Je suis Charlie – ein Jahr danach Angst, Zwist und Mitarbeiternöte

Charlie Hebdo ist nach den Anschlägen zum Symbol der Meinungsfreiheit geworden. Die Zeitschrift steigerte ihre Auflage rasant und hat keine Geldnöte mehr. Dafür plagen Charlie Hebdo und ihre Mitarbeiter andere Sorgen.

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„Ein Jahr danach – der Mörder läuft noch immer frei umher.“ So lautet der Titel der ersten Jubiläumsausgabe zu den Anschlägen auf das Satiremagazin Charlie Hebdo. Quelle: AFP

Paris „Je suis Charlie“ - der Satz ging vor einem Jahr um die Welt und wurde zum Symbol für Meinungsfreiheit. Franzosen und Politiker aus dem Ausland nahmen an einem großen Friedensmarsch in Paris teil. Es sollte ein Symbol der Stärke sein und ein Zeichen gegen den Terrorismus setzen. Die kleine - und vorher im Ausland unbekannte - Satirezeitschrift Charlie Hebdo, die Religionen und Institutionen auf die Schippe nimmt, wurde zum Inbegriff der Meinungsfreiheit nicht nur in Frankreich, sondern in der ganzen Welt.

Vor den Anschlägen hatte Charlie Hebdo mit einer sinkenden Nachfrage gekämpft. Die Auflage lag bei gerade einmal 30.000 Exemplare, die Zeitschrift galt als altmodisch - dem Stil der 70er Jahre verhaftet. Zeichner Charb hatte einen Monat vor dem Anschlag sogar eine Petition lanciert und um Unterstützung gebeten.

Charb starb wie andere der bekannten Zeichner. Die Überlebenden brauchten viel Kraft, um weiter jeden Mittwoch 16 Satire-Seiten zu füllen.

Der Horror war immer präsent, viele hatten die Leichen der Kollegen gesehen. „Zwischen psychologischen Therapiesitzungen kämpfte die Redaktion um ihr Überleben“, erzählte Chefredakteur Gérard Biard. Nicht aufgeben hieß die Devise. Nach dem Anschlag fand der Verlag erst in den Büros der befreundeten Tagezeitung „Liberation“ Unterschlupf, die scharf bewacht wurde. Seit einiger Zeit hat Charlie Hebdo wieder eigene Büroräume, die aber geheim gehalten werden.

Die erste Ausgabe nach dem Anschlag am 14. Januar 2015 war sensationell hoch: Sie lag bei acht Millionen Exemplaren. Geldsorgen hat Charlie Hebdo daher nicht mehr, die Gewinne sind hoch. Die Zeitschrift bekam außerdem insgesamt Spenden in Höhe von vier Millionen Euro, aus dem In- und Ausland. Das Magazin gab die Gelder dem französischen Staat, damit dieser sie an die Opfer verteilt.

Die Zahl der Abonnenten stieg von vorher 8000 auf 270.000 und ging dann wieder auf 180.000 zurück, zusätzlich am Kiosk verkauft werden 100.000. Insgesamt verfügt die Zeitschrift nun über ein Finanzpolster von 20 Millionen Euro. Doch die Millionen waren nicht nur ein Segen, es kam zu einem Zwist in der Redaktion. Einige Mitarbeiter verlangten mehr Mitspracherechte.

Sie fürchteten, dass sich die Aktionäre, darunter Zeichner Riss und Finanzdirektor Eric Portheault, das Geld in die Tasche stecken könnten, wie es schon mal passiert ist, als Charlie Hebdo nach einem spektakulären Islam-Titel im Jahr 2006 plötzlich viel Geld in der Kasse hatte. Karikaturist Luz verließ das ohnehin schon geschwächte Blatt.

Nach dem Tod der prominenten Zeichner fehlen Charlie Hebdo nun große Talente. Häufig kommt es zu Kritik an Karikaturen, wenngleich sie noch immer für Aufsehen sorgen. Der Vatikan kritisierte das Titelbild der Jubiläumsausgabe, die mit einer Auflage von einer Millionen Exemplare herauskam und forderte mehr Respekt für Religionen. Auf dem Cover steht „Ein Jahr danach: Der Mörder läuft noch“ . Darunter ist eine Gottesfigur mit Bart, Kalaschnikow und Blutspuren zu sehen. Auch muslimische Organisationen waren über die Titelseite empört.


„Wir müssen vorübergehend auf gewisse Freiheiten verzichten“

Die Mitarbeiter von Charlie Hebdo sind sich bewusst, welches Risiko sie jeden Tag eingehen und fühlen sich allein gelassen. „Dieses Symbol tragen wir allein. Es bringt uns in Gefahr in einer Welt, in der Meinungsfreiheit zu Terrorismus führt“, betonte Journalist Laurent Léger. Weltweit machte nicht nur der Slogan „Je suis Charlie“ die Runde, international wurde auch debattiert, ob Kritik an Religionen zulässig ist.

Der Kritik trotzt nun das kleine Team von rund 20 Leuten in ihrem Höchstsicherheitstrakt mit unbekannter Adresse, der in Frankreich schon „Fort Knox“ genannt wird. In der Atmosphäre lässt es sich nur noch schwer scherzen. „Die Sicherheitsbedingungen für Charlie sind sicher nötig, aber unerträglich“, klagte Léger.

Die Parier Anschläge am 13. November waren ein weiterer emotionaler Rückschlag für die Mitarbeiter von Charlie Hebdo. Alte Erinnerungen und Ängste kamen wieder hoch. Viele junge Zeichner fürchten sich vor einer Zusammenarbeit mit der Satirezeitschrift. Derzeit gibt es nur fünf Zeichner, zwei oder drei zusätzliche werden aber gebraucht. „Aber wir geben nicht auf, damit unsere Kollegen nicht umsonst gestorben sind“, betonte Portheault. Bald soll Charlie Hebdo auch in Frankreichs Schulklassen ein Thema sein. Die Redaktion hat ein Konzept ausgearbeitet, um über Terrorismus und Meinungsfreiheit zu diskutieren.

Nach den Anschlägen vom 13. November ist ganz Frankreich betroffen. Das Land hat einen Teil seiner „Liberté“ und Leichtigkeit verloren. Der Schock sitzt tiefer als bei Charlie Hebdo. Die Franzosen sind eingeschüchtert und sich bewusst, dass es nun jeden treffen kann, nicht mehr nur Journalisten wie von Charlie Hebdo, die sich über den Propheten Mohammed lustig machen.

Die Folgen der Terroranschläge sind überall zu spüren. Der Ausnahmezustand wurde zunächst auf drei Monate verlängert, er erlaubt unter anderem schneller Hausdurchsuchungen, Ausgangssperren und ein Verbot von Versammlungen. Die Regierung wünscht auch eine Verfassungsänderung dazu und will Terroristen mit doppelter Staatsbürgerschaft die französische Nationalität entziehen.

Zeitweilig wurde sogar erwogen, sogar Franzosen, die nur Staatsbürgerschaft haben, die Nationalität zu entziehen - so dass sie staatenlos wären. Die verschärften Sicherheitsmaßnahmen sind in Frankreich kritisiert worden. Doch Hollande betonte: „Wir müssen vorübergehend auf gewisse Freiheiten verzichten, aber nur, um unsere Freiheit vollständig und dauerhaft wieder zu erlangen.“ 

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