Hanneke Schuitemaker, Jahrgang 1964, ist beim US-Konzern Johnson & Johnson für die Entdeckung neuer Impfstoffe verantwortlich. Die Virologin, die in Leiden (Niederlande) forscht, erwarb sich ihre Meriten bereits durch die Entwicklung eines Ebola-Impfstoffs. Am 11. März hat die Europäische Union einen Corona-Impfstoff von Johnson & Johnson zugelassen, der ebenfalls maßgeblich unter der Regie von Schuitemaker entstand.
WirtschaftsWoche: Frau Schuitemaker, der Impfstoff von Johnson & Johnson senkt das Risiko, an Corona zu erkranken, im Schnitt um 66 Prozent. Biontech und Moderna liegen bei über 90 Prozent; AstraZeneca bei 70 Prozent. Viele Deutsche haben schon eine Impfung mit AstraZeneca abgelehnt, wegen angeblich zu geringer Wirksamkeit. Droht Johnson & Johnson jetzt Ähnliches?
Hanneke Schuitemaker: Als wir erfuhren, dass die durchschnittliche Wirksamkeit bei 66 Prozent liegt, haben wir auch erstmal gestutzt. Natürlich könnte es mehr sein. Aber ich bin überzeugt, dass wir ein sehr gutes Produkt haben. Sie müssen unseren Impfstoff nur einmal spritzen und können ihn bei normalen Kühlschrank-Temperaturen lagern. Bei schweren Corona-Verläufen liegt die Wirksamkeit bei 85 Prozent. Und bei unseren umfangreichen Tests mit Zehntausenden Probanden, musste keiner der Geimpften ins Krankenhaus; es gab auch keine Todesfälle. Außerdem lässt sich unsere Studie nur bedingt mit denen der anderen Hersteller vergleichen. Denn als wir, unter anderem in Brasilien und Südafrika, getestet haben, traten bereits gehäuft Mutationen auf. Das war bei den Studien von Biontech/Pfizer, Moderna und AstraZeneca, die jeweils früher stattfanden, noch nicht der Fall.
Wie wirkt denn ihr Impfstoff gegen die neuen Mutationen?
Nach unseren vorläufigen Ergebnissen erreicht unser Impfstoff in Südafrika eine Wirksamkeit von 64 Prozent. Dort ist naturgemäß die südafrikanische Variante zu 90 Prozent verbreitet. Auch in Brasilien deuten Daten darauf hin, dass der Impfstoff gut wirkt.
AstraZeneca wurde anfangs stark kritisiert, weil in die Studien nur wenige ältere Menschen einbezogen wurden. Wieviel über 60-Jährige hat denn Johnson & Johnson getestet?
Wir hatten insgesamt 43.500 Probanden, die wir in acht Ländern untersucht haben, unter anderem in den USA, Südafrika und Brasilien. Das ist die bislang umfangreichste Studie zu einem Corona-Impfstoff. 34 Prozent der von uns untersuchten Probanden waren älter als 60 Jahre. Wir haben die Gruppe der Älteren also sehr umfassend untersucht. Unsere Daten zeigen, dass der Wirkstoff bei Älteren ähnlich wirksam ist wie bei Jüngeren.
Die Frage ist dann auch noch, wie lange der Impfschutz bestehen bleibt...
Nach den bisherigen Daten bleibt die Zahl der gebildeten Antikörper über sechs Monate stabil. Länger als ein halbes Jahr konnten wir bislang noch keinen Patienten beobachten. Daher lassen sich noch keine weitergehenden Aussagen treffen.
Johnson & Johnson will seinen Impfstoff erst ab Mitte April an die EU ausliefern. Das sind noch mindestens vier Wochen. Warum dauert das so lange?
Also, ich finde ja, dass wir mit der Entwicklung unseres Impfstoffs, die erst Anfang 2020 begonnen hat, sehr schnell vorangekommen sind. Es war immer unser Plan, dass wir im zweiten Quartal 2021 an die EU liefern, daran hat sich nichts geändert. Wir sind aber mit unseren klinischen Studien schneller als erwartet vorangekommen. Wir haben die Zulassung für die EU früher als gedacht erhalten. Produktion und Logistik brauchen nun noch einige Wochen. Sie müssen nicht glauben, dass wir auf einem Berg von Impfstoffen sitzen, die wir nicht ausliefern wollen. Was wir produzieren, werden wir schnellstmöglich ausliefern.
Wie sich die Corona-Impfstoffe unterscheiden
Forscher liefern sich weltweit ein Wettrennen um wirksame Impfstoffe gegen Covid-19. Alle Impfstoffkandidaten basieren auf demselben Grundprinzip: Dem Abwehrsystem des Körpers werden Teile des Coronavirus präsentiert (Antigene), auf die die Immunzellen eine Antwort (Antikörper) herausbilden und so eine Immunität gegenüber dem Krankheitserreger aufbauen.
Dabei gibt es ganz unterschiedliche Herangehensweisen, etwa, welche Antigen-Teile dem Immunsystem wie präsentiert werden. Hier stehen derzeit zwei Entwicklungslinien im Fokus:
- Impfstoffe mit Vektorviren, das bedeutet so viel wie "Träger-Viren"
- und die neuartigen mRNA-Impfstoffe.
Stand: 11. Mai 2021
mRNA-Impfstoffe enthalten Abschnitte aus dem Erbgut des Coronavirus, die sogenannte messenger-RNA (kurz mRNA), die auch als Boten-RNA bezeichnet wird. Hiervon wird eine sehr geringe Menge dem Menschen in den Muskel injiziert. Die Körperzellen nehmen die Partikel auf und entschlüsseln die enthaltene Erbinformation. Kurzzeitig produzieren sie ein sogenanntes Spike-Protein, das an der Oberfläche des Coronavirus sitzt. Es macht vereinfacht gesagt dem Immunsystem deutlich, dass hier etwas Körperfremdes zu finden ist, das es unschädlich zu machen gilt. Für dieses Oberflächenprotein bildet das Abwehrsystem also Antikörper, die es ihm bei einer späteren Infektion mit dem Coronavirus ermöglichen, den Eindringling schnell zu erkennen und sofort eine Immunantwort parat zu haben.
Studien haben gezeigt, dass hiervon keine Gefahr für den menschlichen Körper ausgeht. Die eingeschleusten Erbgut-Teilchen werden innerhalb kurzer Zeit von den menschlichen Zellen abgebaut. Sie werden nicht in die menschliche DNA eingebaut. Sobald die mRNA des Impfstoffs abgebaut ist, findet keine weitere Produktion des Antigens statt.
Die mRNA-Impfstoffe können innerhalb weniger Wochen in sehr großen Mengen hergestellt werden. Sie bringen jedoch die Herausforderung mit sich, dass sie nach derzeitigem Forschungs- und Entwicklungsstand bei extrem niedrigen Temperaturen transportiert und dauerhaft gelagert werden müssen (-20 bis -80 Grad Celsius). Deshalb werden sie vorrangig in speziell dafür ausgerüsteten Impfzentren verabreicht. Hier soll der Moderna-Impfstoff allerdings einen Vorteil haben: Laut dem Hersteller kann er bis zu 12 Stunden bei Raumtemperatur und 30 Tage im Kühlschrank (2 bis 8°C) gelagert werden.
Für vektorbasierte Impfstoffe werden für Menschen harmlose Viren als kleine Transporter zweckentfremdet – sozusagen als trojanisches Pferd. Die Viren werden so verändert, dass sie in ihrem Erbgut auch den Bauplan für einen oder mehrere Bestandteile (Antigene) desjenigen Erregers enthalten, gegen den eine Immunität (Antikörper) aufgebaut werden soll. Das Prinzip ist immer das gleiche: Die menschlichen Zellen sollen auch hier Teile des Spike-Proteins des Coronavirus herstellen, damit das Immunsystem "weiß", wen es angreifen soll.
Auch hier werden die Viren-Erbinformationen nicht in die menschliche DNA eingebaut. Nach dem Abbau der von den Vektorviren übertragenen Erbinformation findet keine weitere Produktion des Antigens statt.
Vektorimpfstoffe wurden bereits zugelassen (zum Beispiel Ebola-Impfstoffe). Die Corona-Impfstoffe der Firmen AstraZeneca und Johnson & Johnson (J&J) sind Vektorimpfstoffe. Diese haben gegenüber den mRNA-Impfstoffen den Vorteil, dass sie bei Temperaturen von 2 bis 8 Grad Celsius transportiert und gelagert werden können. Das macht ihren Einsatz in normalen Hausarztpraxen simpler. Das J&J-Präparat hat zudem den Vorteil, dass es nur einmal verabreicht werden muss. Die drei anderen bislang in Deutschland zugelassenen Corona-Impfstoffe (von AstraZeneca, Biontech/Pfizer und Moderna) müssen zwei Mal gespritzt werden.
Quelle: RKI, eigene Recherche
Johnson & Johnson produziert seinen Impfstoff neben den Niederlanden auch in den USA. Dauert die Auslieferung nach Europa deshalb so lange, weil es in den USA ein Exportverbot für Impfstoffe gibt?
Das kann ich nicht bestätigen. Wir sind auch sehr dankbar, dass uns der US-Konzern Merck & Co. bei der Herstellung unterstützt. Der Punkt ist, wie eben gesagt, dass wir die Produktions- und Logistikkapazitäten noch ausbauen müssen. Ich verstehe natürlich die Ungeduld der Menschen. Jeder würde sich am liebsten schnell impfen lassen. Ich selbst bin auch noch nicht geimpft.
Und mit wieviel Impfdosen darf die EU nun rechnen?
Wir stehen zu unserem Wort, dass wir in diesem Jahr 200 Millionen Impfdosen an die EU liefern werden. Und damit werden wir in der zweiten Aprilhälfte beginnen.
Sie haben bereits an der Entwicklung eines Impfstoffs gegen Ebola mitgearbeitet, der seit dem vergangenen Jahr zugelassen ist. Was haben Sie daraus für die Arbeit am Corona-Vakzin gelernt?
Eine Menge. Wir haben die gleiche Technologie genutzt; es handelt sich in beiden Fällen um einen sogenannten Vektor-Impfstoff. Etliche Daten aus der frühen Entwicklungsphase des Ebola-Impfstoffs, etwa zu Wirksamkeit und Sicherheit, konnten wir für die Arbeit am Corona-Vakzin verwenden.
Haben Sie nach der Zulassung des Corona-Impfstoffs durch die EU gestern eigentlich gefeiert?
Nein, wir sind ja alle im Home Office, da hat sich das nicht ergeben. Ich habe ein Glas Wein getrunken und mich eine halbe Stunde entspannt. Aber es ist ja auch noch nicht vorbei, es gibt noch viel zu tun. Als nächstes werden wir etwa genauer untersuchen, wie unser Impfstoff bei schwangeren Frauen wirkt.
Mehr zum Thema: Der Corona-Impfstoff des US-Herstellers Johnson & Johnson ist nun in der EU zugelassen. Gegenüber seinen Konkurrenten kann J&J einige Vorteile aufweisen.