Japan Presse? Alles andere als frei

Nicht nur in der Türkei ist die Pressefreiheit gefährdet. Auch um Japans Meinungsfreiheitsteht es schlecht: Denn die Regierung hat einige Gesetze verschärft. Und die haben eine besondere Wirkung.

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David Kaye vor dem FCCJ in Japan. Quelle: AP

Tokio Der Uno-Sonderberichterstatter zur Meinungsfreiheit, David Kaye, ging am Dienstag hart mit der japanischen Regierung zu Gericht. Zwar habe Pressefreiheit in Japan habe ein starkes Fundament, sagte er zum Abschluss einer mit Spannung erwarteten einwöchigen Mission in Tokio. Besonders die Freiheit der Onlinewelt hob er als beispielhaft hervor. Aber es gebe besorgniserregende Trends. „Die Unabhängigkeit der Presse ist ernsthaften Bedrohungen ausgesetzt“, warnte Kaye im Klub der Auslandskorrespondenten (FCCJ).

Schwacher gesetzlicher Schutz, Verunsicherung durch eine Reihe neuer schwammiger Gesetze, wie das zum Schutz von Staatsgeheimnissen, und andauernde Ermahnungen der Regierung um „faire“ und „neutrale“ Berichterstattung führten zu einem „hohem Maß der Selbstzensur“, bilanzierte Kaye seine Beobachtungen. Darüber hinaus warnte er, dass der Entwurf für eine neue Verfassung der regierenden Liberaldemokratischen Partei „eine wirkliche Gefahr“ für die Pressefreiheit sei.

Kayes Worte werden in Japan und im Ausland nicht ungehört verhallen. Denn erstens kommt es nicht jeden Tag vor, dass ein Uno-Sonderberichterstatter zur Meinungsfreiheit in offizieller Mission eine Demokratie besucht. In diesem Fall nutzte er eine ständige Einladung der japanischen Regierung an Uno-Sonderberichterstatter.

Zweitens nannte er als Reisegrund die wachsende Sorge im In- und Ausland um Japans Pressefreiheit, seit Ministerpräsident Shinzo Abe im Dezember 2012 an die Macht gekommen ist. Während der Regierungszeit des konservativen Regierungschefs ist das Land im Pressefreiheitsranking der Reporter ohne Grenzen vom 12. auf den 61. Platz abgerutscht.

Ein Grund für den Absturz sind die umstrittenen Gesetze zur Sicherung von Staatsgeheimnissen und der schwache Schutz von Whistleblowern, die auch dem Uno-Sonderbeauftragten aufstoßen. Sie könnten eine abschreckende Wirkung auf Berichterstattung gerade in Bereichen wie Atomenergie, Sicherheitsstrategie und Desastervorbereitung haben, die für die Öffentlichkeit von großem Interesse seien, warnte Kaye.

Die Regierung beteuert zwar, Journalisten nicht zu verfolgen. Aber der Wortlaut der Gesetze lässt Strafen sehr wohl zu. Diese Unsicherheit könnte Journalisten davon abhalten, Geschichten zu verfolgen, die möglicherweise von der Regierung als brisant eingestuft werden.


„Wenn die Regierung rechts sagt, können wir nicht links sagen“

Andere Faktoren sind der zunehmende Druck von Politikern der Regierungspartei und die Besetzung von Schlüsselpositionen in der Medienwelt mit Abe-Anhängern, die offen sagen, was der Regierungschef wohl denkt. Beispielsweise gab der von Abe ernannte Chef des öffentlich-rechtlichen Senders NHK Katsuto Momii gleich zu Beginn seiner Amtszeit die Marschrichtung aus: „Wenn die Regierung rechts sagt, können wir nicht links sagen.“

Die Ministerin für Innere Angelegenheiten und Kommunikation Sanae Takaichi, deren Behörde per Gesetz für die Regulierung von TV-Sendern zuständig ist, setzte Anfang des Jahres noch eine Stufe drauf. Sie erklärte, dass ihr Ministerium rechtlich Anstalten die Sendelizenzen entziehen könnte, die nicht fair und neutral berichten würden. Dass sie dies so betonte, wurde von den Adressaten des Gesetzes durchaus als Drohung aufgefasst.

Noch mehr Sorge um die Pressefreiheit schürte, dass Anfang des Jahres nahezu zeitgleich das Aus für drei renommierte liberale Fernsehmoderatoren bekanntgeben wurde. Einer der Journalisten, Ichiro Furutachi, der Hauptsprecher eines täglichen Politmagazins des als linksliberalen angesehenen Fernsehsenders TV Asahi, schloss zwar Regierungsdruck für seinen Rücktritt kategorisch aus. Aber er sagte bei seinem Abschied, auch er fühle zunehmend eine Atmosphäre, die es ihm nicht mehr erlaube, so frei zu kommentieren wie in der Vergangenheit.

Das Problem für den Uno-Beobachter Kaye ist dabei weniger, dass Japans Politiker versuchen, die Medien zu beeinflussen. Solche Attacken kämen in allen Demokratien vor. „Die Medien tragen einen gehörigen Teil der Verantwortung für ihre Verwundbarkeit“, so Kayes Fazit in seinem vorläufigen Bericht, dessen vollständige Version im kommenden Jahr der Uno-Menschenrechtsausschuss vorgelegt werden wird.

Falls Japans Journalisten statt Betriebsgewerkschaften übergreifende Organisation für Solidarität und Selbstregulierung und zum Schutz ihrer Unabhängigkeit hätten, „würden sie wahrscheinlich leicht in der Lage sein, Versuchen der Einflussnahme der Regierung zu widerstehen“, meint der Uno-Beobachter.

Doch diese starke Vereinigung fehlt. Stattdessen gibt es für Kaye ein System des Journalismus und eine Struktur der Medien, „die es Journalisten nicht erlauben, Übergriffe zurückzudrängen.“ Viele Journalisten hätten ihn sogar um Anonymität gebeten, weil sie Vergeltung befürchteten. Denn oft sind es die Chefetagen der Medien, die Berichte bremsen, die als politisch brisant eingestuft werden. Viele seine Gesprächspartner hätten sich auch beklagt, nach indirekten Druck von Politikern kaltgestellt worden zu sein.

Japanische Journalisten teilen die Kritik. Der frühere Starmoderator des linksliberalen Senders TV Asahi, zu dem auch die Asahi Zeitung gehört, geht mit seiner Zunft ins Gericht. Es ginge nicht um politischen Druck, den habe es schon immer gegeben, sagte jüngst ein ehemaliger Starmoderator Soichiro Tahara. „Die Selbstzurückhaltung der Oberen in den Medien ist für mich ist das ernsteste Problem.“


Das hybride Selbstbild der Leitmedien

Ganz zufällig ist es allerdings nicht. Denn die Struktur der japanischen Medien macht das System anfällig für Regierungsdruck. Der Hintergrund: In Japan gibt es eine recht klare Trennung zwischen den zügellosen Boulevardblättern und Wochenmagazinen auf der einen Seite, in denen interessanterweise viele Skandale zuerst enthüllt werden.

Auf der anderen Seite sind die nationalen Leitmedien, die oft aus einem TV-Sender und einer Tageszeitung bestehen. Sie sind oft nicht der Ausgangspunkt von Skandalen, obwohl sie dank Millionenauflagen und Hundertschaften an Journalisten investigativ eine global wohl einmalige Schlagkraft entwickeln können, wenn sie wollen.

Verantwortlich für diese Schräglage zwischen theoretischer Macht und praktischer Selbstkontrolle ist das hybride Selbstbild der Leitmedien. Sie bilden in einem doppelten Sinn neben Legislative, Exekutive und Judikative die Vierte Gewalt.

Einerseits sehen sich die Journalisten dabei sehr wohl als Diskussionsorgane und Wachhund über die Mächtigen. Andererseits sind sie aber auch der Schäferhund der Macht, der die Funktion hat, die Herde zu informieren, zu leiten und im Fall von Krisen zusammenzuhalten, zu beruhigen und nicht aufzuwiegeln.

Ein wichtiger Ausdruck dieses Doppelcharakters sind die „Presseklubs“ in den Ministerien, deren Abschaffung Kaye nahelegt. In ihnen sind die zuständigen Korrespondenten der nationalen Tageszeitungen und Fernsehsender organisiert.

Eine Besonderheit ist, dass die Journalisten der verschiedenen Medien dabei nicht in ihren Redaktionen, sondern meist nebeneinander im Presseraum sitzen. Dort erhalten sie nicht nur regelmäßig zitierfähige und vertrauliche Briefings von Ministern und Beamten. Sie haben zudem – unvorstellbar in Deutschland – nahezu freien Zugang im Ministerium, können sogar vor dem Büro des Ministers herumlungern.

Die Befürworter der Presseklubs glauben, dass die Medien die Mächtigen so besonders gut überwachen können. Doch Kritiker monieren, dass das genaue Gegenteil passiert. Erstens ist es ein exklusiver Klub, Vertreter der Wochenmagazine, Online-Medien und freiberufliche Journalisten sind ausgeschlossen.

Zweitens gibt es oft interne Absprachen, was wie berichtet werden darf. Und drittens sorgt die Nähe zur Macht und die Strafe bei Verstößen gegen die Regeln, zum Beispiel ein Ausschlusses aus dem Presseklub, dafür, dass die Presseklub-Mitglieder und Politiker wie Beamte sich zu nahe kommen.

Auch im höheren Management kommt es zu dieser Kollusion. Besonders Ministerpräsident Abe trifft sich regelmäßig mit den Chefs von Sendern und Zeitungen zum Abendessen. Dies führt zu einem faszinierenden Paradox: Japans Zeitungen wissen mehr über die Skelette Politik und Behörden als ihre Kollegen in anderen Ländern. Aber sie berichten weniger darüber.


Abe will Japan in ein „schönes Land“ verwandeln

Zudem werden brisante Themen werden oft nur mit Samthandschuhen angefasst. Investigativ und aggressiv werden die Leitmedien vor allem dann, wenn die Chefetagen grünes Licht geben. Wenn die Zeitungen ihre Giftschränke öffnen und ihre enormen Ressourcen auf ein Thema ansetzen, sind die kaum aufzuhalten.

Interessanterweise gibt es einen Ausweg, wenn das grüne Licht nicht kommt: Journalisten geben ihre exklusive Geschichten hin und wieder an die freien Wochenblätter weiter. Wenn es dort hoch genug kocht und vielleicht sogar im Ausland berichtet wird, wird es gerne auch in den Leitmedien wieder aufgegriffen.

Abe und seine Anhänger versuchen nun, durch mehr oder weniger sanften Druck mehr Themen zu Tabu-Themen zu machen. Ein beliebtes Mittel sind Vorladungen der Chefetagen von Medien vor Ausschüsse der Regierungspartei. Doch darüber hinaus versucht Abe auch den rechtlichen Rahmen für eine Einschränkung der Meinungsfreiheit zu schaffen.

Die neuen Sicherheitsgesetze sind ein Beispiel. Aber der große Wurf soll die Verfassungsreform werden, die Abe durchsetzen will, um das heutige Japan in ein „schönes Land“ zu verwandeln. Der Artikel 21 der Verfassung, der Zensur ausdrücklich untersagt, soll ergänzt werden. Aktivitäten, die das öffentliche Wohl und Ordnung stören, sollen nicht erlaubt werden. Diesen Zusatz wertete Uno-Sonderberichterstatter Kaye als Bedrohung der Pressefreiheit, die auch internationalen Verträgen zuwiderliefe.

Seine Forderungen: Weg mit den Presseklubs. Weg mit Sendergesetz, das dem Innenministerium die Macht gibt, Fernsehanstalten die Sendelizenzen zu entziehen. Stattdessen schlägt er eine unabhängige Einrichtung vor. Darüber hinaus sollten die Kategorien für Geheimnisse enger und klarer definiert sowie der Schutz von Journalisten gesetzlich festgeschrieben werden. Und die Journalisten sollten sich landesweit und medienübergreifend organisieren.

Ob es dazu kommen wird, darf bezweifelt werden. Regierungschef Abe verfolgt stoisch seine Mission, Japan in seinem Sinne zu verändern. Und die Medien haben bei Angriffen auf ihre Kollegen bisher alles andere als solidarisch reagiert.

Als die linksliberale Zeitung Asahi wegen ihrer kritischen Berichterstattung über die revisionistische Haltung vieler Konservativer in Geschichtsfragen am Pranger stand, nahmen die rechten Publikationen munter an der Marter teil. Stattdessen stützte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Moral der Journalisten, als sie voriges Jahr Japan besuchte. Ihre obligatorische Rede hielt sie in der Asahi-Zentrale.

Zudem teilen die oberen Etagen der Medienhäuser nicht unbedingt die Sorgen der arbeitenden Journalisten, fand Kaye heraus. Aber vielleicht dient sein Appell dennoch als Weckruf in Japan. Denn nun haben Japans Journalisten einen Ausländer, den sie mit den Aussagen zitieren können, die sich selbst nicht zu sagen trauen. Das Interesse an seinen Aussagen war auf jeden Fall groß.

Zig TV-Sender und Journalisten zeichneten seine Kritik auf. Doch David McNeill, der Moderator der Veranstaltung und Journalist für das britische Magazin „The Economist“ und weitere angelsächsische Medien, konnte sich einen Seitenhieb nicht verkneifen. Man warte gespannt darauf, wie die Medien die Aussagen Kayes berichten würde, sagte er zum Abschluss der Pressekonferenz.

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