Japan Rekordschuldner mit Haushaltsrekord

Kein Industrieland der Welt ist höher verschuldet als Japan. Doch die Regierung legt für 2017 einen weiteren Rekordhaushalt auf. Dank der aggressiven Geldpolitik der Notenbank geht das bislang gut – aber wie lange noch?

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Japan ist das Paradebeispiel dafür, wie Regierungen durch expansive Geldpolitik das Sparen immer weiter vertagen können. Quelle: Reuters

Tokio Sparen ist für die am höchsten verschuldete Industrienation der Welt weiterhin ein Fremdwort. Obwohl Japans Staatsverschuldung bereits rund 240 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beträgt, verabschiedete die Regierung von Ministerpräsident Shinzo Abe am Donnerstag einen neuen Rekordhaushalt. Finanzminister Taro Aso oblag es, dies zu erklären. „Das Kabinett Abe verfolgt keine Austeritätspolitik“, sagte er, „aber wir zielen darauf, den Haushalt durch eine Expansion der Wirtschaft auszubalancieren.“

Das Ergebnis dieser Sanierung-durch-Wachstum-Philosophie ist der fünfte Rekordhaushalt in Folge. Im April 2017 beginnenden Haushaltsjahr plant die Regierung, die Ausgaben um 0,8 Prozent auf 97,45 Billionen Yen zu erhöhen und gleichzeitig die Neuverschuldung um 0,2 Prozent auf 34,37 Billionen Yen zu senken.

Die Regierung gestand sich sogar Raum zu, Akzente zu setzen. Die größten Gewinner sind dabei die Sozialausgaben für die rapide alternde Gesellschaft, das Verteidigungsbudget und Überweisungen an Lokalregierungen, denen wegen des Bevölkerungsschwundes oft die Steuerbasis wegbricht. Jeder dieser Ausgabesäulen steigt um mehr als ein Prozent. Asos Urteil: Der Etat sei „angemessen ausbalanciert“.

Japan bleibt damit das Paradebeispiel dafür, wie Regierungen durch expansive Geldpolitik das Sparen immer weiter vertagen können. Dank Minuszinspolitik und massiven Käufen japanischer Staatsanleihen (JGBs) zahlt die Regierung nur 1,1 Prozent Zinsen auf ihren Schuldenberg. Der Schuldendienst macht daher gerade 24 Prozent des Staatshaushalts aus.

Auch scheinen Warnungen vor einer Schuldenkrise verfrüht. Immerhin sind die Unkenrufe bereits fast 20 Jahre alt. Denn bisher erwies sich die Bank von Japan als Garant für Stabilität und Sicherheit, indem sie als erste Notenbank eine „unorthodoxe“ Geldpolitik zur neuen Norm erklärte.

Bereits vor 16 Jahren senkte sie erst den Leitzins auf null Prozent und begann 2002 mit dem Kauf von JGBs, um deren Zinsen niedrig und damit den Schuldendienst erschwinglich zu halten. Im Gegenzug versprachen wechselnde Regierungen, die Wirtschaftsstrukturen zu reformieren und den Haushalt zu sanieren.

Tatsächlich kaufte jedoch die Notenbank immer mehr Staatsanleihen, um den wachsenden Schuldenturm auszubalancieren. Die Weltfinanzkrise verstärkte die Abwendung von einer Sparpolitik noch. Inzwischen lagern fast 40 Prozent der JGBs in den Tresoren der Notenbank. Der Anteil könnte bis 2019 auf 60 Prozent steigen, falls die Notenbank ihre JGB-Käufe nicht drastisch senkt.


Der Schuldnerturm wackelt

Doch damit nicht genug: Dieses Jahr drückte die Bank von Japan die Zinsen zunächst ins Minus. Nun ist sie sogar dazu übergegangen, nicht mehr nur den Leitzins vorzugeben, sondern die gesamte Zinskurve zu kontrollieren.

So hält sie derzeit die Zinsen für kurzfristige JGBs im Minus und die für zehnjährige Anleihen bei null Prozent, um die Staatsfinanzen zu stabilisieren. Gleichzeitig erlaubt sie, dass die Zinsen für längerfristige Anleihen im Plus bleiben. So können Banken und Lebensversicherer noch ein wenig Geld mit ihrem JGB-Besitz verdienen.

Allerdings wachsen in Japan die Zweifel, ob die Regierung mit diesem Kurs wie geplant den Haushalt sanieren kann. Derzeit lautet das amtliche Ziel, bis 2020 die Ausgaben ohne Schuldendienst durch Einnahmen aus Steuern und anderen Transfers zu decken. Danach soll mit einem Abbau des Schuldenbergs begonnen werden.

Nur hat Ministerpräsident Abe getreu seiner Wachstumsphilosophie eine für 2015 geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer von acht auf zehn Prozent auf 2019 verschoben. Gleichzeitig scheue Abe kontinuierlich davor zurück, schmerzhafte Reformen in der Wirtschaft und den Sozialkassen durchzuführen, mahnt die Wirtschaftszeitung Nikkei.

Auch die Unternehmensverbände fordern glaubhafte Fortschritte bei der Sanierung des Staatshaushalts wie der Sozialkassen. Denn sie beobachten, wie Verbraucher und Firmen aus Sorge um die Zukunft mehr sparen. Besonders die steigenden Ausgaben für Renten und Krankenversicherung bergen Sprengkraft. Denn Japan ist nicht nur in der Geldpolitik Pionier, sondern auch bei der Alterung der Einwohner. Da das Land weitgehend auf Einwanderung verzichtet, schrumpft die Bevölkerung bereits seit einigen Jahren.

Der neue Staatshaushalt dürfte die Ängste nicht besänftigen. Einige Annahmen seien unrealistisch, kritisiert Tobias Harris, Japan-Experte des amerikanischen Sicherheitsberaters Teneo Intelligence. So rechnet die Regierung mit einem realen Wachstum von 1,5 Prozent. Doch die Ökonomen erwarten laut einer Erhebung des Japan Center for Economic Research im Schnitt nur ein Prozent.


Kreditbewerter halten Japan noch die Treue

Noch stärker klaffen die Prognosen beim nominalen Wachstum auseinander, das wichtiger für die Bemessung von Steuereinnahmen und Schulden ist. Die Regierung geht von einem nominalen Wachstum von 2,5 Prozent aus, die Ökonomen von 1,4 Prozent. Denn die Volkswirte erwarten eine weit geringere Inflation als Regierung und Notenbank.

Und ob die Steuereinnahmen wie erwartet sprudeln und die Zinsen wirklich sinken werden, muss sich noch zeigen. Harris erwartet daher für 2017 wie dieses Jahr Nachtragshaushalte. Am Donnerstag segnete die Regierung bereits das dritte zusätzliche Ausgabenpaket im Jahr 2016 ab.

Für Harris zeigt der Haushalt damit, dass der Balanceakt immer schwieriger wird. Es falle der Regierung nicht nur schwer, die Ausgaben wirklich wachstumsfreundlich zu erhöhen, sondern auch zu sparen. Dieses Dilemma spiegelt sich auch in den Analysen der Kreditbewerter wider.

Fitch beispielsweise hatte Japans Kreditwürdigkeit im April auf A abgewertet. Denn in den Augen der Experten reichten die „strukturellen fiskalischen Maßnahmen“, sprich Ausgabensenkungen oder deutlich höhere Steuereinnahmen, nicht aus. Darüber hinaus merkten sie an, dass auch Japans Nettoverschuldung die höchste der OECD sei und die Verbindlichkeiten nach Irland am schnellsten wachsen würden. Und die Lage hat sich seitdem nicht gebessert.

Moody’s allerdings klang im November etwas versöhnlicher. „Japans hohes Schuldenniveau bleibt erschwinglich“, urteilten die Kreditbewerter. Japans Bonität bewerten sie mit A1. Als Gründe nannten die Experten die wachsenden Ersparnisse von Unternehmen und Bürgern, steigende Leistungsbilanzüberschüsse, niedrige Zinsen sowie starke Wirtschaft und Institutionen.

Gleichzeitig warnte Moody’s, dass Japan seine Wachstumsziele sowie seinen Haushaltssanierungsplan verfehlen könnte. Das Urteil: Die wichtigste Herausforderung sei, die Schulden nachhaltig zu stabilisieren. Und dies hinge davon ab, dass Japans Wirtschaft wachse, während gleichzeitig die Preise steigen und die Zinsen für den Schuldendienst stabil bleiben müssten. Allen Entwarnungen zum Trotz wird es daher zunehmend spannend, wie lange Japans Regierung eine ernsthafte Sanierung des Staatshaushalts noch hinausschieben kann.

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