Israel und der Terror Wo der Umgang mit Dschihadisten zum Alltag gehört

Taschen- und Verkehrskontrollen sowie massive Internetüberwachung: Israel hat aus der jahrzehntelangen Terrorgefahr seine Lehren gezogen. Sicherheitsexperten pilgern nach Tel Aviv, um von dem Land zu lernen.

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Die Sicherheitsvorkehrungen in Israel sind hoch. Ohne Taschenkontrollen gelangt man nicht in öffentliche Gebäude oder Busbahnhöfe. Quelle: AFP

Tel Aviv Mitte Juli, im Zentrum Jerusalems: Ein junger Mann steht mit einer Tasche an einer Straßenbahnhaltestelle. Sobald er den Verdacht eines Sicherheitsbeamten erregt hat, geht alles ganz schnell: „Öffne die Tasche“, Drähte kommen zum Vorschein, Polizei und Bombenentschärfer werden alarmiert, im Nu sind sie zur Stelle. Für die Uniformierten steht fest: Soeben haben sie einen Angriff mit mutmaßlich tödlichen Folgen abgewehrt.

Seit Jahrzehnten haben Israelis gelernt, mit dem Terror zu leben und sich vor ihm zu schützen. Hundertprozentig wasserdicht sind die Vorkehrungen gegen den Terror zwar nicht – aber in vielen Fällen konnten sie Schlimmeres verhindern.

Die Erfolge sind nicht unbemerkt geblieben. Kürzlich reiste der Anti-Terror-Koordinator der EU, Gilles de Kerchove, nach Israel, um sich vom israelischen Know-how inspirieren zu lassen. Sein Trip nach Tel Aviv galt einer Konferenz, auf der Anti-Terror-Techniken präsentiert wurden. Zuvor war bereits eine französische Parlamentarierdelegation nach Tel Aviv geflogen, um von Israels Erfahrungen im Kampf gegen Dschihadisten zu lernen.

Französische Bürgermeister, darunter von Cannes und Nizza, ließen sich zudem von israelischen Sicherheitsexperten beraten, wie sie in ihren Städten für mehr Sicherheit sorgen könnten. Israelische Sicherheitsfirmen sollen bei den Olympischen Sommerspielen dafür sorgen, dass Terroristen keine Chance haben. Die rund zehn Tausend brasilianischen Soldaten und Polizeioffizieren, die vor Ort sein werden, sind von israelischen Fachkräften trainiert worden.

Zwar lassen sich die Bedrohungsszenarien in Israel und in europäischen Ländern kaum miteinander vergleichen. Ein großer Teil der israelischen Anti-Terror-Maßnahmen richtet sich gegen palästinensische Gewalt in besetzten Gebieten. Im israelischen Kerngebiet aber, in Städten wie Jerusalem, Beer Sheva oder Tel Aviv, stehen die Sicherheitskräfte vor ähnlichen Problemen wie in Paris, Brüssel oder München.

„Es ist für mich klar, dass wir uns in Richtung des israelischen Modells bewegen sollten“, zitiert das Portal „Politico“ Francois Heisbourg, Sonderberater an Frankreichs Thinktank „Strategic Research Foundation“. Sein jüngstes Buch „Comment perdre la guerre contre le terrorisme“ („Wie man den Krieg gegen den Terrorismus verliert“) ist eine beißende Kritik an Frankreichs Kampf gegen Dschihadisten.

Bereits ein flüchtiger Blick auf Israels Sicherheitsmaßnahmen hätten womöglich das Massaker von Nizza verhindern können. Events von nationaler Bedeutung werden in Israel großräumig abgesichert. Wird im Zentrum Tel Avivs zum Beispiel der Unabhängigkeitstag gefeiert, sammelt die Polizei bereits Wochen zuvor Informationen über potentielle Möchtegern-Attentäter. Stunden, bevor das Feuerwerk beginnt, werden alle Zufahrtstrassen zum Festplatz gesperrt.

Der Kampf gegen den Terror ist in Israel eine Selbstverständlichkeit, die man gelassen hinnimmt. Bereits in der Schule wird Kindern die ständige Gefahr bewusst gemacht. Erwachsene sind stets auf der Hut: Fällt ihnen etwas Verdächtiges auf, alarmieren sie die Polizei. Öffentliche Gebäude, Einkaufszentren, Universitäten, Busbahnhöfe: Ohne Taschenkontrolle kann man sie nicht betreten. Auch der öffentliche Nahverkehr wird von bewaffneten Sicherheitsleuten überwacht. Zum Nulltarif ist der Schutz vor dem Terror jedoch nicht zu haben.


Das Land muss immer neue Strategien entwickeln

Dass Maßnahmen gegen den Terror lästig und unbequem sind, wird in Israel hingenommen. Die Bevölkerung toleriert Einschränkungen der Freiheit, wenn diese Terror verhindern können. Um ein Mehr an Sicherheit zu bekomme, müsse man auf einige Privilegien wie Datenschutz eben verzichten, schrieb im April sogar das liberale Blatt „Haaretz“.

Israelische Anti-Terror-Methoden werden vom Westen oft stark kritisiert – später aber übernommen. Als zum Beispiel Israel erstmals Drohnen einsetzte, um Terrorführer ins Visier zu nehmen, bezeichnete das der Westen empört als „außergerichtliche Tötung“. Inzwischen setzen US-Alliierte Drohnen gegen Dschihadisten ein, ohne mit der Wimper zu zucken.

Ein anderes Beispiel: Als palästinensische Terrorgruppen Flugzeuge entführten, beschloss Israel strenge Sicherheitsmaßnahmen für seine Flughäfen und Flugzeuge ein. Das unterwandere die Freiheiten der Bürger, hieß es damals moralisierend im Westen. Jetzt fliegen regelmäßig Sicherheitsexperten aus den USA und zunehmend auch aus Europa ein, um die Sicherheitsmaßnahmen am Ben-Gurion-Flughafen zu studieren. Der Airport gilt als einer der sichersten der Welt. „Heute bezweifelt wohl kaum jemand die Notwendigkeit strenger Sicherheitsmaßnahmen“, schrieb der ehemalige Uno-Botschafter Ron Prosor in einem Beitrag für das „Wall Street Journal“.

Weil Terrorstrategen immer wieder neue Angriffs-Varianten finden, muss das Land ständig neue Gegenstrategien entwickeln. Konzentrierten sich die Ermittler früher auf die Kommunikationswege zwischen Terroristen und deren Hauptquartier, richten sie jetzt ihr Augenmerk zusätzlich auch auf die sozialen Medien - zum Beispiel auf Facebook-Posts oder WhatsApp-Texte.

Terroristen sind nicht mehr darauf angewiesen, in speziellen Trainingslagern für ihren Dschihad ausgebildet zu werden. Die Lust am Morden, eine Internetverbindung und Anstiftung zur Gewalt reichen heute aus. Im digitalen Zeitalter, meint Prosor, könne man den Terror deshalb nicht mehr allein mit analogen Methoden besiegen.

Wie fortgeschritten die entsprechende Technologie ist, wollen offizielle Stellen zwar nicht verraten. Aber laut Aussagen von private Sicherheitsfirmen reicht das derzeit verfügbare Instrumentarium aus, um erste Alarmsignale von potenziellen Terroristen aufzufangen. Diese liefern eine Grundlage für weitere Ermittlungen.

Im Kampf gegen die sogenannten „einsamen Wölfe“, Einzeltäter, hat man in Israel in den vergangenen Monaten viel Erfahrung gesammelt. 40 Tote und mehr als 500 Verletzte waren bei 156 Messerangriffen, 98 Schießereien und 46 Auto-Attacken zu beklagen. Viele Attentäter handeln allerdings nicht so isoliert, dass man ihnen nicht auf die Schliche kommen könnte. In neun von zehn Fällen, meint der ehemalige Mossad-Mann Haim Tomer, würden Terroristen Kontakte mit Verbündeten oder Gleichgesinnten pflegen. Selbst Abschiedsbotschaften „einsamer Wölfe“ könnten deshalb mitunter auffangen werden.

In Israel ist die Monate lange Welle der palästinensischen Gewalt, so sieht es derzeit aus, vorbei. Die Zahl der Attentate ist derzeit deutlich rückläufig – zumindest bis auf Weiteres.

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