WirtschaftsWoche: Herr Satyarthi, weltweit müssen 168 Millionen Kinder arbeiten, Millionen von ihnen werden als Sklaven gehalten. Warum werden so viele Kinder ausgebeutet?
Kailash Satyarthi: Wer Minderjährige zur Arbeit zwingt, weiß, dass sie körperlich und seelisch sehr verletzlich sind. Für solche Leute sind Kinder nicht mehr als billige Arbeitskräfte, die man leicht ausnutzen kann. Denn Kinder bilden keine Gewerkschaften, beschweren sich nicht beim Chef und ziehen nicht vor Gericht.
Welche politischen Gründe gibt es für die Ausbeutung von Kindern?
Meist sind es Länder, in denen Ignoranz, Armut und Diskriminierung herrschen und in denen es keine Gesetze gibt, die Kindern ein Recht auf Freiheit und Bildung geben. Und noch schlimmer: Es fehlt an einem politischen Willen. Denn Kinder, die unter Gewalt leiden, üben keinen politischen Einfluss aus – deswegen haben ihre Rechte nicht oberste Priorität.
Zur Person
Kailash Satyarthi kämpft seit dem Jahr 1980 gegen die Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen auf der ganzen Welt. Der 62-Jährige Ingenieur hat mit der von ihm gegründeten Nichtregierungsorganisation „Save the Childhood Movement“ nach eigenen Angaben mehr als 84.000 Kinder befreit. Für seinen Einsatz bekam der Inder im Oktober 2014 den Friedensnobelpreis verliehen, gemeinsam mit der pakistanischen Kinderrechtsaktivistin Malala Yousafzai. Im April 2016 traf die WirtschaftsWoche ihn bei einer Veranstaltung des Initiativkreises Mönchengladbach.
In welchen Ländern leiden Kinder am meisten?
Die Ausbeutung ist besonders stark in Regionen wie Subsahara-Afrika, Südasien, Südamerika und in einigen Teilen Osteuropas. Sie sehen: Es ist ein globales Problem.
Um das zu lösen, sind Sie Aktivist geworden. Was charakterisiert Ihre Arbeit?
Ein Aktivist muss ein zorniger Mensch sein. Ich will mit meinem Zorn die Welt verbessern. Denn Zorn ist ein Antrieb, den ich für meine Ideen und Aktionen nutze und der mir hilft, die Missstände in unserer Gesellschaft aufzudecken. Die Reaktion darauf sollte konstruktiv, positiv und ergebnisorientiert sein. Der Zorn ist die Kraft eines Aktivisten und darf nicht zu Zerstörung, Gewalt oder Rache führen, sondern zu Lösungen.
3 Fragen: Aktivismus, Ausbeutung und Flüchtlinge in Deutschland
2014 haben Sie den Friedensnobelpreis bekommen und wurden für Ihren „persönlichen Mut“ ausgezeichnet. Wie gefährlich ist Ihre Mission?
Bei der Ausbeutung von Kindern haben Sie es häufig mit der Mafia oder Sklavenhändlern zu tun, die sind gewalttätig. Ich trage am ganzen Körper Narben, mein Fuß, meine Schulter und mehrere meiner Rippen waren schon gebrochen. Aber jemand muss dieses Risiko auf sich nehmen. Wenn nicht ich, wer dann? Und wenn nicht jetzt, wann denn sonst?
Sie haben Zehntausende Kinder aus den Fängen von Menschenhändlern befreit. Was haben Sie dabei erlebt?
Vor Jahren wollte ich 24 Mädchen befreien, die von Nepal nach Indien verschleppt wurden, um in einem Zirkus versklavt zu werden. Ich wusste, dass der Zirkusdirektor mit Drogen handelt und Waffen schmuggelt, er war ein mächtiger und gefährlicher Mann. Als mein Sohn und ich ihn zusammen mit anderen Aktivisten und den Eltern der Kinder stellen wollten, griff er mich an. Er zog seine Waffe und wollte mich erschießen. Dann bemerkte er, dass ein Journalist ihn filmte. Er stürmte auf ihn zu, um ihm die Kamera zu entreißen und befahl seinen Leuten, mich zu töten.