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Japan-Besuch Angela Merkel inszeniert Deutschland als Vorbild

Die Bundeskanzlerin macht eine Deutschland-Werbetour. In Japans Hauptstadt Tokio kann sie mit einem ausgeglichenen Haushalt glänzen und heimst Lob ein. Trotzdem ist auch Platz für mahnende Worte.

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Zehn Vorurteile über Japan - und die Wahrheit
Japan ist nicht Asien!Als Inselreich gehört Japan selbst geografisch nicht hundertprozentig zu Asien. Und kulturell auch nur eingeschränkt. Wer Japan kennt, kann also nicht sagen, dass er Asien kennt. Das liegt vor allem daran, dass sich Japan zwischen dem frühen 17. Jahrhundert und 1854 fast völlig von Asien und dem Rest der Welt abkapselte. Nur über die kleine niederländische Handelsstation Dejima (Bild) im Hafen von Nagasaki wurden Waren und Informationen ausgetauscht. Aber Japan blieb dadurch auch verschont von westlichem Kolonialismus. Nach der Meiji-Restauration 1868 modernisierte sich Japan in atemberaubender Geschwindigkeit und wurde selbst zu einer in Asien expandierenden Großmacht. Quelle: Gemeinfrei
Japaner und Chinesen haben nicht dieselbe SchriftDie japanische Schrift ist eine einzigartige Mischung. Eigennamen werden zum Großteil mit chinesischen Schriftzeichen – Kanji – geschrieben. Die Japaner nutzen etwa 2000 dieser Zeichen.  Einige Wörter und vor allem Endungen und Partikel werden in der Lautschrift Hiragana geschrieben. Für die immer zahlreicher werdenden Fremdwörter nutzen Japaner eine eigene Silbenschrift: Katakana. Quelle: Fotolia
Japaner sprechen nicht von „Samurai“Der Begriff wird eher im Westen verwendet. Japaner sprechen meist von „Bushi“, wenn sie die Krieger des alten Japans meinen. Der Ehrenkodex der Krieger hieß daher „Bushidô“, also „Weg des Kriegers“. Mit einem gewissen Rapper der Gegenwart hat das überhaupt nichts zu tun. Quelle: Fotolia
Geishas sind keine ProstituiertenJapans Kurtisanen sind bewandert in allen schönen Künsten, oft mehrerer Sprachen mächtig und vor allem redegewandt. Sie lachen, scherzen, tanzen, musizieren und bewegen sich äußerst gekonnt, lassen dezent Haut blitzen oder auch nicht und verwöhnen den Gast mit erlesenen Gerichten und Alkoholika. Sie sind ein Stück japanische Tradition aber keinesfalls Prostituierte - das waren sie auch früher nicht. Quelle: dpa
In Japan gibt es ausgezeichnetes BierDas traditionelle japanische alkoholische Nationalgetränk ist "Sake". Ein milder Reiswein, der im Winter heiß, im Sommer kalt genossen wird. Seit der Öffnung des Landes im 19. Jahrhundert und dank der Unterrichtung durch deutsche Braumeister hat sich aber immer mehr das Bier als eigentliches Nationalgetränk im Alltag durchgesetzt. Vor allem zu Sushi passt Bier am besten. Quelle: AP
Anime und Manga sind kein KinderkramAnimationsfilme und japanische Comics haben sich längst auch bei erwachsenen Japanern durchgesetzt. Viele sind thematisch auch ganz und gar nicht für Kinder gedacht. Sie sind der größte Kultur-Export-Schlager Japans, nicht zuletzt in Deutschland. Die Wurzeln des Manga sind in der alten japanischen Holzschnittkunst zu suchen, den ukio-e. Quelle: dpa
Japaner lächeln nicht immerEs stimmt schon, Japan ist ein Land des Lächelns. In Geschäften, in Restaurants wird man als Kunde wohltuend freundlich behandelt, selbst bei unfreundlichen Anlässen. Aber wer mehr als ein paar Touristentage in Japan verbringt, wird schnell auch japanische Härte und sogar Unfreundlichkeit erleben. Japanische Zollbeamte zum Beispiel kennen kein Lächeln. Einen lächelnden Sumo-Ringer wird man auch nur selten finden – zumindest nicht beim Kampf. Quelle: REUTERS

Angela Merkel ist bei ihrem Besuch in Japan in einer angenehmen Lage. Denn die Kanzlerin kann vor allem Lob für Deutschlands Rolle in der Welt einheimsen. Auch wenn Merkel in Tokio mehrfach betont, sie komme nicht als Lehrerin und wolle keine Ratschläge von außen geben: In der drittgrößten Volkswirtschaft absolviert die diesjährige G7-Vorsitzende diesmal fast eine Werbetour für Deutschland - und buhlte sogar noch um japanische Studenten.

Selten wirkte die Bundesrepublik in Merkels Darstellung so positiv und leuchtend. Im mehr als 8700 Kilometer entfernten Tokio verwandelt sich sogar die erst am Freitag vom Bundestag beschlossene Frauenquote in ein Plus - weil Japan bei der Besetzung von Frauen in Führungspositionen noch schlechter dasteht. Außerdem weiß Merkel aus Erfahrung, dass sie bei diesem Thema als Regierungschefin den meisten ausländischen Kritikern ohnehin den Wind aus den Segeln nimmt. Und Japans Regierungschef Shinzo Abe bezeichnete die am längsten regierende G7-Chefin sogar als persönliches Vorbild.

Japan

Ein wenig dürfte die demonstrative Show der Stärke auch daran liegen, dass Merkel mit Abe zwar mittlerweile ein vertrautes Verhältnis aufgebaut hat - sie dessen Politik aber gleich auf mehreren Feldern nicht teilt. Denn so eng die Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern etwa in der Entwicklungshilfe und auch in der Ukraine-Krise ist: In Berlin nimmt man auch die nationalen Untertöne bei Abe wahr, die die Spannungen zu China und Südkorea verschärfen. Zudem ist Abe von Amerikanern und Briten wegen seiner "Abenomics" genannten Politik des lockeren Geldes gefeiert worden, mit dem er die japanische Wirtschaft ankurbeln wollte. Das führte dazu, dass Merkel auf etlichen G20- und G7-Gipfeln mit ihrem Pochen auf eine zurückhaltende Finanzpolitik isoliert wirkte. Der Japan-Besuch bot die Möglichkeit, in aller Freundlichkeit zurück zu pieksen.

Alle müssen sich historischen Fehlern stellen

Und das tat Merkel auch. Schon zum Auftakt ihres Besuchs mahnte sie in einer Rede vor der Asahi-Stiftung mit Blick auf das 70 Jahre zurückliegende Ende des Zweiten Weltkriegs, dass Deutschland den Weg zurück als geachtetes Mitglied der Weltgemeinschaft nur gelungen sei, weil es sich seiner Vergangenheit gestellt habe. Das ist eine klare Botschaft an Abe, auch wenn die Kanzlerin die Botschaft sehr freundlich verpackt und betont, dass jedes Land seinen eigenen Weg gehen müsse.

Aber Merkel weiß spätestens seit 2014, wie vermint dieses Thema in Ostasien ist. Vergangenes Jahr hatten der chinesische Präsident, die südkoreanische Präsidentin und der japanische Ministerpräsident Berlin besucht und versucht, im Streit über frühere japanische Besatzungsgräuel zu punkten. Um einen Affront für Abe - immerhin G7-Partner - zu vermeiden, wies sie ausdrücklich darauf hin, dass die Versöhnung in Europa nur funktioniert habe, weil es neben der Übernahme der Verantwortung durch die Täter auch die Versöhnungsbereitschaft der Opfer gegeben habe. Also müssen auch Chinesen und Koreaner handeln.

Große Genugtuung muss Merkel aber beim Thema lockere Geldpolitik empfinden. Sie kam mit dem Selbstbewusstsein einer Regierungschefin angereist, die einen ausgeglichenen Haushalt und relativ starke Wachstumsraten vorweisen kann. Japans Wirtschaft dagegen kam trotz der milliardenschweren Finanzspritzen 2014 nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds nur auf ein Miniwachstum von 0,1 Prozent und wird in diesem und im nächsten Jahr wohl nur um 0,6 und 0,8 Prozent zulegen. Ohne dass Merkel es aussprach: Japan ist mit seiner horrenden Staatsverschuldung Beispielland für ihre These geworden, dass eine Wirtschaft ohne Strukturreformen weiter lahmt.

Roboter als Pflegekräfte

Deshalb ist Merkel gleich beim nächsten Punkt der indirekten Belehrung ihrer Gastgeber - Kritik an mangelnder Offenheit. Sie wirbt für das EU-Japan-Freihandelsabkommen. Denn die deutsche Wirtschaft wirft Japan vor, Importe zu erschweren. Und auch bei den Themen Außenpolitik, Demographie und ein wenig auch der Energiepolitik bietet Merkel Deutschland mit seiner ähnlichen Geschichte und Entwicklung ausdrücklich als Orientierung an.

Beide früheren Achsenmächte arbeiten zwar seit längerem an einer Lockerung ihrer nach 1945 strikten Politik der militärischen Zurückhaltung. Aber während Japan noch über eine entsprechende Verfassungsänderung nachdenkt und sich ansonsten vor allem in der Entwicklungshilfe engagiert, übernimmt Deutschland bereits in erheblichem Maße auch außen- und sicherheitspolitische Verantwortung in der Welt. Merkel strahlte, als Abe ihren 17-stündigen Verhandlungseinsatz zur Ukraine-Krise in Minsk würdigte.

In Deutschland gleichen zudem die in die Höhe schießenden Zuwanderer- und Flüchtlingszahlen die sinkende Zahl an Babys wenigstens etwas aus. Der Inselstaat Japan hat dagegen mit seiner weitgehend geschlossenen Gesellschaft und Vorbehalten gegen Zuwanderung noch kein wirkliches Rezept gegen die schnelle Alterung der Gesellschaft gefunden. Statt dessen verstärkt Japans Regierung die Arbeiten an Robotern - die später in einer schrumpfenden Bevölkerung auch Pflegekräfte ersetzen sollen.

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