Juncker, Hollande und Valls Spitzenpolitiker begraben das föderale Europa

Zum 20. Jahrestag der Jacques-Delors-Stiftung hacken Frankreichs Staatspräsident und sein Premier auf der Formel der „Vereinigten Staaten von Europa“ rum. Auch der EU-Kommissionspräsident stimmt mit ein.

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Der Präsident hat kaum noch Chancen, wiedergewählt zu werden. Sein Premier präsentiert sich nun als Mann, der das Zeug zum Präsidenten hat. Quelle: Reuters

Paris Von Francis Fukuyamas These eines „Ende der Geschichte“ haben wir uns verabschiedet. Aber in Europa ist die Entwicklung doch an einen Endpunkt gekommen, wenn es nach drei wichtigen europäischen Politikern geht. Frankreichs Staatspräsident François Hollande, sein Premier Manuel Valls und Jean-Claude Juncker als Präsident der EU-Kommission beschworen am Donnerstag und Freitag alle, mit dem Nationalstaat hätten die Europäer die höchste Phase ihrer politischen Entwicklung erreicht. „Wir müssen die Vereinigten Staaten von Europa vergessen“, verlangte Juncker in Paris bei einer Konferenz aus Anlass des 20. Geburtstages der Stiftung von Jacques Delors. Die Menschen wollten und brauchten den Nationalstaat als Bezugsrahmen. Nur der gebe ihnen emotionale Sicherheit.

Der frühere Präsident der EU-Kommission konnte selber aus Gesundheitsgründen nicht teilnehmen. Bedauerlich, denn er hätte die eine oder andere Bemerkung der drei sicher gepfeffert kommentiert. Die EU müsse „die Legitimität der Nationalstaaten respektieren“, verlangte Hollande. Er blieb allerdings Beispiel dafür schuldig, dass sie das versäume. Delors habe von einer „Föderation der Nationalstaaten“ gesprochen, erinnerte Hollande, um die Bedeutung der Staaten hervorzuheben. Der andere Teil des Ausdrucks, nämlich Föderation, war ihm aber keine Beachtung wert. Am klarsten äußerte sich Valls: „Europa soll kein föderaler Staat werden“ und „Nein, wir wollen nicht die Vereinigten Staaten von Europa, ich glaube an die Nation, sie ist ein Schutz in der sich wandelnden Welt!“

Nun ist es keine riesige Überraschung, wenn ein französischer Politiker sich voller Emphase für den Nationalstaat ausspricht. Überraschend ist eher, mit welcher Heftigkeit ohne erkennbaren Anlass auf der Formel von den „Vereinigten Staaten von Europa“ herumgehackt wird. Vielleicht erklären die herannahenden Präsidentschaftswahlen und die Stärke der europafeindlichen Front National in Frankreich das Bemühen, sich in den warmen Mantel des Nationalstaates zu hüllen. Dabei vergaßen alle drei Politiker, das gerade aktuell viele Menschen in Europa dieses Gebilde überhaupt nicht mehr als ihr Zuhause anerkennen: In Spanien wollen viele Katalanen und Basken raus aus dem spanischen Staat, die Schotten wollen sich aus Großbritannien lösen und die Korsen haben im Regionalparlament aktenkundig gemacht, dass ihnen Frankreich gestohlen bleiben kann. Andererseits ist es Konsens, dass die europäischen Nationalstaaten zu klein sind, um Schutz bieten zu können. Gerade weil unsere Kleinstaaten nicht mehr ausreichen, haben wir uns ja zusammengeschlossen.

Valls steuerte einige interessante Gedanken zum Thema der Konferenz „Die politische Zukunft der EU“ bei. Sie standen teilweise im klaren Gegensatz zu seiner Absage an ein föderales Europa. So forderte er „eine gemeinsame Verteidigung, die Fortschritte auf dem Weg dahin sind zu langsam.“ Währung und Armee machen aber nach den Worten von General de Gaulle den Nationalstaat aus – die Währung haben die Eurostaaten bereits zusammengelegt. Wenn man, wie Valls, nun auch noch die Verteidigung vergemeinschaften will, ist man auf dem besten Weg zu einem föderalen Europa.

Als wichtige Orientierung für die EU nannte der Premier engere Beziehungen zum Mittelmeerraum und zu Afrika: „Ich kenne die Versuchung, nur nach Osten zu blicken, aber das Mittelmeer und Afrika sind unsere neuen Horizonte.“ Der Premier stellt die Frage: „Warum beschließen wir nicht ein Erasmus-Programm für Afrika?“ Es war die erste Europa-Rede von Valls überhaupt. Für gewöhnlich ist die Europapolitik exklusive Domäne des Präsidenten. Der hatte sich auch am Vorabend geäußert, allerdings mit einem Diskurs, der stellenweise etwas improvisiert wirkte. Valls Rede dagegen war zwar nicht frei von Widersprüchen, aber wohl durchdacht als sein Entwurf für eine künftige EU. Die brauche „Grenzen, weil es ohne ein Außen auch kein Innen gibt“. Die EU könne sich nicht ewig erweitern, gegenüber der Türkei müsse man „die Haltung der Scheinheiligkeit überwinden.“ Europa müsse den Willen beweisen, eine Macht in der Welt zu sein und seiner Stimme Gehör verschaffen.

Damit ist erkennbar, dass der Premier aus dem Schatten des Präsidenten treten will. Hollande hat kaum noch Chancen, wiedergewählt zu werden. Valls will sich auf jeden Fall als ein Mann präsentieren, der das Zeug zum Präsidenten hat.

Dazu gehört für ihn, anders als für Hollande, auch eine Dosis Konflikt mit Deutschland. Die deutsch-französische Partnerschaft sei für beide Länder unverzichtbar und für die EU notwendig, unterstrich der Premier, der in Barcelona geboren ist. Doch müssten Meinungsunterschiede offen ausgetragen werden. Dabei erinnerte er an seine Kritik an der deutschen Flüchtlingspolitik, die er im Februar in München vorgetragen hatte – und erneuerte sie indirekt. Außerdem stellte er Forderungen an die Bundesregierung: „Frankreich senkt sein Defizit und hat schwierige Reformen begonnen, nun müssen auch die Überschussländer ihr Teil beitragen.“ Die von Merkel in Aussicht gestellte Steuersenkung sei gut, aber Deutschland müsse auch dem Vorschlag zustimmen, „dass die EU sich selber verschulden kann.“

Die britische Regierung kritisierten alle drei Politiker. Hollande warf ihr vor, sie wolle die Industrie auf dem Kontinent als eine Art Lobby instrumentalisieren, um möglichst vorteilhafte Bedingungen beim Brexit aushandeln zu können. Dem hielt er die Aufforderung entgegen, die EU müsse „mit Festigkeit“ auf die britische Regierung antworten. „Wenn wir nicht entschlossen reagieren, werden andere folgen wollen“, warnte Hollande. Die Briten könnten nicht austreten, aber alle Vorteile der Mitgliedschaft behalten: „Es muss eine Drohung, es muss ein Risiko und einen Preis geben“ unterstricht der Präsident mit einer Härte, die er öffentlich so klar noch nicht formuliert hat.

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