Justizreform in Polen „Wacht endlich auf“

Eine umstrittene Reform droht die Gewaltenteilung in Polen aufzuheben. Sie ermächtigt den Justizminister des EU-Landes dazu, leitende Richter ohne Gründer auszutauschen. Ausländische Investoren sind verunsichert.

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Die Justiz in Polen ist wie in vielen anderen Ländern Osteuropas auch ein Sorgenkind der EU. Quelle: Reuters

Wien/Berlin In den sozialen Netzen tobt die Wut über Polens rechtspopulistische Regierung und ihre umstrittene Justizreform. „Es sind nicht die Gerichte, die Polens Gesellschaft teilen, sondern eure kranke Partei und eure Wähler“, schreibt beispielsweise Krystian Brzozowski auf Facebook. „Bei der ersten Gelegenheit werde ich mich aus dem Staub machen“, kündigt Daniel Drzewinski an. Wacht endlich auf. Die Jungen sind bereits auf die Straße gegangen. Ihnen gehört die Zukunft Polens“, fordert Krystian Bartosinski im Netz. Doch der Protest bleibt ungehört.

Am Samstag ist ein wichtiger Teil der auch von der EU heftig kritisierten Justizreform in Kraft getreten. Für die in Warschau regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ist das ein weiterer Meilenstein bei der Unterwerfung der Justiz. Das neue Gesetz der nationalkonservativen Regierung ermöglicht, dass der Justizminister des EU-Landes künftig alle leitenden Richter an den gewöhnlichen Gerichten einschließlich der Berufungsgerichte grundlos entlassen kann. Zudem kann er eigenständig einen eigenen Kandidaten einsetzen. Der amtierende Justizminister Zbigniew Ziobro kann so wichtige Posten mit eigenen Gefolgsleuten besetzen. Das Verhältnis zwischen Ziobro und PiS-Chef Jaroslav Kaczyński gilt auf Grund der langen Zusammenarbeit als sehr eng. „Er ist ein Gefolgsmann, der nur im Schatten von Kaczyński groß sein kann“, heißt es in politischen Kreisen in Warschau.

„Mit der Einführung der Justizreform beginnt in Polen das Ende unabhängiger Richter und Gerichte. Richter in Polen werden nun sehr genau beobachten müssen, welche Positionen der Justizminister vertritt“, sagte Małgorzata Gersdorf, Präsidentin des Obersten Gerichts in Warschau, der konservativen Zeitung „Rzeczpospolita“. Der Posener Richter Bartłomiej Przymusiński sieht ebenfalls die Unabhängigkeit der Justiz in Gefahr. Der Zeitung „Rzeczpospolita“ sagte er, dass die Richter in Polen zwar eine Justizreform gefordert hätten, allerdings erhofften sie sich von ihr eine Erleichterung ihrer Arbeit, um schneller Urteile aussprechen zu können. Diese Veränderung werde es nun nicht geben. Stattdessen werden die Gerichte nun Politikern untergeordnet.

Massenproteste gegen das in Kraft getretene Gesetz blieben am Samstag bislang aus. Das polnische Parlament ist bereits Ende Juli in Ferien gegangen. Zudem verbringen viele Polen ihren Urlaub am Meer, auf dem Land oder im Ausland.

Polens Präsident Andrzej Duda hatte im Juli zunächst nur einen Teil der Justizreform unterschrieben. Doch die Hoffnung der Kritik währte nicht lange – Duda unterzeichnete später auch den Teil der Justizreform, der am Samstag in Kraft getreten ist. Zuvor hatten bereits das Unterhaus (Sejm), das Oberhaus und der Senat grünes Licht gegeben.

Die EU-Kommission hatte angesichts des massiven Einflusses auf einzelne Richter und des Verstoßes gegen den international gültigen Grundsatzes von der Unabsetzbarkeit der Richter bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet. PiS-Chef Kaczyński gibt sich davon unbeeindruckt. Dabei könnte die Maßnahme Brüssels dazu führen, dass Polen ein Stimmrecht in der EU verliert.

Das drohende Ende der Gewaltenteilung sorgt unterdessen für Verunsicherung in der Wirtschaft. „Langfristig könnte die Justizreform auf Grund wachsender Rechtsunsicherheit ausländische Investoren abschrecken“, sagte ein politischer Analyst in Warschau dem Handelsblatt. „Die Justizreform wird zu mehr Rechtsunsicherheit in Polen führen. Die Gefahr zu politisch motivierten Gerichtsurteilen wird zunehmen. Das wird auch Folgen für die Investitionsbereitschaft ausländischer Unternehmen haben“, warnte ein anderer ausländische Experte.

Auch die Außenwirtschaftsagentur der Bundesrepublik, Germany Trade & Invest, die deutschen Unternehmen bei ihrem Weg ins Ausland hilft, ist alarmiert. „Die schnelle Änderung der steuerlichen und zum Teil auch juristischen Rahmenbedingungen sorgt für Verunsicherung. Eine schnelllebige Legislative ist für Polen zwar nicht untypisch. Allerdings waren die Änderungen selten so umfassend, tiefgreifend und vor allem plötzlich. Das macht die Investitionen sowohl ausländischer, als auch inländischer Unternehmen risikobehafteter“, sagt Michal Woznika, Direktor von Germany Trade & Invest in Polen.

Doch noch läuft die polnische Wirtschaft rund. Die auf Osteuropa spezialisierte Raiffeisen Bank International prognostiziert für Polen in diesem Jahr ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 3,8 Prozent. Damit wird das Land in Osteuropa beim Wachstum nur noch vom kleinen Slowenien mit 4,6 Prozent übertroffen. Erst Ende vergangenen Jahres hat Daimler entschieden, in Polen sein erstes Werk zu errichten. Der Stuttgarter Autoriese will eigenen Angaben zufolge rund eine halbe Milliarde Euro in die Motoproduktion in Jawor, das rund 70 Kilometer westlich von Breslau liegt, investieren. Der Standort Polen lockt viele deutsche Unternehmen. Grund dafür sind die niedrigen Löhne, der gute Ausbildungsstand, die verbesserte Infrastruktur und das gesunde Konsumklima. „Der Investor muss zwischen niedrigen Löhnen und einer mangelnden Rechtsstaatlichkeit abwägen“, sagt ein deutscher Analyst in Warschau, der anonym bleiben will.

Die Bundesregierung hält sich unterdessen mit Kritik am drohenden Ende der Gewaltenteilung im östlichen Nachbarland zurück. Sie bringe ihre Haltung vor allem über Brüssel zur Geltung, heißt es aus politischen Kreisen in Warschau. Die EU-Kommission macht seit Monaten massiven Druck auf Warschau – allerdings bislang vergeblich.

Die Justiz in Polen ist seit Jahren wie in vielen anderen Ländern Osteuropas ein großes Sorgenkind. Die Verfahren dauern viel zu lange. Immer wieder werden Korruptionsvorwürfe laut. „Es herrscht überwiegend die Meinung in Polen, Reformen in der Justiz müssen sein“, fasst eine deutsche Beobachterin in Warschau die Stimmung zusammen. „Die Unzufriedenheit mit Effizienz in der Justiz ist groß – und sogar parteiübergreifend. Doch an der Radikalität sowie die Art und Weise der Justizreform von Kaczyński scheiden sich die Geister.“

In einer Umfrage hatten sich 63 Prozent der Befragten in Polen für eine Reform des Gerichtswesens ausgesprochen. Die Regierungspartei spricht gerne von einer „Kaste“, die niemanden Rechenschaft schuldig sei. PiS-Anhänger argumentieren, dass sich zwar Legislative und Exekutive gegenseitig kontrollieren würden, aber niemand das Justizwesen. Ein weiteres Argument ist die Säuberung der Justiz von den kommunistischen Altlasten. Das ist gerade für Kaczyński, selbst promovierter Jurist, ein sehr wichtiger Punkt. „Die meisten Richter sind aber in der Nachwendezeit bestellt worden“, sagte ein Beobachter zum Argument der PiS, dass die Richterschaft immer noch von kommunistischen Juristen geprägt sei.

Mit der Reform will die PiS auch die angebliche Korruption in der polnischen Justiz bekämpfen. „Ob allerdings die Politik, die in Polen als nicht minder korruptionsanfällig gilt, das richtige Organ hierfür ist, darf bezweifelt werden“, resümiert Angelika Klein, Leiterin der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Warschau in ihrem jüngsten Bericht. „Die PiS will die alte Eliten schlichtweg durch eigene Anhänger ersetzen“, sagte ein Beobachter in Warschau am Wochenende. „Dafür werden eben undemokratische Verfahrensregeln in Kauf genommen.“

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