ermöglichen, wollte sich Netanjahu über wettbewerbsrechtliche Bedenken der Beamten hinwegsetzen.

In dieser Affäre wurden bereits mehrere Verdächtige verhört. Demnächst könnte auch Sara Netanjahu vorgeladen werden.

Wenige Stunden, bevor Filber seine Kooperation mit den Ermittlern unterschrieben hatte, sorgte ein weiterer Fall für Schlagzeilen, der den Premier belastet.

Ein Vertrauter Netanjahus soll einer Richterin die Ernennung zur Generalstaatsanwältin angeboten haben. Im Gegenzug hätte sie dafür sorgen sollen, dass eine laufende Untersuchung gegen Frau Netanjahu geschlossen werde. Ihr wird vorgeworfen, mit öffentlichen Geldern private Auslagen im Haushalt finanziert zu haben.

In zwei anderen Fällen hat die israelische Polizei dem Generalstaatsanwalt Mitte Februar empfohlen, Netanjahu wegen Korruption und Annahme von Bestechungsgeldern anzuklagen. Im ersten Fall sind die Ermittler zum Schluss gekommen, dass Netanjahu von Milliardären teure Zigarren, rosa Champagner und andere Luxusgüter angenommen oder sogar verlangt habe, wofür er sich mit politischen Zugeständnissen oder Gefälligkeiten erkenntlich gezeigt habe. Netanjahu hat eine schon fast an Sucht grenzende Vorliebe für handgerollte kubanische Zigarren.

Im zweiten Fall sahen die Ermittler ihren Anfangsverdacht bestätigt, dass Netanjahu in die Medienpolitik eingreifen wollte. Er soll mit dem Herausgeber des ihm gegenüber kritisch eingestellten Massenblattes Yedioth Ahronot einen Deal besprochen haben, der eine regierungsfreundliche Berichterstattung versprach. Dafür wollte Netanjahu mit einem Gesetz dafür sorgen, dass die Auflage des Konkurrenzblatts von Yedioth Achronot sinken werde.

Netanjahu erhoffte sich vom Deal ein Ende der von ihm reklamierten „Hexenjagd linker Medien“, die ihn zu Fall bringen wolle. Die Verhandlungen verliefen allerdings im Sand. In einem dritten Fall – die Beschaffung von U-Booten bei Thyssen-Krupp – stehen bisher Netanjahus engste Mitarbeiter unter Verdacht, ohne dass ihm unrechtes Handeln vorgeworfen wird.

Solange Netanjahu nicht verurteilt ist, ist er laut israelischem Gesetz nicht zum Rücktritt gezwungen. Eine von der Regierungspartei angeregte repräsentative Umfrage dürfte seinen Willen stärken, den juristischen Orkan auszusitzen. Die Likud-Partei hat im Vergleich zu den letzten Wahlen trotz der Korruptionsvorwürfe an Popularität gewonnen.

Zudem hat Netanjahu seine Position innerhalb seiner Likud-Partei abgesichert. Politiker, von denen er befürchtete, dass sie ihn als Parteiführer ablösen wollten, hat er vertrieben – zum Beispiel den ehemaligen Armeechef – oder auf Auslandsposten versetzt.

Keiner hat bisher seit David Ben-Gurion, dem legendären Ausnahmepolitiker in den Gründerjahren, länger regiert als Netanjahu. Nicht zu Unrecht bezeichnen ihn deshalb viele als „Zauberkünstler“ – die einen mit Bewunderung, die anderen mit Verachtung.

Den 68-jährigen haben bei den letzten Wahlen zwar bloß 25 Prozent der Bürger gewählt. Aber „Bibi“ nutzt das komplexe Wahlsystem immer wieder gekonnt und versteht sich darauf, Koalitionen zu schmieden. Dabei setzt er vor allem auf Siedlerparteien und religiöse Gruppierungen, die er mit Zugeständnissen aller Art bei guter Laune hält.

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