Jugendarbeitslosigkeit Die verlorene Generation

Die Jugendarbeitslosigkeit ist immer noch deutlich höher als vor der Finanzkrise, zeigen Daten der OECD. Vor allem in Südeuropa regiert immer noch die Perspektivlosigkeit – mit katastrophalen Auswirkungen.

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Vor allem in Südeuropa sind die Arbeitslosenquoten weiter hoch. Quelle: dpa

Berlin Auch acht Jahre nach dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers leidet vor allem die Jugend weiter unter den Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise. In den 35 in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zusammengeschlossenen Industrieländern leben heute 40 Millionen Jugendliche, die keine Arbeit haben, sich aber auch nicht in Ausbildung oder Trainingsmaßnahmen befinden.

Im OECD-Schnitt liegt die Quote dieser perspektivlosen Jugendlichen an den 15- bis 29-Jährigen immer noch 1,1 Prozentpunkte über dem Vorkrisenniveau, wie die Industrieländerorganisation am Mittwoch mitteilte. In den besonders von der Finanz- und Eurokrise betroffenen Staaten Griechenland, Spanien und Italien sind es sogar sieben bis acht Prozentpunkte.

Die Zahlen bestätigen Befürchtungen, dass in vielen Ländern Europas eine „verlorene Generation“ heranwächst. So hatten die EU-Staaten aus Sorge, dass Jugendliche in Folge der Finanzkrise dauerhaft abgehängt werden könnten, im Sommer 2013 eine „Jugendgarantie“ verabschiedet. Sie gibt als Ziel vor, jedem Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren spätestens vier Monate nach Ende der Schule oder dem Jobverlust eine Stelle, einen Ausbildungsplatz oder zumindest ein Praktikum anzubieten. Im EU-Haushalt sind für das Programm bis 2020 insgesamt 6,4 Milliarden Euro eingeplant. Bisher zeigt die Initiative aber noch keinen durschlagenden Erfolg, auch weil sich die Staaten sehr unterschiedlich engagieren und zum Teil bürokratische Programme aufgelegt haben.

Die OECD mahnt deshalb zusätzliche Anstrengungen an, Jugendliche in Arbeit zu bringen und zu qualifizieren: „Langfristig können Arbeitslosigkeit und Inaktivität zu Isolation und Rückzug aus der Gesellschaft führen und den sozialen Zusammenhalt gefährden“, schreibt die Organisation im Vorwort ihres neuen Berichts „Society at a glance“. Regierungen stünden deshalb vor der großen Herausforderung, in den nächsten Jahren Jugendliche mit den nötigen Qualifikationen auszustatten und weiter bestehende Hürden für Bildung und Beschäftigung abzubauen.

Deutschland steht dabei im Industrieländervergleich allerdings sehr gut da. In OECD-Schnitt liegt der Anteil junger Menschen, die nicht in Arbeit oder Ausbildung sind, bei 14,6 Prozent liegt, hierzulande nur bei 8,8 Prozent. Die Beschäftigungsquote in der Altersgruppe der 15- bis 29-Jährigen ist in Deutschland seit 2005 um sechs Prozentpunkte gestiegen, während sie im OECD-Schnitt in ähnlicher Größenordnung gesunken ist. Das deutsche Jobwunder macht also auch vor der Jugend nicht halt.


Mehr Bildungsanstrengungen angemahnt

Trotz dieser Erfolge mahnt die Industrieländerorganisation aber weitere Bildungsanstrengungen auch in Deutschland an. So verfügen 1,3 Millionen oder gut jeder Achte der 25- bis 34-Jährigen nicht über einen Abschluss der Sekundarstufe II, also Abitur oder eine Berufsausbildung. Die Quote von 13 Prozent liegt zwar unter dem OECD-Schnitt (16,7 Prozent), aber über den Werten der Nachbarländer Österreich (10 Prozent) und Schweiz (9 Prozent) oder der USA (9 Prozent).

Bedenklich ist der Rückstand aus Sicht der OECD-Forscher vor allem deshalb, weil Jugendliche ohne höhere Bildung es auf dem Arbeitsmarkt schwerer haben. Von den jungen Männern ohne Abschluss der Sekundarstufe II haben nur zwei Drittel eine Beschäftigung – bei den höher Gebildeten sind es 86 Prozent. Auch bei den Frauen liegt die Beschäftigungsquote derer mit Abitur oder Berufsabschluss um ein Fünftel höher. Junge Menschen ohne Abschluss der Sekundarstufe II sind zudem dreimal so oft von Armut betroffen wie die höher Gebildeten. Allerdings sind die Armutsquoten der frühen Schulabgänger hierzulande deutlich niedriger als in den meisten OECD-Staaten.

Obwohl das Vorkrisenniveau bei der Beschäftigung noch nicht wieder erreicht ist, können aber auch die anderen europäischen Länder Erfolge im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit verzeichnen. Nach Angaben des Europäischen Statistikamtes Eurostat sind in der EU heute 1,4 Million junge Menschen weniger arbeitslos als vor drei Jahren. Die Jugendarbeitslosenquote ist zwischen dem ersten Quartal 2013 und dem ersten Quartal 2016 von 24,4 auf 18,9 Prozent gesunken. „Unsere Anstrengungen tragen Früchte“, sagte EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen am Dienstag in Straßburg. Im Rahmen der Jugendgarantie hätten seit 2014 neun Millionen junge Menschen in Europa ein Job- oder Bildungsangebot angenommen. Die entsprechenden Programme haben laut Thyssen zu einem Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit beigetragen – allerdings gemeinsam mit einer besseren Wirtschaftslage.

Gerade in den besonders stark unter der Euro-Krise leidenden Ländern Südeuropas ist die Quote aber weiter hoch. In Griechenland liegt sie immer noch bei knapp 48 Prozent, in Spanien bei 43 Prozent und in Italien bei 39 Prozent. Die Brüsseler Kommission hat deshalb vorgeschlagen, die Mittel für die Jugendgarantie, die von den Mitgliedstaaten kofinanziert werden müssen, um weitere zwei Milliarden Euro aufzustocken. Nach dem EU-Gipfel von Bratislava im September hatte der deutsche Europa-Staatsminister Michael Roth größere Anstrengungen angemahnt. Die immer noch hohe Jugendarbeitslosigkeit untergrabe das Vertrauen in die EU. „Das heißt: Junge Menschen brauchen Jobs und sie brauchen neue Perspektiven“, sagte Roth.               

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