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Kalifornien Die Angst vor der radioaktiven Wolke

Am Freitag soll radioaktive Strahlung die US-Westküste erreichen. Die Angst der Amerikaner vor dem Super-GAU in Fukushima wächst.

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Bei den Amerikanern wächst Quelle: REUTERS

Noch immer ist der Hafen von Santa Cruz in Kalifornien geschlossen. Bergungskräne heben Schiffsteile. Sonare suchen den Hafeneingang nach Trümmern ab. Am Freitagvormittag vor einer Woche, kurz nach 10 Uhr, haben die Ausläufer des japanischen Tsunami den Hafen verwüstet. 13 Boote sind gesunken, rund 100 andere sind durch losgerissene Boote und aufgewühltes Wasser beschädigt worden. Dank rechtzeitiger Evakuierung ist niemand verletzt worden. „Wir schätzen den Sachschaden auf rund 25 Millionen Dollar“, sagt Hafenchefin Lisa Ekers.  Es ist der höchste an der US-Pazifikküste.Im Parkplatz am Hafen stehen deshalb seit ein paar Tagen Übertragungswagen  von Fernsehsendern.

Für den heutigen Freitag hat sich der US-Kongressabgeordnete Sam Farr, der das Silicon Valley in der US-Bundeshauptstadt vertritt, angesagt, um die Schäden höchstpersönlich zu besichtigen. Für das US-Fernsehen liefert die Küstenstadt, die sich rund 50 Kilometer westlich vom Silicon Valley befindet, die Bilder, was ein über 8000 Kilometer entferntes Erdbeben für Schäden direkt zu Hause ausrichten kann, trotz der großen Distanz. Und liefert die Kulisse für eine neue Hysterie. Denn am heutigen Freitag naht eine neue Gefahr aus dem fernen Westen, diesmal unsichtbar. Rund eine Woche nach dem Tsunami soll angeblich die erste radioaktive Strahlung vom havarierten japanischen Nuklearkraftwerk in Fukushima die US-Pazifikküste erreichen und nach Kalifornien hineinwehen. Jedenfalls wird das im Internet in einer Computersimulation einer UN-Organisation prognostiziert, die sich die New York Times gegen den Willen des Urhebers beschafft hatte und rasch im World Wide Web die Runde machte. Am Donnerstag beschwichtigte US-Präsident Obama die Amerikaner in einer Fernsehansprache. „Wir erwarten keine gefährliche Radioaktivität in den USA“, versicherte Obama. In Kalifornien beraumte das hiesige Gesundheitsministerium am Donnerstag eilig eine Pressekonferenz an. „Bislang ist in den Messstationen im Pazifik vor der US-Westküste keine erhöhte Radioaktivität festgestellt worden“, versichert deren Chef Howard Backer. „Und selbst wenn etwas kommen sollte, dann so gering, dass es keine Gesundheitsgefahr bedeutet.“

Reale Hysterie

Die Hysterie ist  allerdings real. Im J & S Surplus & Outdoor Store spürt man das schon seit Tagen. Das Geschäft verkauft seit über zwanzig Jahren in Moss Landing, vierzig Kilometer südlich von Santa Cruz Restbestände vom US-Militär und Katastrophenschutz. Gasmasken gibt es ab 20 Dollar, derzeit sind die ausverkauft. Zuletzt war das der Fall nach den Terroranschlägen vom elften September 2001, als J & S Hunderte von Gasmasken verkaufte. Damals ging die Angst vor Milzbrandbakterien um, die kurz nach den Anschlägen per Post verschickt wurden.

Das gleiche wiederholt sich nun in Supermärkten und Drogerien. Damals gab es eine rege Nachfrage nach Antibiotika zum Schutz vor Milzbrand. Die allerdings kontrolliert werden konnten, da die Antibiotika verschreibungspflichtig sind. Jodtabletten allerdings nicht. Die Pillen, die die Schilddrüse vor radioaktiver Strahlung schützen sollen, sind seit Tagen in ganz Kalifornien ausverkauft.

Einen neuerlichen Ansturm löste Surgeon General Regina Benjamin aus. Die „Chefärztin der Nation“ hatte am Dienstag ein Hospital im Silicon Valley besucht und war von einem Fernsehreporter gefragt worden, ob sie davon gehört habe, dass Leute Jodtabletten als Vorbeugung  gegen radioaktive Strahlung kaufen und was sie davon halte. Benjamin, eine Allgemeinmedizinerin, hatte vorsichtig darauf geantwortet, dass es durchaus eine vorbeugende Maßnahme sei. Das reichte für neue Panikkäufe aus, denn der Surgeon General – eine politische Position in den USA – gibt gewöhnlich.

Gesundheitsempfehlungen aus. Am Donnerstag stellte Benjamin klar, dass sie nicht empfehle, vorbeugend Jodtabletten zu nehmen. Ganz im Gegenteil – denn Jodtabletten können auch bei bestimmten Menschen Schilddrüsenüberfunktion hervorrufen, die Herzrhythmusstörungen oder sogar Schlaganfälle verursachen können. Die Notaufnahmen in den kalifornischen Krankenhäusern haben sich schon mal auf einen Anstieg der Fälle vorbereitet.

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