Italien vor der Wahl „Propaganda muss bekämpft werden“

Der Wahlkampf in Italien steckt im Endspurt. Überall im Land versuchen Spitzenpolitiker, letzte unentschlossene Wähler für sich zu gewinnen. Auch in der Symbolstadt der Bankenkrise – Siena.

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Wie Spitzenpolitiker in Italien auf Stimmenfang gehen Quelle: AP

Siena „Also ‘la banca’ ist Monte dei Paschi?” Da muss der Minister doch noch mal nachfragen. Ja klar, antworten alle Honoratioren rund um den Tisch bei der kommunalen Entwicklungsgesellschaft Fises. In Siena heißt Monte dei Paschi nur „la banca“. Und die müsse sich jetzt in der neuen Phase wieder an die Stadt und ihre Menschen annähern, klagt Fises-Chef Marco Turchi. Seit 2012 habe es nämlich eine Entfremdung gegeben.

„La banca“, 1472 gegründet, ist der größte Arbeitgeber der Stadt. Jahrelanges Missmanagement und hohe Verluste haben die Sparer vertrieben und bis heute sind nicht alle Skandale aufgeklärt wie der des mutmaßlichen Selbstmords eines Kommunikationschefs vor ein paar Jahren.

Pier Carlo Padoan hört zu und macht sich Notizen. Der Wirtschafts- und Finanzminister hat im vergangenen Juni die Krisenbank, deren imposanter Renaissance-Palast nur ein paar Meter entfernt ist, vor dem Untergang gerettet. Nach monatelangem Ringen mit Brüssel über Staatshilfe kam das OK und die Bank gehört nun dem Staat, mittels vorsorglicher Rekapitalisierung. Doch die Probleme sind damit noch lange nicht gelöst. Vor zwei Wochen erst hat Monte dei Paschi einen Verlust von 2,7 Milliarden für 2017 präsentiert.

Jetzt ist der Minister hier zum Wahlkampf. Dem ersten seines Lebens. Und das merkt man auch. Der bisher Parteilose kandidiert für die Regierungspartei Partito Democratico (PD) in einem sicheren Wahlkreis im Herzen der „roten“ Toskana, eine der letzten Enklaven der PD. „Wenn er hier nicht den Sieg holt, wo dann“, sagt Gianluca Iachini, ein Parteifreund. Das auch in Italien unter Genossen übliche Du kriegt er dem Herrn Minister gegenüber noch nicht über die Lippen.

Padoan ist kein Politiker mit Bodenhaftung. Der 68jährige war Wirtschaftsprofessor an vielen Universitäten, arbeitete beim Internationalen Währungsfonds und war Chefvolkswirt der OECD. Seit 2014 ist er Minister, erst im Kabinett von Matteo Renzi, dann bei Premier Paolo Gentiloni. „Mir gefällt der Wahlkampf sehr, denn so kann ich bei den normalen Leuten überprüfen, ob unsere Politik effizient ist oder nicht“, sagt er zwischen zwei Terminen, „hier kann ich sehen, ob die Wirtschaftspolitik der Regierung ankommt.“ Die Woche über ist er Minister in Rom oder Brüssel, an den Wochenenden und jetzt zum Endspurt tourt er durch die Toskana. Sein Wahlkreis ist groß und reicht bis zur Rotweinstadt Montalcino.

In Siena auf der Piazza del Campo, wo zweimal im Jahr das berühmte Pferderennen „Palio“ stattfindet, pfeift der Wind. Viele Leute sind nicht unterwegs, Touristen erkennen den Minister nicht. Der Bürgermeister, natürlich von der PD, kauft eine große Tüte heißes Schmalzgebäck. Wahlkampf in Italien ist anders, hier steht kein Kandidat am Stand und verteilt Broschüren, Kugelschreiber oder Rosen und hofft auf ein Gespräch. Keine Plakate. „Es ist zu kalt und die Parteien haben nicht mehr das Geld wie früher“, sagt Iachini.

Padoan setzt auf Begegnungen im kleinen Kreis und tourt von Termin zu Termin, hört zu, fragt nach. Was wollen die Wähler denn von ihm? „Sie fragen danach, die Steuern weiter zu senken und die Bürokratie zu vereinfachen, effizienter und schneller zu machen“, sagt er, bevor es zu einer Bürgerinitiative geht, die Mikrokredite verwaltet. „Sie haben Recht, denn das betrifft das Leben jeder Familie und jedes Unternehmens.“

„La banca“ aber ist jedesmal ein Thema. „Man hat mit vorgeworfen, die Banken ruiniert zu haben“, sagt er, „meine Antwort: wir haben die bestmögliche Lösung gefunden unter den Voraussetzungen, die wir vorgefunden haben.“ Das den Menschen zu erklären, sei nicht leicht. „Aber ich sage ihnen: Was wäre passiert, wenn Monte dei Paschi nicht gerettet worden wäre? Das wäre ein Desaster gewesen für die Kontoinhaber, die Unternehmer, und nicht nur für Siena, denn die Bank hat nationale Relevanz.“

Es sei einfacher, Propaganda zu machen als das zu erklären, sagt er, aber er kämpfe gegen diese Propaganda der anderen Parteien an. Damit meint er vor allem einen, den Kandidaten der Lega in Siena. Deren Wirtschaftsexperte Claudio Borghi, der sich als Beschützer der Sparer gibt, ist nicht nur erklärter Euro-Gegner, sondern bringt sogar eine Parallelwährung ins Spiel.

„Ein reiner Provokateur“, sagt Padoan. Eine Debatte der beiden gibt es nicht. „Ich rede lieber mit den Menschen.“ Er gibt sich abgeklärt, doch seine Worte sind scharf, als er am Abend im großen Saal das Mikrophon in der Hand hat beim gemeinsamen Auftritt mit dem Justizminister. Es geht um das Thema Staatsverschuldung, sonst im Wahlkampf ausgespart. Politiker der Lega und andere würden eine große Verantwortungslosigkeit zeigen, wenn sie verkünden, dass es die Verschuldung gar nicht gebe, „ein Wahnsinn ist das“, echauffiert er sich. „Das ist schreckenerregend und muss bekämpft werden.“

In Siena muss Padoan die Wähler noch erobern, in Turin hat er den ersten Listenplatz der PD. Damit ist ihm ein Sitz im Abgeordnetenhaus sicher. Nur ob er sein Ministeramt behält, kann niemand voraussagen. Das hängt vom Wahlergebnis und den Koalitionsverhandlungen ab. Erst auf die Frage eines Gewerkschafters kommt er noch mal auf Monte dei Paschi zurück. Der will wissen, wie lange der Staat noch Herr der Bank bleibe: „Solange, bis die Bank profitabel ist für Siena und für Italien, wir rechnen mit einigen Jahren“, sagt Padoan. Ein genaues Datum zu nennen, wäre kontraproduktiv für die Märkte, aber das jetzige Management habe das volle Vertrauen des Staates. Da spricht nicht der Kandidat, sondern der Minister.

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