Jemen Arm, ausgegrenzt, „Muhammaschin“

Sie leben in Slums, betteln oder arbeiten als Straßenkehrer: Dunkelhäutige Jemeniten. Sie nennen sich wegen der Diskriminierung selbst die „Ausgegrenzten“. In Jemens Krieg sind sie vollends zwischen die Fronten geraten.

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Unicef geht von 2,6 Millionen „Muhammaschin“ – „Ausgegrenzten“ – im Jemen aus. Quelle: AP

Sanaa Sie sind angeblich die Nachfahren äthiopischer Soldaten, die im sechsten Jahrhundert im heutigen Jemen einmarschierten. Doch historisch ist unklar, woher die sogenannten Muhammaschin kommen, ebenso wie die Anzahl von ihnen, die in dem vorderasiatischen Staat lebt. Schätzungen reichen von 500.000 bis drei Millionen, Unicef geht von 2,6 Millionen „Muhammaschin“ im Jemen aus. Klar ist aber, dass die dunkelhäutigen Menschen seit jeher diskriminiert werden, ihnen der Zugang zu Bildungs- und Gesundheitssystemen verwehrt wird. Im Krieg sind sie nun vollends zwischen die Fronten geraten.

Die „Muhammaschin“ oder die „Ausgegrenzten“, wie sie sich selbst nennen, verdienen ihr Geld in der Regel mit Hilfstätigkeiten, bei der Müllabfuhr zum Beispiel, als Schuhputzer oder Straßenkehrer. Viele betteln auch. Von anderen Jemeniten werden sie traditionell als „Achdam“ oder „Diener“ bezeichnet. Sie leben in Slums außerhalb der großen Städte und sind immer wieder Rassismus ausgesetzt. Der Krieg zwischen der von Saudi-Arabien gestützten Regierung und den vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen, die die Wiedereinsetzung des früheren, abgesetzten Präsidenten fordern, hat ihre Situation weiter verschlimmert. Denn anders als andere Jemeniten kommen sie kaum in den Genuss von Hilfe. Viele „Muhammaschin“ sind auf der Flucht; örtliche Hilfsorganisationen, so berichten sie, ignorierten sie.

„Wir sind nackt. Wir haben nichts mehr“, sagt Hussna Mohammed, die in den Überresten ihrer Unterkunft in einem Slum in der westjemenitischen Stadt Tais steht. Eine Granate, so erzählt sie, sei in der Nachbarschaft eingeschlagen, das Feuer habe auf ihre Hütte übergegriffen. Der 20-jährige Walid Abdullah sagt, sein Bezirk sei früh im Krieg unter Beschuss geraten. Alle 200 Familien seien in einen andere Stadt in der Provinz Tais geflüchtet, hätten nach Luftangriffen aber auch dort wieder fliehen müssen. Jetzt lebt er in Sanaa. Seine einzige Einkommensquelle – ein Motorrad, das er vermietete – ist verloren gegangen. „Jetzt habe ich nichts mehr.“

Die Kämpfe im Jemen kosteten im vergangenen Jahr etwa 9000 Menschen das Leben, mehr als 2,4 Millionen sind auf der Flucht. Wie viele davon „Muhammaschin“ sind, ist nicht bekannt. Eine Menschenrechtsgruppe, die Jemenitische Organisation gegen Diskriminierung, hat insgesamt 300 Todesopfer in den Reihen der „Ausgegrenzten“ registriert. Die Zahl sei aber vermutlich deutlich höher, erklärt Jahia Said, Vorsitzender der Gruppe.

Said, selbst ein „Muhammaschin“, erzählt, wie einer seiner Lehrer im Schulunterricht die Dunkelhäutigen im Jemen als Nachfahren derjenigen angeklagt habe, die vor Jahrhunderten versucht hätten, die Kaaba in Mekka - das zentrale Heiligtum des Islams -, zu zerstören. „Stellen Sie sich vor, wie mich 70 Mitschüler verachtungsvoll angeschaut haben“, berichtet er. Andere Jemeniten bezeichnen die „Ausgegrenzten“ als unrein; sie werden nach Aussage von Aktivisten häufig belästigt und missbraucht.

Im Jahr 2014 untersuchte Unicef die Situation von mehr als 9000 Familien der „Muhammaschin“ in Tais. Die Uno-Organisation fand heraus, dass die Armut extrem groß war und deutlich höher als im nationalen Durchschnitt. Nur die Hälfte der Kinder ging zur Schule; 80 Prozent der Erwachsenen und 52 Prozent der Zehn- bis 14-Jährigen konnten nicht lesen und schreiben. Buthaina al-Irjani von Unicef sagt, dass die Behörde den Hilfebedürftigen Geld gebe. Dies sei aber, räumt sie ein, ein Tropfen auf den heißen Stein.

Aktivisten beklagen, dass ein Großteil der Unterstützung von außen an ihnen vorbeigehe. Hilfsgüter würden von örtlichen Einrichtungen verteilt, die sie ignorierten. Selbst Decken würden sie nicht bekommen, sagt Misk al-Makmari. In Krankenhäusern würden „Muhammaschin“, die bei Kämpfen verletzt worden seien, oft abgewiesen. „Als ob sie Tiere wären“, sagt sie. „Aber selbst Tiere haben Rechte.“

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