Warum trifft Clinton diese Affäre so? Auch gegen Trump steht schließlich der Vorwurf im Raum, er habe mit russischen Hackern kooperiert; wäre das nicht eine ungleich größere Gefahr für die nationale Sicherheit?
Die einfache Antwort: Weil Hillary eine Clinton ist. Und denen trauen die Amerikaner alles zu, auch so gut wie alles Schlechte. Vor allem: Unaufrichtigkeit.
Während aber Expräsident Bill seinen Hang zur Flunkerei als liebenswerte Macke zu vermarkten verstand, gilt die mögliche Präsidentin Hillary vielen als eiskalte Lügnerin. Immer wieder ist in US-Medien, und keineswegs denen von der Supermarktkasse, zu lesen, Clinton könne gar nicht anders, sie sei genetisch zum Lügen vorbestimmt.
Clintons wirtschaftspolitische Pläne
Clinton will in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit das umfassendste Investitionsprogramm seit dem Zweiten Weltkrieg in Infrastruktur, Industrie, Forschung und Entwicklung, Klimaschutz und Mittelstandförderung anstoßen. Sie will über fünf Jahre aus staatlichen und privaten Quellen 275 Milliarden Dollar mobilisieren, um die Verkehrs- und Netz-Infrastruktur zu verbessern. Damit und mit anderen Mitteln will sie über zehn Millionen neue Jobs schaffen. Die Industrie soll stärker werden. Gelingen soll das mit einer Partnerschaft von Wirtschaft, Arbeitnehmern, der Regierung und Verwaltungen sowie der Wissenschaft. Firmen sollen sich verpflichten, Jobs und Investitionen statt in Übersee in den USA zu halten. Dafür sollen sie finanzielle Vorteile genießen. Besonders gefördert werden sollen strukturschwache Regionen. Die Position der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften will Clinton stärken. Der Mindestlohn soll von 7,25 Dollar je Stunde auf zwölf, zuletzt war gar von 15 Dollar die Rede, erhöht werden.
Clinton verspricht ein gerechteres und einfacheres Steuersystem. Multi-Millionäre und Milliardäre sollen einen Steueraufschlag zahlen, Arbeitnehmerhaushalte und Familien entlastet werden. Steuerschlupflöcher für Firmen und Privatpersonen will Clinton schließen. Unternehmen, die ihre Gewinne in Steueroasen transferieren, sollen eine Extra-Steuer zahlen. Investitionen von Unternehmen in den USA selbst will sie begünstigen und dabei kleine Firmen besonders entlasten. Gleiches gilt für Familien, die Sonderlasten tragen, weil sie beispielsweise ältere und erkrankte Familienangehörige pflegen.
Die US-Finanzindustrie will Clinton enger an die Leine legen. Wall-Street-Riesen sollen einen Extra-Zuschlag zahlen, der sich nach ihrer Größe und ihrem Risikogewicht für die Branche richtet. Bestehende Möglichkeiten für Großbanken, Kundengelder in Hochrisikofeldern zu investieren, will sie beschneiden. Top-Banker sollen bei Verlusten ihrer Institute mit Bonus-Einbußen rechnen. Der Hochfrequenzhandel soll besteuert werden. Riesige und undurchschaubare Finanzriesen sollen stärker kontrolliert und im Zweifel aufgespalten werden. Clinton will Finanzmanager auch stärker in Mithaftung nehmen, wenn in ihren Instituten gegen geltendes Recht verstoßen wird.
Clinton verspricht, schärfer gegen Länder wie China vorzugehen, wenn diese internationale Freihandelsregeln verletzen und damit amerikanischen Arbeitsplätzen schaden. Sie will Nein sagen zu Handelsabkommen, wie der Trans-Pazifischen Partnerschaft (TPP), die nicht den US-Standards genügen, etwa mit Blick auf die Bezahlung von Arbeitnehmern. Das nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta will sie neu verhandeln. Zum US-EU-Freihandelsabkommen TTIP, das derzeit verhandelt wird, äußerte sie sich in jüngster Zeit zwar nicht direkt, doch war sie schon früher auch dazu auf Distanz gegangen und will in Freihandelsabkommen generell die amerikanischen Interessen besser zum Tragen kommen lassen. „Amerika fürchtet den Wettbewerb nicht“, gibt sie sich insgesamt kämpferisch.
In Umwelt- und Energiepolitik will Clinton Zeichen setzen. Sie will Amerika zur weltweiten „Supermacht“ des 21. Jahrhunderts in Sachen saubere Energie machen.
Clinton will Schluss damit machen damit, dass sich US-Bürger wegen einer College- oder Universitätsausbildung hoch verschulden. Sie will für eine bessere Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie und gleiche Bezahlung von Männern und Frauen sorgen. Bei Krankheit und im Alter soll es mehr soziale Sicherheit geben.
Diese vorhandenen Vorbehalte bedient die nun wieder aufploppende E-Mail-Geheimniskrämerei von Clinton perfekt. Und diese Schwäche unterstreicht leider niemand besser als Clintons häufiger E-Mail-Partner Blumenthal. Er ist nämlich keineswegs nur ein älterer netter Herr. Blumenthal gilt als begnadeter Spin-Doktor. Über ihn wird erzählt, er habe gestreut, Obama sei vielleicht in Kenia geboren, und böse Gerüchte über Frauen, denen Affären mit Bill Clinton nachgesagt werden, in Umlauf gebracht. Fest steht: Blumenthal kennt geradezu manisch nur Clinton-Freunde und Clinton-Feinde.
Und doch oder gerade deswegen: Clinton hat den umstrittenen Freund nie fallen gelassen – weil, mutmaßen Kritiker, sie ebenso denkt. Sie hat Blumenthal sogar 10.000 Dollar pro Monat gezahlt, damit er in ihrer Stiftung arbeitet. Ebenso hält sie nun an Abedin fest, der Frau von Skandal-Weiner. Als sie die Krise nach den jüngsten Mail-Enthüllungen durchstehen musste, war an ihrer Seite: Huma Abedin.
Diese Bunkermentalität erinnert viele Amerikaner daran, dass Hillary wohl der einzige Mensch auf dem Planeten ist, der Skandale zuverlässiger anzieht als Trump. Und ungleich geheimniskrämerischer ist. Als Clinton im September an einer Lungenentzündung litt, erfuhr die Öffentlichkeit das erst, als sie vor allen Augen fast zusammenbrach.
Das Netz der Clinton-Hasser
Doch ist ein gewisser Hang zum Selbstschutz durchaus nachvollziehbar. Einen, der professionell beobachtet, wie die Clintons seit Jahren gejagt werden, kann man in New York treffen, nur seinen Namen darf man nicht schreiben. Der Mann hat genau aufgelistet, welche Netzwerke mittlerweile was machen. Das „Arkansas“-Projekt des rechten Milliardärs Richard Scaife seziert etwa, was die Clintons während ihrer Zeit in dem Bundesstaat getrieben haben. Dann gibt es Judicial Watch, in rund 20 Klagen gegen Hillary involviert. Eine weitere Organisation hat sogar im Deep Net geforscht, um Papiere über die Clinton Foundation zu finden. Und natürlich alle jene Spinner und Bestsellerautoren, die Clinton mal lesbisch nennen, mal nymphoman, mal gar eine Mörderin, ihr Kokainsucht oder Tablettenabhängigkeit unterstellen. „Hillary-Hassen ist zu einem nationalen Zeitvertreib geworden, den Elite und Pöbel teilen“, resümierte der New Yorker. So entsteht ein Narrativ: der einer Frau, der man schlicht nicht trauen kann.
Hillary Clinton im Portrait
Rechtsanwältin
26. Oktober 1947, 69 Jahre alt
Skorpion
Chicago
1,67 Meter
Verheiratet mit Ex-US-Präsident Bill Clinton, mit dem sie Tochter Chelsea hat.
„Stronger Together“
An dem Narrativ schreiben viele gerade wieder mit. Aus Sicht von Clinton-Verbündeten auch der FBI-Chef, dessen späte Interventionen im Wahlkampf gegen den Rat vieler hochrangiger Mitarbeiter erfolgten. Vor allem aber natürlich Trump. Er geht sie als nasty woman an, als scheußliche Frau, er ruft dazu auf, sie zu erschießen, und versteht das als großen Spaß.
Die Anti-Clinton-Industrie kann aber auch auf all jene Wähler bauen, die sich ebenso wenig wie einen schwarzen Mann eine weiße Frau im Oval Office vorstellen wollen. Schon als First Lady musste Clinton rasch lernen, dass eine unabhängige Mitgestalterin vielen Bürgern nicht behagte. Erst als sie sich als häusliche Gattin neu erfand – und später als betrogene Ehefrau, die sich tapfer schlug –, stieg ihre Popularität. Aber noch im Jahr 2016 gilt: Dürften nur männliche Amerikaner abstimmen, läge Trump vorne.