Kanzlerbesuch in Indien „Der Riese Indien schläft nicht mehr“

„Indien will Partner sein, aber es kennt seinen Wert.“ Quelle: imago images

Olaf Scholz auf heikler Mission: Der Kanzler besucht mit Indien einen selbstbewussten Partner und attraktiven Standort, der geopolitisch aber nicht vereinnahmt werden will. Der Chef der Deutsch-Indischen Außenhandelskammer über russische Abhängigkeit und „gewaltige Potenziale“.

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Wenn Olaf Scholz heute in Neu-Delhi auf den indischen Premier Narendra Modi trifft, wird es bereits das vierte Treffen der beiden, seit Scholz Kanzler ist. Der Inder war zu Gast beim G7-Gipfel in Bayern und bei den Regierungskonsultationen in Berlin, außerdem besprachen sich die Regierungschefs im vergangenen Herbst beim Treffen der G20 in Bali. Die hohe Taktung sei kein Zufall, sondern gewollt, heißt es in Regierungskreisen. Indien sei ein „strategischer Schlüsselpartner“ für Deutschland, wird im Kanzleramt betont. Auffällig ist, wie zurückhaltend und verständnisvoll die deutsche Seite im Vorfeld der Reise auf die betonte geopolitische Unabhängigkeit der Regierung Modi blickt. An den Sanktionen des Westens will sich Indien nicht beteiligen, das Land kauft zudem günstig Öl und Rüstungsgüter in Moskau ein. Und dennoch: Im Kanzleramt glauben sie, tektonische Verschiebungen wahrzunehmen – weg von Russland, hin in Richtung des Westens und der EU. 

Nun, heißt es, müsse man Geduld haben. Und die Chancen ausloten. Scholz wird hierzu von einer zwölfköpfigen Wirtschaftsdelegation begleitet. Mit im Kanzlertross reisen unter anderem Siemens-Boss Roland Busch (der zugleich Vorsitzer des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft ist) und SAP-Chef Christian Klein. Wie groß das ökonomische Kooperationspotenzial ist, schildert Stefan Halusa.

WirtschaftsWoche: Herr Halusa, Olaf Scholz besucht heute erstmals Indien – welcher Stellenwert wird seiner Reise vor Ort beigemessen?
Stefan Halusa: Die indische Regierung hat auf diesen Besuch gewartet. Er ist an der Zeit. Premier Narenda Modi war ja bereits zweimal in Deutschland. Hier wird genau registriert und wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass der Kanzler ausschließlich Indien besucht. 

Zur Person

Der Subkontinent ist ökonomisch attraktiv, aber geopolitisch eigensinnig. Wie würden Sie die Rolle beschreiben, die das Land gerade international einnimmt?
Indien will sich als die Stimme des globalen Südens etablieren – auch und gerade im Rahmen der G20-Präsidentschaft. Das bedeutet, dass es die Interessen jener Nationen mit vertritt, die nicht am Tisch der Mächtigen sitzen – etwa, wenn es um globale Lebensmittelpreise, um Düngerversorgung oder das Engagement gegen den Klimawandel geht. Entscheidend aber ist die Position der Unabhängigkeit. Die Regierung will sich nicht vereinnahmen lassen.

Dem Druck des Westens, sich an Sanktionen gegen Russland zu beteiligen oder den Krieg zu verurteilen, hält Indien in der Tat stand. Mit Russland macht es weiter Öl- und Rüstungsgeschäfte. Gleichzeitig sucht Modi wirtschaftlich und technologisch Anschluss an Europa und die USA. Wie passt das zusammen?
Aus Sicht der Inder passt das sehr gut. Die geopolitische Lage erscheint doch sehr günstig, sie bietet Indien viele Chancen. Die Regierung agiert pragmatisch und nüchtern. Partnerschaft wird hier nicht als kategorisches Ausschlussprinzip verstanden. Indien will Partner sein, aber es kennt seinen Wert.

Ist Indien denn nicht weiterhin der schlafende Riese der Weltwirtschaft?
Dieses Bild hält sich hartnäckig, aber ich halte es für überholt. Wir sprechen hier mittlerweile über die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt. Der Riese schläft nicht mehr, er heftet sich mit sechs bis sieben Prozent Wachstum pro Jahr bald an die Fersen Deutschlands. Allerdings ist die Wirtschaft hier noch vergleichsweise wenig in die Weltmärkte integriert. Der bilaterale Handel mit Deutschland umfasst gerade 30 Milliarden Euro pro Jahr. Da schlummert tatsächlich noch gewaltiges Potenzial.

In einer aktuellen Umfrage Ihrer Kammer unter Unternehmen treten allerdings weiterhin viele Zweifel am Standort Indien zutage.
Nun, der Anfang in Indien ist nicht leicht. Das Land und seine Eigenarten zu verstehen, dauert. Allerdings ist dieses Land nicht einfach nur ein Billigstandort, in dem sich günstig produzieren lässt. Die junge, gut ausgebildete Bevölkerung macht das Land mittlerweile zu einem Hub für IT, Softwareentwicklung, auch für Maschinenbau.

Der Kanzler reist mit einer Wirtschaftsdelegation an. Wie stark sind deutsche Unternehmen bisher schon im Land engagiert?
Traditionsnamen wie Bosch und Siemens sind bereits seit hundert Jahren vor Ort. Siemens Mobility hat gerade einen Milliardenauftrag erhalten, ebenso Airbus von Air India. Alle großen deutschen Autohersteller haben Werke hier, die Zulieferer zogen nach. Dazu sind die Chemie- und Pharmasektoren stark, auch SAP. Und Hapag-Lloyd hat gerade 35 Prozent am führenden Terminalbetreiber JMBPL erworben. Insgesamt sind es rund 1800 deutsche Firmen. Das kann sich sehen lassen.

Die Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien wurden vor Jahren einmal gestoppt, nun laufen sie wieder. Ist ein Scheitern diesmal ausgeschlossen?
Ich persönlich bin zuversichtlich, dass das Abkommen nicht noch einmal scheitern wird. Das darf es auch nicht. Beiden Seiten ist bewusst, wie wichtig ein Abschluss ist.

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Trotz der Differenzen in einigen Kapiteln?
Ich hoffe sehr auf Kompromisse in den Feldern, die bekanntermaßen heikel waren und es auch heute sind: Landwirtschaft, Nachhaltigkeit, soziale und rechtliche Standards. Wenn die Einigung dann erst 2024 statt Ende 2023 erzielt wird – auch gut. Die Zeitenwende sollte auch ökonomisch zum Umdenken führen. Mehr Kooperation ist dringend geboten.

Lesen Sie auch: Wie Olaf Scholz Indien für den Westen gewinnen will

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