
Washington Alle zwei Jahre seziert der Internationale Währungsfonds (IWF) alle verfügbaren ökonomischen Daten und baut daraus den Weltwirtschaftsbericht (World Economic Outlook) – einen der renommiertesten Orientierungspfeiler für die Konjunkturerwartungen.
Am Dienstag wurde er in Washington vorgestellt – und sieht erstmal positiv aus: Handel und Wachstum blühen, und Industrienationen wie Deutschland, Japan, Großbritannien und die USA profitieren von starken Exporten. Doch die Experten des IWF haben Anlass zur Sorge. Sie warnen vor Risiken, die den weltweiten Handel und Investitionen bedrohen.
Wann sich der Aufschwung abschwächen könnte, welche Gefahren die Experten fürchten und wie sie die Perspektiven für die Eurozone sehen: Die wichtigsten Punkte in der Handelsblatt-Analyse.
1. Die gute Nachricht: Die Weltwirtschaft ist stark
Mit 3,8 Prozent war das globale Wachstum im Jahr 2017 das schnellste seit 2011, mit einem spürbaren Aufschwung des Welthandels. Letzterer erholte sich nach zwei schwachen Jahren im Jahr 2017 kräftig auf eine geschätzte reale Wachstumsrate von 4,9 Prozent. Der Aufschwung war in Schwellen- und Entwicklungsländern ausgeprägter, insbesondere in China.
In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften leisteten Deutschland, Japan, Großbritannien und die USA einen starken Beitrag zur Erholung der Exporte. In der zweiten Jahreshälfte 2017 gab es ein Wachstum von mehr als vier Prozent, das stärkste seit dem zweiten Halbjahr 2010. Angesichts der weiterhin günstigen Finanz- und Investitionslage wird das globale Wachstum sowohl 2018 als auch 2019 auf 3,9 Prozent ansteigen – eine Verbesserung um 0,2 Prozentpunkte für beide Jahre im Vergleich zur Prognose vom Oktober 2017.
2. Die schlechte Nachricht: Wachstum bleibt nicht stabil
Die positive Dynamik wird sich schrittweise verlangsamen, das globale Wachstum dürfte sich in den beiden Jahren danach voraussichtlich abschwächen: Über das Jahr 2019 hinaus soll das globale Wachstum bis zum Ende des Prognosehorizonts allmählich auf 3,7 Prozent sinken.
„Die Abschwächung ist ausschließlich auf die fortgeschrittenen Volkswirtschaften zurückzuführen”, wo die Wachstumsraten begrenzt sind, heißt es im IWF-Report. „Sobald ihre Produktionslücken geschlossen sind, werden die meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften zu Wachstumsraten zurückkehren, die unter dem Durchschnitt vor der Weltwirtschaftskrise liegen”.
Das Wachstum in den USA wird ebenfalls nachlassen, auch aufgrund der jüngsten Änderungen in der Leitzinspolitik. In Schwellen- und Entwicklungsländern wird sich das Wachstum in etwa auf dem derzeitigen Niveau stabilisieren. Bislang sind die finanziellen Rahmenbedingungen ideal, doch Protektionismus, geopolitische Spannungen und Unruhen könnten das Vertrauen in Investitionen und das Wachstum dämpfen.
Das Fazit der IWF-Experten: Das globale Wachstum dürfte kurzfristig stark und mittelfristig moderat ausfallen.
3. Es lauern viele Risiken – vor allem durch Trump
Die Rahmenbedingungen für Finanzierungen dürften sich mit dem Schließen von Produktionslücken und der Anpassung der Zinspolitik verschlechtern. Die USA werden voraussichtlich eine spätere, aber dafür dann beschleunigte Rückkehr zu einem durchschnittlichen Wachstum erleben als die meisten anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften.
Grund ist die Steuerreform: Der positive Effekt auf Investitionen ist momentan stark, aber er wird sich ab 2020 verringern, spätestens 2023 läuft dann das volle ursprüngliche Investitionsaufkommen aus.
Grundsätzlich nimmt die Angst vor dem technologischen Wandel und der Globalisierung zu. Das könnte in Verbindung mit größeren Handelsungleichgewichten zu protektionistischen Strömungen führen, die Handel und Investitionen negativ beeinflussen. Die von den USA angekündigten Strafzölle haben Vergeltungsmaßnahmen seitens Chinas provoziert, „ähnliche Reaktionen anderer Länder geben Anlass zur Sorge”, schreiben die IWF-Experten.
Der Klimawandel, geopolitische Spannungen und Cyberattacken bedrohen die gedämpften mittelfristigen globalen Aussichten zusätzlich. „Die Risiken sind miteinander verknüpft”, heißt es im Report. „Wenn eines greift, können die anderen nachziehen”.
4. Der IWF warnt vor weltweitem Protektionismus
„Handelsoffenheit und globale wirtschaftliche Integration im Rahmen eines regelbasierten, multilateralen Handelssystems waren entscheidend für die Verbreitung von Innovationen, die Steigerung der Produktivität und die Erweiterung der Vielfalt der weltweit verfügbaren Waren und Dienstleistungen in den letzten Jahrzehnten”, betont der IWF. „Die Aufrechterhaltung eines offenen, multilateralen Handelssystems sollte Priorität haben.”
So habe der global verzahnte Handel dazu beigetragen, Wissen grenzübergreifend zu transferieren, Innovationen zu fördern und die Produktivität in vielen Ländern zu fördern. „Das sind wesentliche Faktoren für die Verbesserung von Lebensstandards”. Länder sollten zusammenarbeiten, um Probleme wie Cyberattacken und den Klimawandel anzugehen, mahnen die Experten.
„Strafzölle und anderen Handelshemmnisse könnten die Marktstimmung beeinträchtigen, die globalen Lieferketten unterbrechen, neue Technologien bremsen, Konsumgüter verteuern, die globale Produktivität und Investitionen verringern.”
5. Deutschland soll Investitionen erhöhen
Grundsätzlich sollten alle Länder, die gerade vom globalen Wirtschaftswachstum profitieren, die gute Phase nutzen, raten die Experten. Jetzt sei die Zeit für Strukturreformen und fiskalpolitische Maßnahmen, indem Länder „beispielsweise die Erprobung und Verbreitung neuer Technologien fördern, die Erwerbsbeteiligung erhöhen und in junge Menschen investieren. In Ländern, die der Vollbeschäftigung nahe oder kurz davor stehen, „müssen die Schulden stabilisiert und schließlich abgebaut werden”.
Dies erfordere „die allmähliche Eindämmung der steigenden öffentlichen Ausgaben bei gleichzeitiger Verbesserung der Infrastruktur, Förderung der Erwerbsbeteiligung und Verringerung der Armut.” Länder mit finanziellem Spielraum – hier nennt der IWF explizit Deutschland als Beispiel – sollten die öffentlichen Investitionen erhöhen, die das potenzielle Wachstum und die Nachfrage steigern.
6. Ölpreise sollen leicht sinken, China erlebt Flüssiggas-Boom
Die Ölpreise werden 2018 voraussichtlich durchschnittlich 62,3 US-Dollar pro Barrel betragen (zum Vergleich: 2017 betrugen sie 52,8 US-Dollar). Wenn sich der Markt erholt, wird erwartet, dass der Ölpreis 2019 auf 58,2 US-Dollar pro Barrel und im Jahr 2023 auf 53,6 US-Dollar pro Barrel sinken wird. Der Erdgaspreisindex – ein Durchschnittswert für Europa, Japan und die USA – stieg saisonbereinigt von August 2017 auf Februar 2018 um 45 Prozent.
Die starke Nachfrage nach Flüssigerdgas (LNG) in China, wo die Regierung den Einsatz von Kohle zur Minderung der Luftverschmutzung begrenzt hat, trug dazu bei, dass der LNG-Preis seinen höchsten Stand seit drei Jahren erreicht hat.
7. Dämpfer für die Aktienmärkte
Trotz der Finanzmarkt-Turbulenzen in Februar bleiben die Bewertungen der Aktienmärkte stärker als im August. Die Volatilität ist abgeklungen, bleibt aber höher als vor den Einbrüchen im Februar und der Korrektur des Aktienmarktes im März. Damals hatten die USA Strafzölle auf Stahl und Aluminium und eine Reihe chinesischer Produkte angekündigt. Der IWF sieht diese Schwankungen als „Mahnung”. Der US-Dollar schwächte sich zwischen August 2017 und Ende März 2018 um etwa 1,5 Prozent ab und liegt damit rund 4,5 Prozent unter seinem Durchschnitt von 2017.
Der Euro hat um rund ein Prozent zugelegt und liegt rund vier Prozent über dem Durchschnitt von 2017. Unter anderen Währungen blieb der japanische Yen weitgehend stabil, während das britische Pfund 5,5 Prozent zulegte, nachdem die Bank of England im November die Zinssätze angehoben hatte und die Erwartungen an einen Brexit-Deal gestiegen waren.
8. Der Eurozone geht es gut – noch
Die Wachstumsprognosen für 2018 und 2019 für alle großen Volkswirtschaften im Euroraum wurden im Vergleich zum Oktober 2017 revidiert. In Frankreich dürfte sich das Wachstum von 1,8 Prozent im Jahr 2017 auf 2,1 Prozent in diesem Jahr festigen, bevor es im Jahr 2019 leicht auf 2,0 Prozent zurückgeht. In Deutschland wird das Wachstum 2018 mit 2,5 Prozent, und 2019 mit 2,0 Prozent stabil bleiben. Italiens Wirtschaft dürfte ebenfalls stabil wachsen. In Spanien wird das Wachstum von 3,1 Prozent im Jahr 2017 auf 2,8 Prozent im Jahr 2018 und 2,2 Prozent im Jahr 2019 zurückgehen.
In Großbritannien wird das Wachstum voraussichtlich von 1,8 Prozent im Jahr 2017, auf 1,6 Prozent im Jahr 2018, und auf 1,5 Prozent im Jahr 2019 zurückgehen. Die Zahlen spiegeln eine Inlandsnachfrage wieder, die stärker als erwartet ausfällt, dazu kommen die unterstützende Geldpolitik und Exportnachfragen. Mittelfristig wird das Wachstum im gesamten Euroraum von aktuell 2,2 Prozent auf 1,4 Prozent sinken, so die Prognose. Gründe dafür sind schwache Reformanstrengungen und der europaweite Trend zur Überalterung.