Junckers Rede zur Lage der EU Mister Europa im Formtief

Eigentlich ist Jean-Claude Juncker ein leidenschaftlicher Europäer. Seine Rede zur Lage der EU nach dem Brexit-Votum der Briten wirkte aber seltsam uninspiriert. Hat Mister Europa den Kampfgeist verloren? Ein Kommentar.

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Der Kommissionspräsident erreicht viele Menschen nicht mehr. Quelle: AFP

„Die EU ist zurzeit nicht in Topform“: Mit diesen Worten hat Jean-Claude Juncker seine Rede zur Lage der Union vor dem Europaparlament eingeleitet, gleichzeitig beschreiben sie treffend den Auftritt des Kommissionspräsidenten selbst. Mister Europa scheint nicht gerade in Hochform zu sein.

Juncker, eigentlich ein leidenschaftlicher Europäer, sprach seltsam uninspiriert. Die EU befindet sich in der Krise, wie er selbst bekannte, aber ihrem wichtigsten Protagonisten scheint der Kampfeswille abhandengekommen zu sein.

Nicht, dass es seiner 50-minütigen Rede an Ankündigungen gemangelt hätte. Mehr Investitionen, mehr schnelles Internet, mehr Grenzschutz, mehr Verteidigungszusammenarbeit: Juncker breitete eine ganz Palette von Initiativen für die kommenden zwölf Monate aus, die nach seinen Worten entscheidend sein werden für den Zusammenhalt der Gemeinschaft.

Das ist schon eine Menge. Aber es ist nicht genug. Juncker entwirft weder eine Vision für die Gemeinschaft, noch lässt er sie greifbar werden für die Menschen. Der Kommissionspräsident beteuert, er spreche täglich mit den Bürgern. Aber ihre Wünsche und Anliegen zu transportieren, gelingt ihm nicht.

Pragmatismus statt Emotion, kleine Schritte statt großer Worte: Junckers Rede erinnert im Stil stark an die Regierungserklärungen der Bundeskanzlerin. Und beide haben noch etwas gemein: Sie erreichen viele Menschen nicht mehr.

Den richtigen Ton trifft derzeit ein anderer: Donald Tusk, der Präsident des Europäischen Rates. Der Pole spricht die Probleme viel schonungsloser an: Das „Chaos“ während der Flüchtlingskrise im vergangenen Jahr und die zu langsame Reaktion darauf hätten das Vertrauen in die Institutionen weiter beschädigt, so Tusk. Vertrauen, das bereits durch die Finanzkrise gelitten habe. Das Brexit-Votum nur als Werk populistischer Scharlatane abzutun, warnt er, wäre ein „tödlicher Fehler“.

Klare Worte sind nötig, ohne gleich in Populismus zu verfallen. Die europäische Gemeinschaft läuft wie viele der nationalen Gesellschaften Gefahr sich zu spalten: in jene, die weiter ein liberales, weltoffenes Europa wollen und jene, die angesichts der Bedrohungen und Unübersichtlichkeiten mehr Grenzen setzen wollen.

Die politische Herkulesaufgabe wird sein, Brücken zwischen diesen beiden Lagern zu bauen. Tusk scheint dazu eher in der Lage zu sein als Juncker oder Merkel.

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