
Berlin/Paris/Tel Aviv Vor dem mit Spannung erwarteten Bericht zum Atomprogramm des Irans häufen sich Warnungen vor einem Militärschlag Israels gegen die Anlagen. Russlands Präsident Dmitri Medwedjew warf Israel am Dienstag „gefährliche Rhetorik“ vor, die zu einem bewaffneten Konflikt im Nahen Osten führen könne. Auch Außenminister Guido Westerwelle und sein französischer Kollege Alain Juppé warnten vor einem Angriff. Israels Verteidigungsminister Ehud Barak bemühte sich, Sorgen vor einem unmittelbar bevorstehenden Krieg mit dem Iran zu zerstreuen.
Die Internationale Atomenergie-Behörde IAEA, deren Bericht noch diese Woche vorgelegt werden soll, hat Zeitungsberichten zufolge zahlreiche Belege für eine systematische Entwicklung von Atomwaffen im Iran. In Israel wird seit Tagen intensiv über die Möglichkeit diskutiert, den möglichen Atomwaffenbau im Iran mit einem Militärschlag zu verhindern.
„Ein Krieg ist kein Picknick, und wir wollen keinen Krieg“, sagte Barak dem israelischen Rundfunk. „Israel hat sich noch nicht für einen militärischen Einsatz entschieden. Medienberichte über mögliche israelische Angriffspläne auf die Atomanlagen im Iran bezeichnete er als „Panikmache“.
Medwedjew sagte bei seinem Deutschland-Besuch in Berlin, Israel baue derzeit eine „Drohkulisse“ auf. „Die Drohung mit einem Militärschlag kann in einen großen Krieg führen.“ Es komme jetzt darauf an, die Lage zu beruhigen, „Luft zu holen und Gespräche zu führen“, sagte der russische Präsident. Moskau habe den Iran immer wieder aufgefordert, den ausschließlich friedlichen Charakter seines Atomprogramms zu belegen. „Leider gibt es noch keine Bewegung in diese Richtung“, sagte Medwedjew.
Westerwelle sagte im ARD-„Morgenmagazin“: „Für den Fall, dass sich die Dinge weiter zuspitzen sollten, dass der Bericht wiedergibt, dass der Iran erneut an diesen Programmen arbeitet, werden wir in Europa auch eine nächste Sanktionsrunde vorbereiten.“ Sollten Russland und China bei neuen Sanktionen nicht mitziehen, schließt Westerwelle auch einen möglichen Alleingang der Europäer nicht aus.
Der Vorsitzende der FDP Im Europaparlament, Alexander Graf Lambsdorff, hält bei einer weiteren Zuspitzung des Konflikts ebenfalls eine deutliche Reaktion der internationalen Gemeinschaft für unausweichlich. „Wenn sich die Vermutungen über das im neuesten Bericht der IAEA düster gezeichnete Bild der Lage bewahrheiten, dann müssen ernsthafte Konsequenzen gezogen werden“, sagte Lambsdorff Handelsblatt Online. Das hieße, dass die bereits im Uno-Sicherheitsrat verabschiedeten Sanktionen besser implementiert werden müssten. „Der Sicherheitsrat hätte sich aber auch erneut der Angelegenheit anzunehmen, da nach der weiteren Eskalation der Tatbestand einer Bedrohung des Friedens gemäß Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen erfüllt wäre und dies Folgen in der Form von weiteren Sanktionen nach sich ziehen müsste.“
"Der Iran führt die Welt an der Nase herum"
Lambsdorff hält es zusätzlich und unabhängig vom Ausgang der Konsultationen im Sicherheitsrat für nötig, dass die Europäische Union „weiterreichende, gezielte Sanktionen gegen das Regime und seine Helfer“ beschließe. „Auch andere Maßnahmen, wie nachrichtendienstliche Aktionen, bei denen keine Menschenleben in Gefahr geraten, wären sinnvoll“, sagte der liberale Außenpolitiker. „Sie könnten helfen, die Entwicklung zu verzögern und so mehr Raum für eine politische Lösung schaffen.“
Denn keine der beiden möglichen Alternativen, sei es ein nukleares Iran oder ein militärischer Angriff auf die islamische Republik, dürften Realität werden. „Deshalb muss sich die Weltgemeinschaft auf ein resolutes und gemeinsames Vorgehen einigen, um die angespannte Situation in dieser volatilen Region zu entschärfen“, sagte Lambsdorff.
Zugleich warnte Westerwelle davor, „militärische Optionen in den Raum zu stellen“. Solche Debatten würden die iranische Führung eher stärken als schwächen, sagte er dem „Hamburger Abendblatt“. Frankreichs Außenminister Juppé sagte er: „Man muss alles tun um zu vermeiden, was irreparabel wäre: eine militärische Intervention.“
Es gebe aber Grund zur Annahme, dass das iranische Atomprogramm militärischen Zwecken diene. „Das wäre eine außerordentlich schwere Destabilisierung der Region, und Frankreich hat dabei eine starke Position. Wenn es nötig wird die Sanktionen noch zu verschärfen, wären wir bereit dazu“, sagte Juppé im Rundfunksender RTL.
Israels Verteidigungsminister sagte zum erwarteten IAEA-Bericht: „Der Iran strebt auf raffinierte Weise weiter nach nuklearen Waffen und führt die Welt an der Nase herum, dies ist die Quintessenz des Berichts.“ Die Existenz Israels sei durch Raketen aus dem Iran oder der libanesischen Hisbollah-Miliz nicht gefährdet.
Endgültiges IAEA-Urteil über den Iran ist ungewiss
Es sei auch weit übertrieben, im Falle eines Kriegs mit tausenden von Toten in Israel zu rechnen. „Angenommen, es käme zum Krieg - was wir nicht wollen - dann wird es keine tausend Toten geben und der Staat Israel wird nicht zerstört werden“, sagte Barak. „Wenn alle Menschen zu Hause bleiben, auch keine 500.“
Nach Informationen der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ geht aus dem IAEA-Bericht hervor, dass Teheran in sämtlichen für den Bau von Kernwaffen wesentlichen Bereichen tätig ist oder war. Dazu zählten die Urananreicherung, die Konstruktion eines atomaren Sprengkopfes für iranische Raketen und eines Zündmechanismus für eine nukleare Kettenreaktion. Die britische Zeitung „The Guardian“ berichtete, in dem Bericht gebe es mehrere Hinweise auf Atomwaffentests im Iran.
Laut FAZ ist bei der IAEA in Wien von einer neue Etappe im Atomstreit mit dem Iran die Rede. Noch nie habe die IAEA derart detailliert ihren Wissensstand dargelegt. Allerdings verwiesen Experten darauf, dass es keine „smoking gun“, also keinen wasserdichten Beweis gegen Teheran gebe. Ein Diplomat spricht laut Zeitung mit Blick auf den Bericht von einem unfertigen Mosaik. Als unwahrscheinlich gelte, dass die IAEA ausdrücklich feststellen werde, Iran arbeite an Atomwaffen.