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Japan Experiment in Echtzeit

Japans Regierungschef Shinzo Abe festigt seine Machtbasis mit dem Sieg bei der Oberhaus. Jetzt kann er seine nationalistischen und wirtschaftlichen Ziele gestärkt angehen. Dabei muss er unterschiedliche Erwartungen erfüllen. Doch seine Strategie und sein ökonomischer Nationalismus bergen enorme Risiken.

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Die Japaner kaufen wieder ein, bevor es teuer wird Quelle: Laif

In der „Mercedes-Benz Connection“ in Tokio, dem Aushängeschild der Stuttgarter Premiummarke in Japans Hauptstadt, häufen sich die Anfragen nach teuren Sportwagen. Viele Interessenten möchten einen Teil ihres gewachsenen Vermögens in einen Mercedes-Benz AMG stecken, berichtet Geschäftsführer Daisuke Nakayama. Bei den Uhren- und Schmuckgeschäften in Tokio klingeln ebenfalls die Kassen. Auch der private Hausbau erlebt einen Boom: Die Banken heben neuerdings die Hypothekenzinsen im monatlichen Rhythmus an. Erstmals seit zwei Jahrzehnten steigen die Grundstückspreise für Wohnimmobilien. „Die Häuslebauer sind in Torschlusspanik, da auch Baumaterial und Handwerker teurer werden“, sagt Architekt Sumio Takano.

Seit mehr als zehn Jahren konnten sich die Japaner auf stagnierende oder fallende Preise für Waren, Dienstleistungen und Immobilien verlassen. Doch jetzt soll der Schrumpfprozess von Preisen und Einkommen ein Ende haben. Japans Regierungschef Shinzo Abe will die Notenpresse anwerfen und mit kreditfinanzierten Konjunkturprogrammen Inflation und Wachstum kräftig ankurbeln.

Seit Mai pumpt die ohnehin nur noch auf dem Papier unabhängige Bank von Japan so viel Geld wie keine andere Zentralbank in die Wirtschaft. Binnen zwei Jahren soll die Inflation auf zwei Prozent klettern. Die Botschaft scheint anzukommen: Mehr als vier Fünftel der Japaner stellen sich auf steigende Preise ein.

Japans Lage

Mit der „Abenomics“ genannten Strategie trotzt Japan dem globalen Trend zum Sparen. Trotz eines gewaltigen Schuldenbergs von umgerechnet 7,7 Billionen Euro leistet sich Japan einen Staatshaushalt mit einer Neuverschuldung von umgerechnet 370 Milliarden Euro. Allein 77 Milliarden Euro investiert die Regierung auf Pump in die Sanierung von Brücken und Tunnel. Die zusätzlichen Staatsausgaben sollen die Nachfrage ankurbeln, ganz nach der Theorie des britischen Ökonomen John Maynard Keynes. Die monetären und fiskalischen Stimuli will Abe durch Strukturreformen ergänzen. Diese sollen das langfristige Wachstumspotenzial erhöhen.

Ökonomen diskutieren die Erfolgschancen dieser „drei Pfeile“ der Abenomics kontrovers. Der Chefvolkswirt von Assenagon Deutschland, Martin Hüfner, spricht vom „größten wirtschaftspolitischen Experiment der Nachkriegszeit“ – und warnt, es könnte in ein Fiasko münden. Dagegen stellt Ökonomie-Nobelpreisträger Paul Krugman Japan als Vorbild dar: Das Erstaunliche an Abenomics sei, dass kein anderes Industrieland Ähnliches versuche, so Krugman.

Die Wähler scheint Abe überzeugt zu haben. Zuletzt deuteten Umfragen darauf hin, dass seine konservative Koalition bei der Wahl zum Oberhaus am 21. Juli die Mehrheit gewinnt. Die Wähler, so scheint es, belohnen Abe dafür, dass Japans Wirtschaft zu Jahresbeginn stärker als alle anderen großen Industrienationen gewachsen ist.

Abe hat nun drei Jahre Zeit, seinen Modernisierungsplan umzusetzen. Doch seine Begründung für die radikale Wirtschaftspolitik lässt aufhorchen: „Ein Land, das seine ökonomische Macht verloren hat, kann keine Stärke in Diplomatie und nationaler Sicherheit zeigen“, erklärt Abe. Beobachter fürchten, dass sich hinter der wirtschaftspolitischen Expansionsstrategie ökonomischer Nationalismus verbirgt, der sich vor allem gegen China richtet.

So hat Abe erstmals seit vielen Jahren die Verteidigungsausgaben erhöht, zudem will er den seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs herrschenden Verfassungspazifismus überwinden. Seine patriotischen Appelle tragen zum Teil revisionistische Züge: Abe redet die Kriegsschuld Japans herunter und provoziert dadurch die Opfer der japanischen Aggression in Asien. Das Gefühl neuer wirtschaftlicher Stärke könnte eine Konfrontation mit China auslösen. Ein Machtkampf in Asien aber wäre nicht nur Gift für Nippon, sondern auch für die Weltwirtschaft.

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